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Um den Opernbau

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Die Aussprache über den Wiederaufbau der Staatsoper, welche die „österreichische Furche“ eröffnet hat, wird nicht nur den Fachmann, sondern jeden Wiener und Österreicher — und darüber hinaus vielleicht die Musikfreunde der ganzen Welt — mit größtem Interesse erfüllen: gilt es doch in letzter Stunde die bisher offenbar nicht ausreichend beantwortete Frage des Wiederaufbaus eines der ersten Kunstinstitute der

Musik und des an Tradition — neben der Mailänder Scala — überhaupt reichsten Opernhauses der Welt einer Lösung zuzuführen, welche vor Mit- und Nachwelt bestehen kann.

Hier sei zur Beruhigung der Skeptiker gleich vorweggenommen, daß die mittlerweile in Angriff genommene Wiedererrichtung des Tonnendaches in der alten Form keinerlei Präjudiz für die Gestaltung des

Saales selbst schafft, denn auch früher dienr ten die berüchtigten Galeriesäulen nicht der Unterstützung des Daches, sondern lediglich den Galerien selbst, beziehungsweise der Saaldecke, soweit die letztere nicht an den eisernen Bogenträgern — die man auch nach der Katastrophe noch als Skelette gegen den Himmel starren sah — mit Zugankern angehängt war.

Wenn also bereits jetzt das Dach in ähnlicher Weise errichtet wird, so ist das nur zu begrüßen, weil darin wenigstens ein ernster Anfang des Wiederaufbaus zu erblicken ist und der Ausbau von Saal und Bühne später unverzüglich und ohne Behinderung durch die Witterung6einflüsse vor sich gehen kann. Was die Gestaltung des Saales anbelangt, so muß die Behandlung dieser Frage zweigeteilt werden, und zwar in eine praktisch technische und in eine rein künstlerische.

Jeder Besucher der Wiener Oper — der Verfasser zählt sich selbst mit vier bis fünf wöchentlichen Besuchen auf den verschiedensten Platzkategorien durch zwei Jahrzehnte wohl mit Recht zu den eifrigsten und begeistertsten Opernfreunden — empfand trotz aller Schönheit und intimen Festlichkeit des Saales die Säulen auf den Ga lerien, welche über die Hälfte der Galerieplätze entwerteten, als äußerst störend.

Der Laie fand sich mit dieser vermeintlich technischen Notwendigkeit ab, verwünschte sie aber trotzdem jedesmal, wenn er einen Säulensitz in Kauf nehmen mußte oder einen jener ganz berüchtigten Plätze, die zwar nicht als Säulensitze bezeichnet waren, wo man aber trotzdem eine der vielen Säulen im Blickfeld hatte. Ebenso unmöglich wie die Säulensitze waren die seitlichen Galeriesitze von der dritten Reihe angefangen! Man sollte also meinen, daß eine radikale Beseitigung dieser krassen Mängel des Zuschauerraums, welche technisch ohne sonderliche Schwierigkeiten zu erreichen ist, selbstverständlich und außer jeder Diskussion stehen müßte!

Eine weitere praktische Frage ist die Erhöhung der Anzahl der Sitzplätze im Hause. Der hier zu beschreitende Weg wurde vpn Prof. Dr, Lehmann in seiner kritischen Betrachtung bezüglich des Parketts in überzeugender und auch für den Laien leicht verständlicher Art und Weise beschrieben. Tatsächlich läßt sich die Zahl der Parkettsitze durch Erweiterung des Saalrundes um die Tiefe der alten Logen um mindestens 200 bequeme Sitzplätze erhöhen. Die neuen Logen würden ungefähr an die Stelle der ehemaligen überflüssigen Logenvorsalons zu liegen kommen — wo- bei die Frage, ob überhaupt so viele Logen auszuführen sind, nicht von besonderem Belange ist.

Ebenso kann durch die Erweiterung des Rundes die Zahl der Galerie- und Rangsitze um mindestens 400 bis 500 Plätze erhöht werden, ohne daß an den Seiten mehr als zwei Reihen angeordnet und ohne daß die Ränge in den Saal vorgebaut werden müßten, was die Raumwirkung völlig zerstören würde. Damit führt die Betrachtung aber bereits auf das künstlerische Gebiet der Saalgestaltung.

