6754985-1967_42_24.jpg
Digital In Arbeit

Unser Bau in Montreal

Werbung
Werbung
Werbung

EINE WELTAUSSTELLUNG GEHT ZU ENDE. Noch ist es zu früh, um Bilanz zu ziehen, Erfolg oder Mißerfolg zu analysieren. Rückschauend muß sich Österreich die Frage stellen: Was wollten wir über, haupt in Montreal? Wir wollten auffallen und werben. Es liest sich freilich anders. „Um die Vielgestalt der Gesichter Österreichs in einem eindrucksvollen Bau auszudrücken, wurde“, so heißt es in einer der offiziellen Aussendungen, „ein Leitbild der Bauform gewählt, das Assoziationen zu kristallinen Strukturen vermittelt.“

Oder: „Gedanken an Berge, Edelsteine, Romantik und Landschaft sollen ebenso angesprochen werden wie Vorstellungen von , Präzision, Geometrie, Technik, Systematik, Geist, Kunst und Schöpfung.“

Anderen Interpreten zufolge weist unser Pavillon hin „auf die Vorstellungen von Präzision, Geometrie, Technik, Systematik, Korrektheit, aber auch von künstlerischem Empfinden.“

Glücklich, wer seinen Hang zu wolkiger Unklarheit mit Hilfe einer für solche Zwecke so herrlich geeigneten Sprache abreagieren kann. Andere haben in Montreal so ge-

baut, wie die oben zitierten Autoren schrieben.

*

DA HABEN SICH HÄUSER als rote Bälle und als schwarze Suppenteller verkleidet. Da steht ein mißgestalteter Turm aus Gips, fest steht er und treu, und beleidigt das Auge — Großbritanniens „Blickfang“. Da stehen grüngestrichene Gipsdolomiten (oder sind sie aus Holz?), sie stehen für Kanadas Wälder. Da beißen einander die Farben, da symbolisiert bizarr in die Höhe Ragendes nichts als die eigene Sinnlosigkeit und die aufgeblasene Einfallslosigkeit des Architekten.

Es war nicht leicht, in Montreal aufzufallen und doch geschmackvoll zu bleiben. Dem Schöpfer des österreichischen Pavillons, Professor Schwanzer, ist dieses Kunststück geglückt.

So wie der Pavillon der Schweiz hinter unserem versteckt ist, sollte der österreichische Bau seinerseits hinter dem einer anderen kleinen Nation verschwinden. Platz ist rar auf der EXPO und es war sehr schwer, ihn gerecht zu verteilen. Doch jene andere kleinere Nation hat im letzten Augenblick auf ihre Beteiligung verzichtet, das für sie reservierte Grundstück blieb leer, Österreichs Pavillon liegt daher, ohnehin am Ufer eines kleinen Sees, hinter einem großen Vorplatz, und es ist einfach unmöglich, ihn zu übersehen.

*

ZUR GÜNSTIGEN LAGE kommt sein Äußeres. In Montreal nimmt niemand Rücksicht auf seinen Nachbarn, jeder bemüht sich, mit möglichst auffallenden Kreationen alle Blicke auf sich zu ziehen; was hier dezent und unauffällig ist, das ist einfach mißGiungen, weil es seinen

„Zweck“ verfehlt. Professor Schwanzer gelang ein Ding, das einerseits streng und in sich geschlossen wirkt und andererseits selbst dem schläfrigsten EXPO-Besucher auffaller. muß, ein bizarres Ding, das auf einer streng geometrischen, doch nicht auf den ersten Blick durchscbaubaren Konzeption beruht und daher nicht nur das Auge beschäftigt, sondern unwillkürlich auch das Gehirn. Ein Ding, das dabei tun so besser gefällt, je öfter man daran vorbeikommt. Ein Ding aus Aluminium übrigens.

Dem Vernehmen nach hätte dieser oder jener lieber einen Pavillon aus Holz gesehen, weil Holz, ja bekanntlich so naturverbunden ist und so typisch für ums; als hätte Österreich nur Wälder und keine Bauxitvorkommen. Der österreichische Pavillon wurde von den einen zu den besten gezählt, ,Art Canada“ erklärte ihn sogar zum besten Pavillon überhaupt unter den kleineren EXPO-Nationen. Daneben wurden andere Stimmen, sowohl im eigenen Land wie auch im Ausland laut, die Österreichs Pavillon als „gutes Mittelfeid“ beurteilten.

*

IM INNEREN UNSERES PAVILLONS haben sich mehrere Köche be-

tätigt. Sie haben sich manches gedacht, und sie haben den Brei auch keineswegs verdorben, nur ist es meiner Ansicht nach wieder einmal versäumt worden, Österreich ein modernes Image zu geben. Das heißt nicht, daß Österreichs wissenschaftliche und industrielle Leistungen unter den Tisch fielen. Doch das

schwer durchscbaubare Wirken der Einflußnehmer dürfte in so manchem Falle ausschlaggebender gewesen sein als sachliche Überlegungen und Argumente. Ein geistiges Grundkonzept, das über die von den Veranstaltern aufgestellten generellen EXPO-Richtlinien (Der Mensch als Schöpfer, als Produzent usw.) hinausginge, war nicht zu bemerken.

