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Tradition ist Munition

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RUND 400 BESUCHER PRO TAG zählte man in der kürzlich eröffneten Ausstellung „Soldat und Uniform im Wandel der Zeit“, die gegenwärtig, in den Schauräumen der Staatsdruckerei in Wien zu sehen ist und dann ihren

Weg durch die Garnisonen Österreichs nehmen wird. Die Veranstalter, es ist das Gruppenkommando III, Salzburg, holten die prächtigen Uniformdarstellungen des Militärmalers Rudolf v. Öttenfeld aus den Mappen, dazu die Bilder, die Felician v. Myr-bach in den achtziger Jahren malte, und Reproduktionen päter entstandener Werke. (So sammelte sich reichhaltiges Anschauungsmaterial über die Entwicklung der Kriegstracht des kaiserlichen Heeres seit den Tagen des Prinzen Eugen, und man stellte eine instruktive Bilderfolge zusammen.)

Einige kleine, etwas ungelenk gepinselte Aquarelle zeigen Soldaten und Offiziere der Volkswehr von 1919, mit den blauen Distinktions-streifen an den Ärmeln. (Eine typische Verlegenheitslösung der Übergangszeit. Die Truppe nannte diese Abzeichen „Hosenbodenstreiferln“, weil sie vielfach aus alten, blauen Infanteriehosen geschnitten wurden.) Die Epoche des

ersten Bundesheeres ist durch amtliche Bildtafeln vertreten. Das Bundesheer unserer Zeit schließt sich nicht mit systematischen Darstellungen an, sondern zieht sich mit plakativer Graphik und einer Photomontage elegant aus der Affäre. Warum das? Fürchtet man den Vergleich zwischen den sinnvollen altösterreichischen Stilformen und den

Kreationen der Dominikanerbastei? Es will uns scheinen, als sei der gerade Weg zu manchen alten, auch heute noch vertretbaren Überlieferungen stellenweise durch Ressentiments und Reminiszenzen blockiert. Wir wollen

und brauchen ein modernes Heer, gewiß, allein die Tradition vermag sich sehr wohl dem Marschtempo des Fortschritts anzupassen I

TRADITION SAMT IHREN ÄUSSEREN ERSCHEINUNGSFORMEN ist nämlich nicht unbedingt nur ein Anliegen von pensionierten Offizieren, Regimentskameradschaften und militärfreudigen Hofräten. Es hat sich gezeigt, daß gerade unsere junge Offiziersgeneration, die während ihrer Kindheit nur deutsches Graugrün und das Alliierten-Khaki verschiedener Schattierungen sah, der österreichischen Militärgeschichte und den Überlieferungen großes Interesse entgegenbringt. Ein von allen Schatten freies österreichisches Staatsbewußtsein prägt die Anschauung dieser Militärakademiker, Fähnriche und Leutnants, und dieses Bewußtsein will sich auch in äußeren Zeichen dokumentieren.

Denn, ob man es wahrhaben will oder nicht, äußere Zeichen wirken sich auf den Geist der Truppe aus. Die moderne Kriegsgeschichte bietet ein psychologisch interessantes Beispiel: Als die Deutschen im Winter 1941/42 gegen Moskau vordrangen, schickte Stalin den Rotarmisten die Achselstücke '1er Zarenzeit. Er stiftete

Orden, ernannte verdiente Einheiten zu Gardetruppen und rief die Erinnerungen an die Taten Suwarows und Alexander Newskis wach. Er machte aus dem Genossen in der proletarischen Uniform einen Kämpfer für das Vaterlarid. Goldborten waren im Augenblick fast so wichtig wie Munition. Stalin, nunmehr „Generalissimus“, dachte an die Moral des Soldaten. Und die weitere Entwicklung gab ihm recht.

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JOSEPH II. WAR DER ERSTE MONARCH, der die Offiziersuniform zum „Rock des Kaisers“ machte. Statt im Hofkostüm erschien er bei Festen als weiß-rot-goldener Feldmarschall. Er gab damit ein Beispiel, würdigte den Soldatenstand und hob dessen Ansehen in der höfischen Sphäre.

Josephinisch blieb das Gepräge der österreichischen Offiziersuniform seit den Zeiten, da der Herrscher den Ausspruch tat, man müsse „den falschen Begriff der Schönheit (im Sinne von Prunk) in den soliden der Gutheit verwandeln“.

Der Waffenrock des kaiserlichen Offiziers in seiner klassischen jose-phinischen Einfachheit ist modern. Auch heute noch. Modern in seiner Ornamentlosigkeit und in der reinen Material- und Farbwirkung. Dieses Soldatenkleid stellt gleichsam einen Grundriß dar, das Uniformprinzip des ausgehenden 19. Jahrhunderts an sich. Während in den Armeen anderer Staaten erst die Posamentierer kamen, um die „Fassade“ im Stil der Epoche und der Umwelt auszustaffieren — ebenso wie beim Ringstraßenhaus nach der Arbeit des Maurers die des Stukkateurs begann, der den Zierat anfügte —, blieb in Österreich lange Zeit der Grundsatz der „Gutheit“ gewahrt. So manifestiert sich im Waffenrock nicht zuletzt auch die „Gutheit“ des Geschmacks, und die Uniform wird zum kulturgeschichtlichen und stilkundlichen Dokument.

