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Trubel in San Sebastian

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Die „Semana Grande“ von San Sebastian ist nur eine der unzähligen Festwochen, die sich jeden Sommer in allen großen und kleinen Fremdenverkehrszentren Nordspaniens abspielen, aber sie war heuer zweifellos die glänzendste. Die Gegenwart der Madrider Ministerien, vereint im „Ministerio de Jornada“, das alljährlich während der drei Sommermonate die Abwicklung der Regierungsgeschäfte übernimmt, macht San Sebastian zur provisorischen Landeshauptstadt, in der sich auch die ausländischen diplomatischen Missionen etablieren. Der Geld- und Hochadel Madrids, Kastiliens und des Südens hat seine eleganten Residenzen, die in dem lieblichen, grünen Hügellande um die Stadt und in den benachbarten Badeorten verstreut sind. Ein Strom von Ausländern wurde täglich durch die Zollämter von Irün nach San Sebastian geschleust. Zeitweilig standen die Autokolonnen auf der Brücke über den Grenzfluß Bidasoa bis weit nach Hendaye hinein, denn durchschnittlich 1000 Wagen pro Tag überquerten die Grenze, dazu kommen Eisenbahnreisende und Radfahrer und Fußgänger der beiderseitigen Grenzzonen. Die Erleichterung der spanischen Einreisebedingungen und die Normalisierung der Geldsorteneinwechselung — das spanische Deviseninstitut hat die ungünstigen Zwangswechselkurse für Touristen abgeschafft—brachte Spanien und damit zuerst San Sebastian einen Ansturm von ausländischen Besuchern, wie man ihn wohl seit den zwanziger Jahren nicht mehr erlebte.

In diesem Konglomerat von Menschen der verschiedensten Nationen entwickelte San Sebastian sein Festprogramm. Pferderennen, Regatten auf der Bahia, Autorennen, Reunions und Bälle. Tagsüber glich der mehrere kilomeierlange halbkreisförmige Strand der „Concha“ (= Muschel) einem wimmelnden Ameisenhaufen. Das Theater Victoria Eugenia glänzte mit einem auserlesenen Programm internationalen Formats. Glücklich die Maler und Bildhauer, die für würdig befunden wurden, in dieser fieberhaften Hochsaison einen Ausstellungsraum in San Sebastian zugewiesen zu erhalten.

In den vornehmen Klubs des „Real Näu-tico“ und „Real Club de Tenis“ herrschte nachts rigoroseste Etiquette (die spanischen Abendveranstaltungen beginnen nach Mitternacht). In ihnen und im Strandkasino und auf dem Monte Igueldo wie in allen Hotels wurde bis zum Morgengrauen getanzt. Polizeistunde gibt es nicht. In den Straßen und Parks und auf dem prater-artigen Vergnügungsgelände des Monte Igueldo vergnügt sich das Volk in buntem Verein mit Fremden und ausgelassenen, in Abendtoilette herumströmenden Gruppen der guten Gesellschaft.

In all diesem Treiben der festlichen Stadt aber zeigte Franco seinen Spaniern und den außer Rand und Band geratenen Ausländern, w i e nach alter, traditioneller Art spanische Feste gefeiert werden: mit einem zeitgerecht angebrachten Augenblick religiöser Besinnung, die feierlich — es ist eben nicht zu vermeiden — zu einem gesellschaftlichen (oder gar propagandistischen?) Ereignis wurde. Am Vorabend des Festes Maria Himmelfahrt fuhr er vor der Marienkirche San Sebastians vor, und nach Abschreiten der Front einer Gebirgsjägerkompanie mit Fahnen und klingenden Klarins, betrat er unterm Prunkbaldachin, geleitet vom päpstlichen Nuntius, dem Erzbischof von Valencia und dem Bischof von Orihuela, das Heiligtum, um einem feierlichen Salve beizuwohnen, vom „Orfeon Donostiarra“ gesungen. Der Justizminister, Kultusminister, Außenminister und Regierungsminister wohnten dem Akte bei. Vorher waren die Ratsherren der Stadt, mit ihrem Alkalden an der Spitze, gemeinsam mit den Zivil- und Militärgouverneuren und hohen lokalen und Provinzbehörden, unter Vorantritt der in mittelalterliche Trachten gekleideten Träger der Liktorenbündel und einer Kapelle baskischer „txistularis“ (Querpfeifenbläser und Trommler) durch die Straßen der Stadt zur Kirche gezogen, um den Caudillo zu erwarten. Ausländer und Fremde verließen eilig ihre Plätze an den auf die Bürgersteige gestellten Tischen vor den vielen Bars und Kaffeehäusern und eilten mit den Einheimischen, dem Staatschef Ovationen darzubringen.

