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Überwindung der Steppe ?

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Zu den gewaltigsten Ereignissen unserer Menschheitsgeschichte in den letzten drei Jahrhunderten gehört die Ausweitung der Kulturlandschaft über einen Teil der Trockengebiete der Erde. An Stelle einer von Nomaden mit ihren Herden durchzogenen Naturlandschaft entsteht in breiter Front in den Steppengebieten mit Jahresniederschlägen von 500 Millimeter und weniger eine stark durchsiedelte Kulturlandschaft. Damit ist aber ein entscheidender Wendepunkt in der menschlichen Siedlungsgeschichte erreicht, da nun mehr als die 1 lälfte der gesamten Erdoberfläche durch Europäer und ihre europäischen Kulturformen neu in die Sphäre der Acker-b.iukulruren einbezogen wird. Landschaften, die vorher nur wenigen tausenden Menschen als Lebensraum dienten, werden nunmehr vielen Millionen Menschen zur neuen I leimst.

Die einzelnen Stufen der Tnkulturnahme des Stepprnlandes zeigen sowohl in Süd-rußltnd als auch im Präriegürtel Nordamerikas, ja selbst in der Pampa Argentiniens bemerkenswerte Parallelen, obwohl die Siedler unter ganz verschiedenartigen Voraussetzungen am Werke waren.

Die Kolonisation der weiten Grasfluren des südlichen Donau-Theiß-Tieflandes im Zuge der lubsburgischen Siedlungspolitik im 18. Jahrhundert gilt allgemein als der erste, beispielgebende Versuch zur agrarischen Erschließung dieser Naturräume. Viele der von österreichischen Beamten und den deutschen Siedlern im Banat erprobten Wirtschaftsmethoden sind bei der spater beginnenden Besiedlung des südrussischen Steppenr.iumes mitberiieksfchtigt worden. Auch hier sind neben Russen und Ukrainern Deutsche an der Erschließung der Steppe beteiligt. Südruffland ist später die alte Heimat vieler Kolonisten der nordamerikanischen Prärie und der südamerikanischen Pampa, die „Russen“ zeigen dort Musterbeispiele vorteilhafter Sreppenwirt-?chaft. Von verantwortlicher Se.ite ist in den Vereinigren Staaten im Zusammenhang mit dem Problem der Bodenzerstöi ung in den Trockengebieten des mittleren Westens oft auf die vorsichtige Wirtschaftsweise der auf bäuerlicher Grundlage aufgebauten rußlanddeutschen Kolonistcnsiedlungen dei amerikanischen Westens hingewiesen worden. Der berühmte südrussische Krimweizen wird die Grundlage zahlreicher, an die Trockenheit der Prärie angepaßter Weizensorten des amerikanischen Westens.

Der geschichtliche Ablauf des weltumspannenden großen Siedllingsvorganges zur Erschließung der Steppengebiete der Erde hat bis zur Stunde etwa 70 Millionen Menschen neuen Lebens-räum geschaffen und zeigt einen fast gleichartigen Entwicklungsgang in der Alten und in der Neuen Welt. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ist sowohl der europäische als auch der nordamerikanische Steppenraum noch fast zur Gänze ein Gebiet extensiver Weidewirtschaft oder noch reine Naturlandschaft. Die Prärie ist das Jagdgebiet schweifender Indianerstämme, Pelzjäger und Trapper; Südrußland, südlich einer Linie von Kischinew über Charkow nach Samara an der Wolga, zum großen Teil der Lebensbereich nomadisierender turktatarischer Völkergruppen.

In der ersten Flälfte des 19. Jahrhunderts werden nun die Sreppenlandschaften der

Prärie in den Bereich europäischer Viehweidewirtschaft einbezogen. Das eingeführte Langhornrind belebt die Prärie, die erst später in F.inzelfarmen aufgeteilt wird. Auch die südrussischen Steppengebiete werden nach der Eroberung durch die Russen noch zum größten Teil als Viehweide verwendet und nur an einzelnen Stellen, meist durch Ausländer, agrarische Siedlungen gegründet. Zur selben Zeit, als in Nordtexas um 1820 die ersten Siedlungskolonien entstehen, erreichen die ersten Spitzen der großen atlantischen Wanderung durch den amerikanischen Kontinent die Pazifische Küste. Zur selben Zeit beleben sich die neugegründeten Städte an der russischen Schwarz-meerküste mit Siedlern, die den Steppengürtel überwunden haben. Ist in Nordamerika die Rindviehweidewirtschaft mit aus Europa eingeführten Rassen die Vorstufe landwirtschaftlicher Erschließung der Steppengebiete, so ist es in Südrußland die Schafzucht, vor allem die Merinozucht, die hier von Fremden, Deutschen und Franzosen betrieben wurde.