Hier aber scheint dem Verfasser schon dadurch, daß es sich um eine im wahren Sinne des Wortes historische Kulturstätte handelt, welche in ihrer Erscheinung und Formensprache für Wien, Österreich und — man kann getrost sagen — die ganze Welt ein Begriff war und geblieben ist, nur e i n Weg gangbar: die Beibehaltung der alten Grundform des Saales in proportional erweiterter Form und die bewußte Anwendung der Formensprache des Schöpfers dieses Bauwerkes, das im 19. Jahrhundert an Einheitlichkeit kaum seinesgleichen hat.

Dieser Weg wird noch durch die erhaltengebliebenen, sehr wesentlichen Gebäudeteile und der Fassade geradezu gebieterisch gewiesen: hier ist nicht der Platz, eine Kollektion verschiedener Werke künstlerischer Individualitäten, und seien sie noch so bedeutend, zur Schau zu stellen und in unwillkürlichen Wettbewerb treten zu lassen oder gar zu experimentieren. Man erinnere sich nur, wie sehr der einzige, in einer späteren Zeit hinzugefügte graue Rauchsalon mit dem Büfett, trotz den schönen Kristallüstern und einer an sich gefälligen Gestaltung, aus dem Rahmen fiel!

Beim Wiederaufbau der Wiener Oper muß sich daher jeder Baukünstler auf die Gefahr hin, von allzu neuerungssüchtigen Zeitgenossen als „steriler Eklektiker“ verspottet zu werden, dem Gesamtwerk unterordnen und aus dem Gebäude in künstlerischer Hinsicht das machen, was Wien, Österreich und die Welt davon erwarten — die alte Wiener Oper, die jeder sofort als solche wiedererkennt; Glanz und Kultur der Wiener Vergangenheit müssen hier Wiedererstehen, allerdings in einer der geschichtlichen Entwicklung entsprechenden Abwandlung einiger Einzelheiten durch Vermeidung rein höfischer, feudaler Elemente, wie Baldachine, Embleme, Initialen usw.

Dies wird auch das sicherste- Mittel sein um bloße akustische Wahrsagerei, wie Prof. Dr. Lehmann treffend sagt, zu vermeiden. Man kann vielmehr sicher sein, daß eine ähnliche Saalform mit den charakteristischen Bogenverschneidungen in der großen Hohlkehle unter der Decke, eine ähnlich reiche, plastische Ornamentik der Balkonbrüstungen aus dem gleichen Material wie früher — nämlich vorwiegend getriebene Zink- oder Kupferblechtafeln — und insbesondere eine horizontale reichprofilierte Decke die gleiche metallisch weiche und ausgleichende akustische Wirkung ergeben werden wie im alten Haus.

Welche eminente akustische Gefahren der Versuch einer Wölbung der Decke mit sich brächte, zeigt manch lebendes Beispiel (unter anderem der Große Konzerthaussaal im Vergleich zum Musikvereinssaal in

Wien), ganz abgesehen von den künstlerischen Bedenken, welche eine rein deckengemäldeartige Behandlung einer so großen, architektonisch nicht gegliederten, riesigen Kuppelschale mit sich bringen würde.

Am Schlüsse sei noch die grundrißliche Lösung der Foyerräume kurz, gestreift, obwohl auch hier Prof. Dr. Lehmann das Wesentlichste bereits hervorgehoben hat — nämlich die unerläßliche Notwendigkeit von Querverbindungen durch breite Wändelgänge just an jenen Stellen, wo früher — und scheinbar auch in dem neuen sogenannten „Grundprojekt“ — die Klosettgruppe gelegen wäre. Daß ferner alle Foyerraume künftig erweitert und im Erdgeschoß und ersten Rang beiderseits — also auf der Kärntnerstraßen- und Operngassenseite — ungefähr symmetrisch angeordnet werden müssen, ist für den Fachmann wohl selbstverständlich.

Es besteht kein Zweifel, daß sich bei diesem Bauwerk, trotz Unterordnung in den Gesamtstil, dem Architekten ein abwechslungsreiches und befriedigendes Schaffensgebiet eröffnet, auch ohne daß jedes Formelement „neu“ und „anders“ ausfallen muß!

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