In aller Stille, ohne große politische Aktionen weicht der Bann, in den eine außerordentlich geschickt geführte Propaganda Spanien getan hat. Merkwürdig wie sich das in San Sebastian, der schönen, reichen Badestadt an den blauen Wassern von Biskaya, widerspiegelt. Jahrelang schien es, als sollte allgemach dieser wundervolle Strand veröden, als müßten die mondänen Hotelbauten für immer ihre Gäste vermissen und als sei dieser einstige Platz internationalen friedlichen Treffens verurteilt, nur mehr Symptom der Vereinsamung Spaniens zu sein. Es ist anders geworden. Die Sommermonate dieses Jahres fanden die nicht mehr zu verkennenden Merkmale einer großen Veränderung.

Als am Fest Mariä-Himmelfahrt das Wohltätigkeitsfest Fiesta de la Banderita“ stattfand, bei welcher alljährlich die Damen der aristokratischen Gesellschaft zugunsten der Tuberkulosebekämpfung Rote-Kreuz-Ansteckfähnchen verkaufen, präsidierte Francos Tochter, die Marquise von Villaverde, einen der blumengeschmückten Sammeltische, der ständig von Ausländern aller Nationen umlagert war. Unter ihrem natürlichen Charme und gewinnenden Lächeln flössen die Geldscheine aus den Brieftaschen, und selbst devisenrationierte Ausländer überschlugen fieberhaft ihr Tagesetat, um schließlich doch für einen 50-Peseten-schein, eine Pfundnote oder einen Tausendfrankschein ein Lächeln der schönen Marquise tauschen zu können.

Vor dem in San Sebastian heuer wieder zu hörenden Vielklang Dutzender von Sprachen ist das sonst hier auch in gebildeten Kreisen und in der Gesellschaft gesprochene „Vascuence (Baskische) in den Hintergrund getreten. Man hört es nur in der Altstadt, in deren abgelegenste Gassen die Fremden selten vordringen; es erscheint auch in den Bekanntmachungen an den Kirchentüren und auf den Beschriftungen der Kreuzwegstationen. Die traditionsstolzen Basken fühlen sich hoch erhaben über den weibischen und weichlichen Trubel der mondänen Welt in ihrer Stadt. S i e schätzen andere Festesfreuden. Ihr Ideal ist die virile Kraft, der trutzige, dröhnende Gesang, der herbsaure Landwein und ein Essen, unter dem sich die Tische biegen. Und so organisieren auch sie, gemeinsam mit den Landsmannschaften aus den Orten der Provinz, ihre eigenen Volksfeste, die unter dem Zeichen des „AUz-kolaris“ stehen — des rohen, ungehobelten ländlichen Athleten, der im Wettkampf Mauerblöcke stemmt, dicke Eichenstämme mit der Axt zerlegt, Vierer-Ochsengespanne womöglich mit den Zähnen in die entgegengesetzte Richtung zerrt — unter dem Zeichen der „Espatadanzaris“, der Schwerttänzer, und der „Korrikolaris“, der Schnelläufer.

Nach den Wettkämpfen, Spielen und Tänzen sind die volkstümlichen Taber-nen, die „tascas“, voll von klobigen, ungeschlachten Gestalten aus den Dörfern, die unmenschliche Portionen kräftiger Gerichte verzehren und sich mit donnernder Stimme unterhalten, so daß der nach „Folklore“ lüsterne Fremde erschreckt einem solchen Inferno entflieht.

Es scheint den spanischen Behörden nicht ganz lieb zu sein, wenn zu aufmerksam beobachtende Ausländer entdecken, daß im spanischen San Sebastian das Volk eine Sprache spricht, die mit dem Spanischen nicht das geringste zu tun hat. So verboten sie die Schlußfeiern einer Provinzialtagung der „Acci6n Cato-lica“, offensichtlich, weil die Tagung unerwarteterweise zu einer mächtigen Demonstration des baskischen Volkstums (in dem landfremde Polizeigewaltige immer noch den „Separatismus“ wittern) „ausgeartet“ war. An diesem Punkt machte auch das gute Einvernehmen zwischen weltlichen und kirchlichen Behörden halt, und selbst der Weihbischof von Zaragoza, Msgr. Bereciartüa (ein stockbaskischer Name), mußte seine Abschiedsansprache an die „Virgen de Aranzazu“, die er vor den Katholiken San Sebastians und der Provinzen in deren heimischem Baskisch halten wollte, ausfallen lassen. Daraufhin begaben sich im August die Gruppen der „Acciön Catolica“ zu einer großen Wallfahrt hinauf zur Jungfrau vom Aranzazu oder Aitzgorri, 1558 Meter (höchster Berg Guipuzcoas), und hier verwehrte ihnen der Provinzgouverneur seine Erlaubnis nicht. Denn, es ist nicht zu leugnen: Das

„Aita guria“ (Vaterunser) vieler Basken klingt manchmal in den Kirchen wie eine politische antispanische Manifestation. Und die mag der Gouverneur wohl in der Abgelegenheit der Berge tolerieren, nicht aber in der „Perle der Concha“, San Sebastian, wo Spanien heuer den in so großen Scharen hereinströmenden Ausländern gleichsam seine prächtige Visitenkarte überreichte. Ja, der Bann ist gebrochen, mögen die Politiker noch sagen, was sie wollen.

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