Über die Lust an beseelter Materie

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Animistische Vorstellungen, lange als vormodern abqualifiziert, erleben zur Zeit eine Renaissance vor allem in der Populärkultur. Mit der Thematik befasst sich auch eine Ausstellung in der Generali Foundation im Rahmen eines mehrteiligen Projekts.

Das Kuscheltier lacht, wenn es gestreichelt wird. Das Fahrrad muss getröstet werden, wenn es beschädigt wird. Für Kinder besteht kein Zweifel daran, dass auch unbelebte Dinge Gefühle haben und beseelt sind. Anders sieht dies die Erwachsenenwelt. Seit Aufklärung, Kolonialismus und wissenschaftlicher Revolution wurde der Animismus, also die Vorstellung, dass Dinge "anima“ (Seele) und somit auch Handlungsmacht haben, als vormodernes Denken abgetan. Er wird als die Summe abergläubischer Vorstellungen verstanden - als Ausdruck eines primitiven Naturzustandes, in dem die Grenzen zwischen Objekt und Subjekt nicht geklärt sind.

Heute erfreuen sich animistische Vorstellungen in der Populärkultur allerdings wieder großer Beliebtheit, meint Animismus-Forscher Anselm Franke und erinnert an den Erfolgsstreifen "Avatar“. Auch in der Anthropologie kommt es in letzter Zeit wieder zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dieser Thematik und im Zuge dessen zu einer Kritik an der in der Moderne aufgebauten Spaltung in Seele und Körper, in Geist und Materie.

Anfang und Ende des Lebens

Dass Animismus besonders im Feld der Kunst vielfältig thematisiert wird, zeigt jetzt eine Ausstellung in der Generali Foundation. Das mehrteilige Projekt - es gab dazu bereits Ausstellungen in Antwerpen und Bern - präsentiert Künstler und Künstlerinnen, die in ihren Arbeiten die strenge Grenzziehung zwischen Subjekt und Objekt, auch zwischen Realität und Imagination ansprechen. Wer die Schau mit der Erwartung besucht, hier gäbe es weltfremde, traumhaft-phantastische Kunstwerke zu sehen, irrt. Die Werke sind höchst politisch. Sie thematisieren nicht nur die Handlungsmöglichkeiten der Kunst und der Kunstinstitutionen selbst, sondern sprechen auch Probleme des Postkolonialismus an und fragen nach dem Anfang und Ende von Leben.

So haucht Jimmie Durham gefundenen Steinen als Inbegriff toter Materie quasi Leben ein, indem er sie mit Gesichtern bemalt, ihnen Texte beistellt und diese "Steinpersönlichkeiten“ dann wie gefallene Meteoriten in Vitrinen ausstellt. Einprägsam ist auch die an eine versuchsartige Laborsituation erinnernde Installation "Tiempo, 2da. versión“ (1991) des argentinischen Künstlers Victor Grippo. Der ausgebildete Chemiker und Konzeptkünstler zeigt hier, wie vier Kartoffeln als Batterieantrieb für eine digitale Uhr dienen. Dass Grippo in seinen "animierten“ Skulpturen bevorzugt Kartoffeln verwendet, hängt auch mit der Geschichte Lateinamerikas zusammen, schließlich haben die Andenvölker Kartoffeln lange vor den Europäern kultiviert. Er verweist damit genauso auf die Bedeutung der Kartoffel als zentrales Nahrungsmittel der Armen.

In Erinnerung bleiben auch die Diaprojektionen von Ana Mendietas. Die in Kuba geborene und in die USA emigrierte Künstlerin befasste sich in ihren Erd-Performances der 70er Jahre mit den Grenzen zwischen Natur und Mensch, zwischen Mensch und Tier, indem sie weibliche Silhouetten in die Erde formte oder in einer Performance eine Kollegin mit Vogelfedern bedeckte. Spannend zu beobachten ist die Mischung der Einflüsse: Einerseits bezog sich die Künstlerin auf die westliche Performancekunst, andererseits auf die afrokubanische Naturreligion "Santeriá“: "Meine Kunst fußt im Glauben an eine universelle Energie, die alles durchzieht: vom Insekt zum Menschen, vom Menschen zum Gespenst, vom Gespenst zur Pflanze, von der Pflanze zur Galaxis.“

Wer nach der Ausstellung noch Lust auf mehr beseelte Materie hat, dem bietet sich eine ergänzende Filmreihe im Filmcasino an. Lesenswert ist auch die Begleitpublikation, die sich dem Phänomen aus unterschiedlichen, theoretischen Perspektiven nähert.

Animismus. Moderne hinter den Spiegeln

Generali Foundation, 1040, Wiedner Hauptstr. 15

bis 29. Jänner 2012, Di-So 11-18, Do bis 20 Uhr

Filmprogramm zur Ausstellung im Filmcasino Wien: So 13 Uhr

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