Unaufdringlich auffällig

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Der kanadische Fotokünstler Jeff Wall im Museum Moderner Kunst in Wien.

Die Erfindung der Fotografie löste die euphorische Erwartungshaltung aus, man sei nun endlich in der Lage, die Wirklichkeit genau so abzubilden, wie sie in Wirklichkeit ist. Die Zeit der verschobenen Realität, wie sie Malerei oder Grafik über Jahrtausende hinweg den Menschen mangels besserer Möglichkeiten vorsetzte, schien vorbei, all diese manipulativen Künste wurden nunmehr vom unüberbietbaren wirklichkeitstauglichen Übertragungsmedium abgelöst. Wurden erstere dadurch in eine defensive Stellung gedrängt, galt es für zweitere, die technische Entwicklung auf die Spitze zu treiben, damit die Welt da draußen und deren Bannung auf ein Stück Fotopapier möglichst deckungsgleich ist.

Bilder als Propaganda

Natürlich dauerte es nicht lange und die Euphorie war verflogen. Man erkannte sehr bald, dass die Fotografie genauso manipulativ einsetzbar ist wie etwa die Malerei, mit dem entscheidenden Vorteil, dass sich die Mähr von der größeren Realitätstreue der Fotografie weiterhin in der landläufigen Einschätzung aufrecht erhielt und diese damit größere Glaubwürdigkeit genoss. Geschult von den Propagandainszenierungen totalitärer Systeme zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den Raffinessen heutiger Werbestrategien interessierten sich Fotografen bald für die inhärenten Möglichkeiten ihres Mediums und machten diese zum Gegenstand ihrer Arbeiten. Als einen herausragenden Vertreter dieses Zugangs darf man zweifelsohne den Kanadier Jeff Wall ansehen.

In Zeiten, in denen es zu den Reduktionen von Abstraktion und Konkreter Kunst wieder zu Gegenentwürfen kam, die von Mehrfachkodierung und prinzipieller Doppelsinnigkeit sprachen, entwickelte der kunsthistorisch geschulte Jeff Wall seine Arbeiten. Im seit Maurice Merleau-Ponty theoretisch breit diskutierten Feld der Zwischenspiele von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit peilte Jeff Wall so etwas wie die "totale Sichtbarkeit" an, indem er seine Fotos als Folien auf Leuchtkästen montiert. Auch in theoretischen Äußerungen bekundet er, alle Schatten auf seinen Bildern eliminieren zu wollen und damit auch alle metaphysischen Uneinholbarkeiten von vornherein zu umgehen: "Schatten sind ihrer Tradition nach reich an Implikationen und Bedeutungen, die einer theologischen Naturästhetik und Lichtmetaphysik entstammen." Daher lösen seine Bilder auf den ersten Blick auch eher Assoziationen aus, die in Richtung von Warenfetischismus, gesellschaftlicher Regulierung und einer prinzipiellen Entzauberung der Welt weist, wie sie das moderne Weltbild nun einmal auszeichnet.

Den Schatten eliminieren

Der Blick von Jeff Wall auf die schöne neue Welt bedient sich jedoch der glatten Oberflächenästhetik bloß, um sie mit umso größerer Schonungslosigkeit nicht nur zu kritisieren, sondern ihre Zirkelschlüsse bildnerisch ad absurdum zu führen. Denn seine unübersehbare Vorliebe gilt dem Rand, den Menschen vom Rand, den Interieurs und den Gegenden vom Rand. Durch die Bevorzugung des Kleinen und Mickrigen und dessen perfekte Inszenierung in der Machart eines international erfolgreichen Werbeunternehmens erhofft sich Jeff Wall, "den Schleier ein wenig zu lüften, der die objektive gesellschaftliche Misere und das katastrophische Wirken ihrer Wertgesetze verdeckt". Unter diesem Schleier entdeckt er eine Art gesellschaftlich Unbewusstes am Werk, das "automatisch" und "mechanisch" hereinbricht, es sind jene Gesetzmäßigkeiten, die im Hintergrund die Werte des Kapitalismus konstituieren und aufrecht erhalten.

Der hohe Bewusstseinsgrad über die Grundlagen der Fotografie, etwa die Diskussion über den Rahmen von Plato bis in die Renaissance oder über die Auswirkungen der Perspektive, bei gleichzeitigem Einfühlungsvermögen in spezifische Unzulänglichkeiten der zeitgenössischen Befindlichkeit, verleiht den Arbeiten von Jeff Wall eine überzeugende innere Stringenz. Seine Fotos sind nicht nur "selbstbewusste" Kunstwerke, sondern sie sind ebenso sensibel für ihr Außen, das sie darstellen. So werden etwa auf "Insomnia", "Doorpusher", "Milk" oder "Man with a Rifle" spezifische Gesten und Körperhaltungen in der fotografischen Momentaufnahme aus dem alltäglichen Handlungsablauf herausgefiltert und dadurch einer Monumentalität im klassischen Sinn zugeführt. Die Protagonisten sind Randexistenzen und sie halten sich auch in Gegenden am Rand auf; im Bild allerdings entwickeln sie sich zum Zentrum, die Betrachter sind aufgefordert, ihre unscheinbaren, linkischen oder gespreizten Bewegungen näher unter die Lupe zu nehmen - beinahe noch ein zweites Mal zu fotografieren -, um die von Jeff Wall in die Dünne seiner Oberflächenästhetik verpackten unaufdringlichen Auffälligkeiten richtig genießen zu können.

Menschliche Spuren

In den menschenleeren Arbeiten wie "The Destroyed Room", "Swept", "Cuttings" oder den "Diagonal Compositions" verlagert Jeff Wall all seine Spitzfindigkeiten in die Spuren einer vorgängigen menschlichen Anwesenheit. In den wenigen Arbeiten, die eine menschliche Begegnung zeigen, läuft Jeff Wall zur Höchstform auf, wie etwa bei "Picture for Women", von dem Thierry de Duve sagt, ihm sei kein anderes Foto bekannt, "dem es besser gelungen wäre, die Unsichtbarkeit der Bildoberfläche ins Bild zu setzen. Alles auf diesem Bild ist klar, die gesamte Prozedur offen gelegt, nichts bleibt verborgen, und seine totale Sichtbarkeit blendet". Eine kongeniale Verbindung von sorgfältigem Studium sozialer Mikrowelten und hoher Reflexion der eigenen fotografischen Praxis.

Jeff Wall - Photographs

Museum Moderner Kunst

1010 Wien, Museumsplatz 1

Bis 25. Mai Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr

Jeff Wall - Photographs

Verlag der Buchhandlung Walther

König, Köln 2003, 201 Seiten, e 22,-

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