Man verstand sich auch sehr wohl aufs Praktische in dieserrt seltsamen alten Österreich Nach 1945 wurde der Dufflecoat der britischen Kriegsmarine bei unseren Zivilisten populär. Wer aber weiß, daß die „Freiwilligen Ulanen“ von 1860 Reitermäntel hatten, die schon eine überraschende Ähnlichkeit mit dem zweckmäßigen Kleidungsstück der Royal Navy aufwiesen? Man hatte damals eine gute Hand bei der Gestaltung der Uniformen.

In der Dominikanerbastei hingegen nähert man sich der Lösung von

Photos: Gunther Martin

„Uniformierungsfragen“ zuweilen nach der Weise des Tempelhupfens zwischen Bedenken und Rücksichtnahmen. Aber Kompromisse aus falscher Originalität, politischen Einwänden und „zeitgemäßen“ Bestrebungen sind kein guter Ersatz für echtes Stilgefühl. So endeten denn auch die kürzlich gepflogenen Erwägungen über die Ein-

ührung einer Gesellschaftsuniförm für Offiziere mit dem altbekannten Resul-at: Sag ma, es war nix.

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DIE OFFIZIERE EINER PANZER-5RIGADE bewiesen in eigener Regie Stilgefühl und Verständnis für Tradi-ion. Statt der vorschriftsmäßigen ,D-Feldmütze“, die in ihreT Form auf las deutsche Luftwaffen„schiffchen“ ■urückgeht, tragen sie Mützen im schnitt der alten schirmlosen Ka-/alleriekappe. Schließlich ging ja die Funktion der Reiterei auf die'Panzer-iruppe über, die heute wieder Standarien führt, wie die Kavallerie vor 1868. Warum geht man nicht einen Schritt weiter und führt, wie in England, die Bezeichnung „Dragoner“ für die Panzertruppe ein? Ebenso könnte man ivohl die neuaufgestellten Grenzschutz-sinheiten besser „Landwehr“ nennen. ;Man schlage nach: Österreichs Geschichte: das Jahr 1809.) Der Schutz der Grenzen ist Aufgabe des gesamten Bundesheeres. (Man schlage nach: Wehrgesetz, Paragraph 1.)

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IM BUNDESHEER DER ZWISCHENKRIEGSZEIT setzte die Traditionspflege 1923 ein. Seit der Schaffung der kleinen Berufsarmee waren drei Jahre vergangen. Die einzelnen Regimenter and Bataillone übernahmen offiziell lie Nachfolge der deutsch-österreichi-;chen Truppenkörper der alten Armee, Vierten deren Regimentsgedenktage und spielten die Regimentsmärsche.

Unser heutiges Bundesheer besteht nun bald' sieben Jahre, und wir leben in einem weitgehend konsolidierten Staat. Dies nur zum Vergleich. Denn im Bundesministerium für Landesverteidigung konnte man sich noch nicht zur Entscheidung über die offene Frage der Traditionstruppenteile entschließen, sondern überläßt die inoffizielle Überlieferungspflege mehr oder weniger der Privatinitiative einzelner Kommandanten. Nur die Neustädter „Alma Mater Theresiana“ hat in aller Form die Tradition der altösterreichischen Militärakademien aufgenommen.

Für die neuen Feldzeichen des Bundesheeres allerdings gibt es seit 1961 genaue Bestimmungen. Verschiedentlich wurden den Truppen nämlich Fahnen gestiftet, die den heraldischen Prinzipien nicht ganz entsprachen. Deshalb wurde ein Merkblatt herausgegeben, das den Charakter einer Vorschrift hat. Als Stifter der Fahnen und Standarten kommen die Landesregierungen beziehungsweise die Stadtverwaltungen der Garnisonen in Betracht, nach feierlicher Weihe erfolgt die Übergabe an die Truppe. Nur zwei Verbände erhielten Traditionsfahnen:

• Die Militärakademie führt vier Feldzeichen: die Neustädter Akademiefahnen von 1880 und 1933. die Fahne der Technischen Militärakademie und die Fahne der Franz-Josephs-Akademie (Landwehr).

• Das Gardebataillon paradiert mit der aus dem Jahr 1790 stammenden Fahne der k. k. Trabantenleibgarde. Auf dem Ballhausplatz und auf dem Schwechater Flughafen senkt sich vor akkreditierten Botschaftern und ausländischen Staatsmännern im Namen der Republik das weiße Seidentuch mit dem kaiserlichen Aar.

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DER BÜRGERMEISTER VON WIEN stiftete dem Gardebataillon ein Ehrensignalhorn, dessen Platz neben der Fahne ist. Die Tradition der Ehren-hörner geht in Österreich auf den tapferen Sturm der%iniederösterrcichi-schen „Kopal-Jäger“ bei Santa Lucia, 1849, zurück. Der Kaiser verlieh der mutigen Truppe ein prächtiges Ehrensignalhorn, das als Feldzeichen einer Fahne gleichgestellt wurde. In den neunziger Jahren schließlich erhielten Kavallerie- und Artillerieregimenter kostbare Ehrentrompeten.

Die gegenwärtige Regelung sieht Ehrensignalhörner für motorisierte Einheiten, Pioniere und Versorgungstruppen vor, während die Artillerie auch heute wieder Ehrentrompeten führt.

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DER HORNIST hebt das silberne Instrument an die Lippen, und über die feldgrauen Reihen hin erklingt ein Hornruf, wie ein Widerhall aus den Lagern in allen Weiten und seltsamen Landschaften, die jenes alte Österreich in sich schloß. Man sagt, seine Armee habe die schönsten, wohlklingendsten Signale gehabt. Es wäre schade, wenn sie in Vergessenheit gerieten. Da verzichten wir viel lieber auf die „Erika“ und den „Westerwald“ . ,.

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