Nach 1850 vollzieht sich endlich die Erschließung der Steppengebiete durch bäuerliche Siedler, die das Grasland umackern und das Land in eine Kultursteppe, eine einseitige Getreide- und Maismonokulturlandschaft, verwandeln, wesentlich gefördert durch den Bau der Eisenbahnen. Dies gilt für den nordamerikanischen Westen ebenso wie für Südrußland, Sibirien und die argentinische Pampa. 1861 wird in Rußland durch das Gesetz über die Aufhebung der Leibeigenschaft die Beweglichkeit der bäuerlichen Bevölkerung noch wesentlich erhöht. In Nordamerika fördern die Eisenbahngesellschaften mit ihren Landplanungsunternehmungen die Ansiedlung in den Steppengebieten. Bald ist in den Steppenstaaten das ursprüngliche Landschaftsbild weitgehend umgestaltet. Je weiter jedoch die Siedlung in die Richtung auf die Trockengebiete unter 250 Millimeter Jahresniederschlag sich vorwagt, um so abhängiger werden ihre Erträge von den Schwankungen des Niederschlages in den einzelnen Jahren. In Trockenjahren müssen viele Farmen an der äußersten Front wieder aufgegeben werden. Ähnliches ereignete sich, im allgemeinen etwas später, auch im süd- und südostrussischen Raum.

Weit schwerwiegender als Mißernten in Dürrejahren ist das Einsetzen der Bodenerosion auf den der Grasnarbe entblößten Böden. Staubstürme wehen die lockere Ackererde weg, besonders bei Kulturen, die einer geschlossenen Vegetationsdecke entbehren (Mais). Eine Versalzung der Böden setzt ein und beeinträchtigt die Erträge. Insgesamt ist für den südrussischen Steppenraum eine Zerstörte Kulturlandschaftsfläche vn rund 13.000 Quadratkilometer errechnet worden. An anderen Stellen hat die Bodenerosion schon mehr als 50 Prozent der landwirtschaftlichen Kulturfläche ausgeschaltet. Im amerikanischen Westen wird für das Jahr 1932 für ein 230.000 Quadratkilometer großes Gebiet eine total zerstörte Bodenfläche von 14.700 Quadratkilometer angegeben, während rund 85.000 Quadratkilometer als schwerstens gefährdet und Leute schon sicher als teilweise zerstört dazuzuschlagen sind. Durch Abspülung und Ab wehung der nährstoffreichen Oberböden kommt der an organischen Stoffen arme Unterboden überall zutage. Der Nährwert der Gräser auf der sich wieder bildenden Grasfläche aufgegebener Landwirtschaftsflächen hat sehr stark abgenommen. Der Grundwasserspiegel ist überall gesunken., die Wucht der Elementarkatastrophen nimmt daher in diesen Gebieten überall größte Ausmaße an.

Sowohl in Nordamerika als auch in Südrußland beginnt man sich daher sehr energisch gegen diese Zerstörung des erst vor wenigen Jahrzehnten gewonnenen Kulturlandes zu Wehren. In den USA soll die landwirtschaftliche Nutzfläche im ganzen trockenen mittleren Westen um 8 Millionen Hektar verkleinert werden, wodurch tausende Farmer ihren Besitz aufgeben müßten. In Südrußland versucht man durch Anlage von schmalen Waldstreifen und anderen bodenverbessernden und die Kraft des Windes abschwächenden Maßnahmen den

Kampf gegen die Zerstörung des Kulturbodens aufzunehmen.

Der Mensch ist also heute an vielen Stellen unter schweren Mühen genötigt, die Ausweitung seines Kulturraumes in die Trockengebicte der Erde gegen die durch seine eigene Tätigkeit ausgelösten Zerstörungen zu schützen und zu verteidigen. Der Umbau eines alten Weidewirtschaftsgebietes in eine intensive landwirtschaftliche Kulturlandschaft erscheint, zumindest nach unseren heutigen Kenntnissen und Erfahrungen, doch nur teilweise geglückt zu sein. Ob diese Gebiete und das ihnen innewohnende Lebensgesetz durch den Menschen und seinen Gestaltungsdrang endgültig . in andere Bahnen gelenkt werden kann, ist nach den Erfahrungen gerade der letzten Jahrzehnte zumindest umstritten.

Ich halte es für die Regel, daß die großen V/erke das Ergebnis bescheidener Absichten waren. Der Ehrgeis darf nicht am Aniang stehen, nicht vor dem Werk; er muß mit dem Werk heranwachsen, das sich selber größer will, als der heiter staunende Künstler es meinte -— mit jenem verbunden sein und nicht mit dem Ich des Künstlers. Es ist nichts falscher als der abstrakte und vorsachliche Ehrgeiz, der Ehrgeiz an sich und unabhängig vom Werke, der bleiche Ehrgeiz des Ich. Thomas Mann, Meerfahrt mit Don Quijote

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