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Unberührte Regionen Chinas

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Bei aller Begeisterung über Chinas touristische Attraktionen sollte die Verstöße des kommunistischen Regimes nicht vergessen werden.

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Bei aller Begeisterung über Chinas touristische Attraktionen sollte die Verstöße des kommunistischen Regimes nicht vergessen werden.

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China - einer unermeßlichen Fülle an Kulturschätzen und Natür-schönheiten stehen krasse Menschenrechtsverletzungen eines der letzten kommunistischen Regime gegenüber. Auch der wirtschaftliche Aufschwung kann nicht über die gewaltigen Demokratie-Defizite hinwegtäuschen. Dennoch erfreuen sich China-Reisen steigender Beliebtheit. Fernab der international frequentierten und auf Westtourismus getrimmten Chinarouten ist das „Land des Drachen" immer noch ein Abenteuer.

Drei Fremdenverkehrs-Fachleute des „Austrian Senior Experts Pool" (ASEP), die auf Einladung der chinesischen Regierung das Land bereisten, konnten sich davon überzeugen. Mit der Aufgabe betraut, die Chancen für einen internationalen Tourismus in den chinesischen Provinzen Sichuan und Hubei, in Zentralchina, abzuschätzen, machten sich die drei Mitglieder des „Osterreichischen Senioren Experten Service" - eine Organisation, die das Ziel verfolgt, das Wissens- und Erfahrungspotential pensionierter Manager nicht brach liegen zu lassen -auf den Weg.

Sichuan, die größte der chinesischen Provinzen im Südwesten Chinas, beherbergt auf einer Fläche von der Größe Frankreichs, rund 13 mal mehr Menschen als Österreich. Über 100 Millionen Chinesen und 15 Nationalitäten leben in dieser Region. Die Nachbarprovinz Hubei, mit ihren rund 50 Millionen Menschen, nimmt sich dagegen bescheiden aus.

Die abenteuerlustigen Fachleute mußten gewaltige Strecken bewältigen. Während ihrer dreiwöchigen Reise legten sie 4.500 Flug-Kilometer und zusätzlich 1.200 Bus-Kilometer zurück. Letzteres ist als eine wahre Heldentat zu betrachten, denn Chinas Landstraßen, mit Schlaglöchern übersät - haben die Wirkung eines langanhaltenden Rüttelbrettes. Und zur Verkehrssituation meinte ein Teilnehmer: „Am besten war es, die Augen zu zumachen, denn mit offenen Augen fiel man von einem Herzanfall in den anderen. Verkehrsregungelungen gibt es in China keine. Man hat den Eindruck, die Leute rennen direkt auf das Auto zu. Auch hier, im Straßenverkehr, entsteht das bedrückende Gefühl, daß bei 1,3 Milliarden Chinesen der Individualität des einzelnen Menschen keine Bedeutung zugemessen wird."

Riskiert man einen Blick aus dem Bus, wird man nachdenklich gestimmt. Menschen, viele Menschen schleppen ungeheuer schwere Lastkarren. Bei Straßenbaustellen sieht man nicht das im Westen bekannte Bild der arbeitenden Maschinenungetüme - Menschen und immer wieder Menschen sind zu sehen. In zerfetzten grünen Turnschuhen schleppen sie die mit Baumaterial gefüllten Bastkörbe. Daß ein großer Prozentsatz dieser Schwerarbeiter Frauen sind, verstärkt noch die Dramatik des Straßenbildes.

China ist das Land des Fahrrades. Nicht nur als Fortbewegungsmittel dient der „Drahtesel" hier, er ist das Haupttransportmittel schlechthin. Bepackt bis oben mit schweren Lasten, ist der Fahrer oft nicht mehr zu sehen.

Von Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, mit ihren neun Millionen Einwohnern und einer sehenswerten Altstadt ging es weiter nach Dujiangyan. Die Attraktion hieß hier: der Zweikönigstempel. Altbundespräsident Rudolf Kirchschläger und der ehemalige US-Präsident Richard Nixon, so wurde berichtet, sahen dieses traditionsreiche Bauwerk anläßlich eines Staatsbesuches.

All diese Kulturschätze sind nicht - das wurde schon erwähnt - in den üblichen, international angebotenen Chinapauschalreisen enthalten.

Es fehlt hier, in den von den österreichischen Experten bereisten Provinzen Sichuan und Hubai, trotz Inländer-Fremdenverkehr, die Infrastruktur, die eine internationale Reiseklientel vorzufinden gewohnt ist. Woran mangelt es? Dazu der Hotelexperte des ASEP-Reiseteams: „Es fehlt zwar nicht an Hotels. Die Dreistern- und Zweisternhotels entsprechen, zumindest was den Bau betrifft, absolut dem internationalen Standard. Sie müßten jedoch den Bedürfnissen des internationalen Gastes angepaßt werden, betreffend

Sauberkeit und Hygiene der Räume, Teppiche, Bäder, Vorhänge, Speisesäle, Geschirr und Gläser - wenn überhaupt vorhanden. Ein weiteres Problem ist dann noch die Sprache. Das Hotelpersonal müßte wenigsten soviel Englischkentnisse haben, um die Wünsche der Gäste entsprechend entgegen nehmen zu können."

Doch weiter zu den Sehenswürdigkeiten. Ein Sessellift führt auf den Heiligen Berg Quigcheng, der Pilgerstätte der Taoisten. Auch hier, bei Arbeiten für touristische Einrichtungen wie Hotels und Restaurants, sieht man wieder eine Unzahl von Menschen. Mit dem Stemmeisen brechen sie große Felsblöcke aus dem Berg und zerkleinern sie dann mit einem Hammer. In den für China typischen Tragkörben wird das Gestein weggetragen. Vorher steigen die chinesischen Arbeiter auf eine Waage, was den Eindruck macht, als ob sie nach der geschleppten Last bezahlt würden.

Ein besonderes Juwel dieser Gegend ist der Nationalpark Wuwushan. Von den Einheimischen wird der Park poetisch als „Königreich der Blumen", „Bett des Schnees" und „See der Wolken" bezeichnet. Auch Chinas Volksliebling, der Pandabär lebt hier. Die naturgerechte Gestaltung des Nationalparks begeisterte auch die Österreicher, die ihn gerne als Vorbild für heimische Nationalparks sehen würden.

Leshan, mit seiner 70 Meter hohen, aus dem Fels herausgehauenen Buddastatue, war das nächste touristische „Highlight" der Provinz Sichuan. Hier befindet sich auch der größte buddhistische Tempel Chinas, inmitten der wildromantischen Landschaft des 3.300 Meter hohen Emei-Berges.

Die Weiterreise nach Wuhan, in der Provinz Hubei, erfolgte mit dem Flugzeug. Bequem, schnell und verwöhnt von den höflichen, um den Gast bemühten chinesischen Stewardessen. Welch ein Unterschied zu den holprigen Landstraßen! Doch die nächste Busfahrt war schon vorausprogrammiert: nach Yichang.

Der Yantze-Fluß, der in den tibetanischen Hochplateaus entspringt, ist hier bereits 2.000 Meter breit. Über den Fluß führt eine einzige Brücke. Gewaltige Staus sind vorprogrammiert.

Hier am Yantze, in der eindrucksvollen Landschaft der „Drei Schluchten" ist ein gigantischer Damm in Planung - als Demonstration zeitgenössischer Ingenieurskunst. Von diesem, von Umwelt- wie Menschenrechtsorgansiationen glei -chermaßen heftig kritisierten Projekt, soll auch der Fremdenverkehr profitieren. Der Regierung ist dieses Prestigeobjekt sehr wichtig: wenn der Damm fertig ist, müssen 1,2 Millionen Menschen dieses Gebiet verlassen. Ausweichquartiere sind bereits im Bau.

In unmittelbarer Umgebung des zukünftigen Megadammes gibt es allerdings auch Sehenswürdigkeiten „sanfterer" Art. Eine Störzuchtanstalt - mit Exemplaren bis zu vier Metern und 700 Kilogramm schwer als Lieferanten für den echten chinesischen Kaviar - ist ein Beispiel für eine weniger umstrittene Fremdenattraktion.

Großartige Kulturschätze, eine Unzahl von Klöstern, Pagoden und eine beeindruckende Landschaft, dazu der fernöstliche Reiz des Landes - warum also kein nennenswerter internationaler Tourismus?

Zurzeit, so die Meinung eines österreichischen Tourismusfachmannes, fehlt in China, abseits der gängigen und bekannten Touristenströme, eine professionell Fremdenverkehrs-Infrastruktur. Reisen nach Zentralchina sind daher ein Abenteuer. Doch wen das Abenteuer lockt und wer bereit ist mit Schwierigkeiten fertig zu werden, kann eines der vielen „noch" verborgenen Gesichter des „chinesischen Drachens" kennenlernen.

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