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Die Ausstellung des Kunsthistorischen Museums ist ein Highlight dieses Kunstherbstes.

Ein nackter Mann, bekleidet lediglich mit einem Lendenschurz, blickt verklärt gegen den Himmel. Im Körper des an einen Baum gefesselten Jünglings stecken Pfeile. Im Hintergrund ist vage eine Landschaft zu erkennen. An sich kein ungewöhnliches Motiv, gehörte doch die Darstellung des Heiligen Sebastian als nackter Schönling in der Renaissance zu den beliebtesten Sujets der Malerzunft. Das überlebensgroße Bild des Pestheiligen aus der Sammlung der Sankt Petersburger Eremitage, gemalt von keinem geringeren als Tizian, ist dennoch alles andere als gewöhnlich. Denn das gesamte Bild scheint zu vibrieren. Auf Ausführung der Details hat der betagte Künstler verzichtet, stattdessen lebt das Bild aufgrund seiner expressiven Malweise und der Leuchtkraft der nahezu monochromen Farbgebung.

Umstrittener Sebastian

Das skizzenartige, mit lockeren Strichen auf die Leinwand gepinselte Gemälde entstand in den letzten Lebensjahren Tizians wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Pestausbruch 1576, der größten Epidemie, die Venedig im 16. Jahrhundert heimsuchte. Sie kostete dem Hauptmeister der venezianischen Malerei jener Zeit paradoxerweise selbst das Leben.

Tizians "Sebastian" fasziniert nicht nur aufgrund der ungemein modernen Malweise, sondern auch, weil es eines der umstrittensten Gemälde des Künstlers ist. Für die einen war es Jahrhunderte hindurch ein Beispiel für den unfertigen groben "Altersstil" des Künstlers, der angeblich nicht mehr sehen könne, was er male, und so sehr zittere, dass er nichts Bedeutendes mehr zustande bringe. Andere, vor allem gegenwärtige Kunstwissenschaftler sehen gerade dieses Bild als Inbegriff einer innovativen fragmentarischen Malweise, die stellenweise sogar Bewegungen des 20. Jahrhunderts wie den Expressionismus vorwegnahm. Interessant ist das Sebastian-Motiv auch, weil es die künstlerische Entwicklung Tizians spiegelt. Bereits im Jahr 1510 hat Tizian einen "Sebastian" gemalt - in einer Sacra Conversazione mit dem Heiligen Markus. Allerdings führt er hier einen perfekt modellierten glatten Jüngling vor, der sich realistisch von der architektonischen Umgebung abhebt - ganz im Unterschied zur späten Darstellung, bei der Figur und Hintergrund nahezu verschmelzen.

Sinnliches Spätwerk

Während Theoretiker dem Spätwerk lange skeptisch begegneten, standen Künstler längst gebannt vor Tizians nahezu einfärbig erscheinender "Fleckenmalerei" ("maniera fatta di macchie"), wie bereits der Künstlerbiograf Vasari den späten Stil des Meisters charakterisierte. Rubens, Rembrandt, Delacroix, ja sogar Kokoschka - sie alle wurden von dieser ungemein sinnlichen Malerei inspiriert. Ähnlich wie Michelangelo in seinem Spätwerk dürfte Tizian erkannt haben, dass nach einer fein gestalteten, sich an die Wirklichkeit anlehnenden Kunst nur noch die Eigengesetzlichkeit des Mediums selbst - das Zusammenspiel von Farbe und Form, von Hell und Dunkel - der Malerei zu neuer Blüte verhelfen kann.

Wie faszinierend das Werk des über sechzigjährigen, bei manchen Bildern nahezu neunzigjährigen Meisters des Kolorits und Erfinders des "Tizianrots" ist, davon kann man sich derzeit in einer Schau der Superlative im Wiener Kunsthistorischen Museum überzeugen. Über 50 Gemälde Tizians, ergänzt durch Vergleichsbeispiele von Künstlerkollegen, ermöglichen hier erstmals einen fundierten Einblick in die späte Schaffensphase jenes Künstlers, der zunächst mit sakralen Meisterwerken wie der "Himmelfahrt Christi" in der Frari-Kirche in Venedig (1516-1518) oder Aktbildern wie der "Venus von Urbino" (1538) und seinem farbbetonten und detailgetreuen Stil zu Ruhm gelangt war.

Die nach Themen wie "Porträts", "Poesien" und "sakrale Themen" gegliederte Schau lässt die Betrachter aus dem Staunen nicht herauskommen - so packend ist die Dichte an künstlerischem Ideenreichtum. Besonders sehenswert sind Vergleiche von Bildern ein- und desselben Themas. So zeigen drei Gemälde - aus Wien, Cambridge und Bordeaux - Tizians Interesse für die Vergewaltigungsszene "Tarquinius und Lucretia" und die unterschiedlichen Umsetzungen dieser dramatischen Geschichte in Malerei. Während die Cambridger Fassung sich durch den Blick auf einen größeren szenischen Zusammenhang und eine detailreiche Ausgestaltung auszeichnet, konzentriert sich die offenbar letzte Wiener Version auf das Wesentliche: auf die Interaktion zwischen dem bedrohenden Mann und der abwehrenden Frau. Sie besticht durch psychologische Feinzeichnung, vor allem aber durch die Sichtbarkeit der Malstruktur und der einzelnen Pinselstriche.

Ausstellung ermöglicht Vergleiche

Dass diese von Sylvia Ferino-Pagden sorgfältig kuratierte Ausstellung ohne große Erklärungen und alleine durch Bildvergleiche auskommt, wird auch bei der Gegenüberstellung eines Tizians-Werks mit einem Bild aus der Raffael-Werkstatt deutlich. Hier steht man zweimal vor der "Heiligen Margarethe mit dem Drachen". Während bei dem glatten Bild aus der Raffael-Werkstatt Margarethe in sich ruhend auf den am Boden liegenden, besiegten Drachen blickt, führt Tizian eine aufgebrachte Heilige in einer wilden Malweise vor, deren Körperhaltung und Gesichtsausdruck noch vom Schreck gezeichnet wirkt.

Die Tizian-Schau ist ein Highlight dieses Kunstherbstes. Nebenbei ist sie auch kulturpolitisch von Interesse, da sie in Zusammenhang mit einem dreijährigen Forschungsprojekt entstand, bei dem die Tizian-Exponate technisch und wissenschaftlich analysiert wurden, so dass jetzt neue Ergebnisse über die Arbeitsweise Tizians veröffentlicht und in der Ausstellung durch Prints von Röntgenbildern gezeigt werden können. Ein Hinweis dafür, dass herausragende Ausstellungen keine hochtrabenden Titel und reißerische Themen brauchen, sondern nur durch fundierte Forschungsarbeit und hochkarätige Leihgaben entstehen können. Einziges, kleines Manko des grandiosen Projekts samt kenntnisreichem Katalog ist das Fehlen eines stärker inhaltlich akzentuierten Katalog-Beitrags zu Tizians Spätwerk, das auch aus kulturhistorischer Perspektive viele Sichtweisen auf das Venedig des 16. Jahrhunderts ermöglicht - und zugleich spannende Themen wie etwa das Verhältnis der Geschlechter zur Debatte stellt.

Der späte Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei

Kunsthistorisches Museum

Maria Theresien-Platz, 1010 Wien

www.khm.at

Bis 6. 1. 2008 Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog hg. v. Silvia Ferino-Pagden

Wien 2007, 398 Seiten, € 35,-

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