Wir waren auch wieder einmal in mancher Hinsicht etwas zu bescheiden, zum Beispiel bei der Demonstration der österreichischen Leistungen auf dem Gebiete der Literatur, für die offenbar nicht besonders viel Liebe aufgewendet wurde. Übrigens: War nicht auch Joseph Roth ein Österreicher? Vergeblich habe ich auf dem Gestell mit den Werken österreichischer Dichter ein Buch von ihm gesucht. Vergeßlichkeit? Nach all dem Ärger über die Fernsehfassung seines Werkes „Radetzkymarsch“? Ich tippe eher auf Verdrängung. Auch dieses Phänomen wurde ja von einem Österreicher entdeckt. Von einem, der in Montreal wahrscheinlich angesehener ist als in Wien. Er hieß Sigmund Freud.

Freilich darf man die Schwächen der österreichischen Ausstellung nicht kritisieren, ohne gerechter-

weise hinzuzufügen, daß wir uns da in bester GeseEschaft befinden. Die meisten Pavillons kranken an den gleichen Übeln.

*

IM OBERSTOCK UNSERES PAVILLONS gibt es die sogenannte Austrovision. In einem mit Dreh-stockerln ausgestatteten Saal, in dem

sich jeder die Richtung, in die er blicken wül, selber aussuchen kann, werfen Projektionsgeräte eine Serie von tausenden Diapositiven (immer eine ganze Anzahl gleichzeitig) auf die dreieckigen Projektionsflächen. Eine technisch sehr aufwendige Österreich-Melange aus viel Vergangenheit und Landschaft und etwas Modernität — Österreich, wie es die anderen und offenbar auch viele von uns haben wollen. Man sieht das Belvedere und den Neusiedlersee, die Venus von Willendorf und den Franz Xaver Messerschmidt, Kaiserkrone, Nationalbibliothek und Luftballonfrau, die Fanny Elßler und den Johann Strauß und natürlich den bei solchen Anlässen unvermeidlichen, weil ach so symbolischen gekrönten Toten/kopf aus der Kapuzinergruft. Eine Spirale vom Hundertwasser wäre mir lieber gewesen, aber der ist wohl zu modern ...

Der offizielle Prospekt unseres Pavillons bezeichnet die Austrovision als „märchenhaft“. Das ist sie, außerdem Fremdenverkehrswerbung mit Niveau. Aber andere Nationen hatten in ihren Vorführräumen zum EXPO-Generalthema „Der Mensch und seine Welt“ Wesentlicheres zu sagen.

*

ÖSTERREICH HAT AUSSER SEINEM Pavillonbauwerk und seinen Hostessen in Montreal noch etwas zu bieten, ein lebendes Schaustück — den Kindergarten der Stadt Wien. Er arbeitet mit kanadischen Kindern und ist in einem eigenen Gebäude, ebenfalls von Professor Schwänzer entworfen, untergebracht — ein Haus aus Kinderbausteinelementen.

Möglicherweise entfaltete von allem, was Österreich auf der EXPO

gezeigt hat, nur der Kindergarten eine auch außerhalb des EXPO-Be-triebes spürbare Wirkung. Kanadische Fachleute ließen wissen, daß sie hier einige nachahmenswerte Anregungen gefunden haben.

Der Kindergarten hat in Kanada eine viel bedeutendere Funktion als bei uns, er dient als eine Art Vorschule, und der Besuch ist Pflicht. *

DER GROSSTEIL DER EXPOBESUCHER „registriert“ unseren unglücklicherweise etwas versteckt gelegenen Kindergarten nicht einmal. Aber auch die vielen Leute, die den Österreich-Pavillon betreten, stellen unsere Hostessen auf keine besonders harten Proben. Die Mädchen wurden gründlich ausgebildet, sie wären in der Lage, verschiedenste Auskünfte über Österreich zu geben, zusätzliche Informationen herbeizuschaffen, sie sind bereit, zu zeigen, zu erklären, zu erzählen, und sie sind auch in kniffligen Fragen sattelfest.

Doch die meisten Leute wollen von ihnen nur — einen Stempel. Diese Stempel waren ursprünglich als kleine Aufmerksamkeit gedacht, als ein Tüpfelchen auf dem „I“ des EXPO-Rummels, sie werden in allen Pavillons in die EXPO-Pässe der Besucher gedrückt.

Wie gesagt, ein netter kleiner Einfall. Wer konnte ahnen, was Sammelleidenschaft daraus machen würde? Das Klicken und Klacken der Stempeimaschinen wurde zum Puls-schiag der EXPO. Fragen? Zeigen? Erklären? Tausende hasten in den Pavillon und wieder hinaus, um einen Erinnerungsstempel reicher. Für Fragen und Besichtigungen haben sie keine Zeit, denn im nächsten Pavillon wartet der Stempel...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung