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Über die Farbe der Häuser

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Noch zeigen große Teile der Stadt ein düsteres Grau, und wenn man das Stiegenhaus betritt, so blättert die alte Leimfarbe wie schmutziger Schorf von den Wänden. Die Stadt, die die schöne Heiterkeit als Grundanlage besitzt, ist dumpf und traurig oft in ihrer farbigen Erscheinung. Geht man den Ursachen nach, so findet man dieselben, die das Leben beklemmend und resigniert machen: die Anstrengung hat keinen „wirtschaftlichen“ Sinn. Das Stiegenhaus oder die Fassade ist Masseneigentum, sie freundlich zu malen, ist individuelle, nicht Massensehnsucht. Nur das Politische, die Sichtbarmachung der Leistung des Wiederaufbaues, des sozialen Wohnbaues, die Reklameabsicht also, gibt Geld für schöne Gärten und Bäder aus und für die häufig sehr knalligen, neu hergestellten und bald verschmutzenden Fassaden. Doch nicht von „Politik durch Farbe“ soll die Rede sein.

Man muß folgendes beachten: Seit dem Siegreichwerden des Japanischen, des Impressionismus also, - vollzieht sich eine Abkehr von der Form zur Farbe. Das gemeißelte oder gegipste Ornament ist tot. Man ahmte es eine Zeitlang in Terrakotta und Zink nach. Aber das Talmi läßt um so mehr die Abneigung wachsen. Es kann/ aber kein HaUs, kein Zimmer, kein Kleid ohne Schmuck, ohne sinnlichen Reiz sein. Der „Reiz“ wurde früher durch ein Spiel von Schatten erzeugt. Aber man kann ihn — sinnlicher noch und billiger — auch mit Farbe bewirken. Das menschliche Antlitz bietet das Vorbild, Es ist, durch Schatten gegliedert, noch interessant, auch wenn es totenbleich ist, Die gesunde Haut belebt es außerdem mit wunderbaren Tönen/ mit Farben. Sie können so herrlich seiri; daß Stupsnase und vollmondige Flachheit dennoch allen vitalen Zauber der Jugend widerspiegeln. Die Form kann durch Farbe ersetzt sein.

Nichts anderes geschieht im heutigen antiformalen Stil mit Kleid und Schrank und Haus. Die „edle Oberfläche“ genügt. Sie kommt ohne Plastik aus. Hier liegt die optische Ursache des Siegeszuges der „Werkform“, die fast immer mehr Struktur und Farbe als Form ist. Statt halb-plastischer Brokatmusterung erscheint die glatte Textur. Der Stoff hat überhaupt keinen ornamentalen Reiz, aber durdi Webart und Rauhung erscheint er als zarter Flaum. Mit der Wolle, dem Holz ist „Kosmetik“ geschehen. Es ist Haut geworden, kostbarer lebender Samt, mit Reflexen an der Schattenseite, durchscheinenden Rändern, atmenden Poren, Es ist „uni“ gemustert. Das Material zeigt sein Gesetz durch die lebendige ordnende Hand, die dieses in Erscheinung treten läßt. Es ist dem Stoff geschehen wie dem geordneten, gebürsteten Goldhaar, wie dem gepflegten Teint, der das Frauen-bild aus dem Gemeinen emporhebt. In der Stellvertretung der Form durch die Farbe liegt der Grund des Sieges des frechen Profils oder des Sieges der Farbenschönheit über die Marmorzüge. Sogar die Sommersprossen sind zulässig, denn Farbe ist vital, Form proportional und Geometrie ist nicht modern.

Die Parallele mit der Natursteinbegeisterühg liegt auf der Hand. Fast sollte man Besessenheit sagen. Wenn Hitler die Betonpfeiler der Autobahnbrücken mit Werkstein bekleben ließ, wenn noch heute kein österreichisches öffentliches Gebäude ohne trutzige Rustikaquader gemacht wird, wenn überhaupt die Natursteine als etwas Nobles und der Putz als etwas Gewöhnliches angesehen werden, so steckt hinter aller dieser Übung unser kosmetisches Zeitalter. Die Oberfläche ist wichtig. Man mag einen tiefen Sinn erkennen. Die Steihfugen bilden ein leichtes Muster. Sie sind auf dem Riesenpfeiler ein kostbares, kostspieliges Cra-quele. Auch Keramik wied edler, wenn auf kunstvolle Weise die Glasur im Ofen reißt. Leder, Holz sind Mode, weil sie Poren, Narben, Fladerühg zeigeh. Durch das Sägen des Steines erscheint verborgenes Ornament. Der muschelige Bruch kunstgerechter Rustika erzeugt im optischen Eindruck schwebende impressionistische Lasuren. Die Patina tut dasselbe. Das Gebäude bekommt Atmosphäre, es Blüht auf wie das Marmorbild, dem Zeus das Blut strömen machte. Und wenn man über die Hitlerschen Steintapeten lacht, so möge man nicht auf die ästhetisch oder artistisch vollkommen parallele Übung der Denkmalrestauratoren vergessen. Auch sie kämmen das alte steinerne oder hölzerne Bildwerk mit Pinsel und Zahnbürste, mit Zahneisen und Schwamm und nehmen manchmal dem Ehrwürdigen durdi Friseurkunst die Würde. Auch ihnen liegt Koloristik, liegt Kosmetik am Herzen, Die Nutzanwendung: Mit billigen Mitteln könnte Irtan die Stadt, die Stiegenhäuser lebhaft und frisch und gepflegt machen, wenn man die Umstellung der Architektur von Form auf Farbe bejaht, also ' die plastische Stuck- oder Steinarbeit durch Anstrich ersetzt. Der Naturstein war und ist am Platze, wo „Geld keine Rolle spielt“.

Solche Aufgaben gibt 6s auch heute, doch sind sie selten. Für die normale Bauaufgabe haben wir mit dar Malerei-Tüncherei ein viel billigeres, viel sinnlicheres und immer wieder herstellbares Mittel an der Hand. In Dresden, in Holland, England wurde durch Jahrhunderte der mit der Zeit schwarz werdende Naturstein mit Ölfarbe gestrichen — welch rotes Tuch für die heutige Werkgerechtigkeit! Mit Erfolg wurde in der Oststeiermark die Buntheit der dörfischen und kleinstädtischen Ortsbilder durch farbige Putzarchitektur wiederhergestellt. Stadtbaudirektor Gundacker hat für Wien eine ähnliche — leider wenig befolgte — Belebung der Straßenzeilen empfohlen. Da und dort sieht man an öffentlichen Gebäuden das Farbenprinzip angewendet. Allerdings sollte die Skala, die im Dorfe richtig ist, in der Großstadt mit Vorsicht verwendet werden. Man muß hier die Töne „auf Nobel“ stellen — was durchaus möglich ist — und das alte Gebäude in die Ausdruckswelt des Modernen (Ton in Ton, zärtliches Grau, gedeckte Skala und dergleichen) einbeziehen. Denn wie könnte man auf Schopenhauers Wort vergessen: „Rot und gelb sind die Farben der Wilden und der Kinder.“

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