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Die Albertina zeigt Kunst der australischen Aborigines.

Pointillismus avant la lettre. So möchte man als gelernter Europäer ausrufen angesichts der Punktgirlanden der Kunst der australischen Ureinwohner. Aber sofort zuckt man zurück, eine große Verbotstafel stellt sich in den Weg. Es ist die Einsicht, dass damit einmal mehr die europäische Käseglocke über eine fremde Kultur gehängt wird. In Wirklichkeit könnte man wohl nur ernsthaft behaupten, der Pointillismus sei eine Zweitentdeckung, ursprünglich ist dies ein Verdienst der Aborigines.

Wüstenträume nennt sich die Ausstellung in der Albertina mit Werken der Ureinwohner des heißen Kontinents auf der anderen Seite der Erdkugel. Der Titel nimmt damit die konkrete Vertreibungssituation dieser Menschen durch die weißen Einwanderer auf. Denn ursprünglich waren - wie heute - die Küstengebiete dicht "besiedelt", erst der Druck der Neuankömmlinge zwang die Aborigines sich dorthin zurückzuziehen, wo diese nicht hin wollten: in die Wüste. So steht man wohl eher vor Träumen aus der Wüste, die nach wie vor jene "Traumzeit" imaginieren, in der die Aborigines ihre Herkunft und auch ihre Zukunft sehen.

In die Wüste gedrängt

In der schriftlosen Kultur der Aborigines übernehmen Bilder vielfache Funktionen der Kommunikation. Ein großer Teil dabei galt dem bildlichen Weitererzählen von der Traumzeit. Damals, zur Zeit der Schöpfung, lebten die Ahnengeister, wie etwa der Känguru-Mann und die Laubenvogel-Frau, die für das konkrete Aussehen der Erde mit Bergen, Flüssen, Bäumen und Wasserlöchern verantwortlich sind. Sie haben aber auch die Menschen geschaffen und ihnen alles für ihr Überleben beigebracht. Die zwitterhafte Regenbogenschlange nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein, als Fruchtbarkeitsgeist tritt sie sowohl als Schöpfer als auch als Zerstörer auf.

Zwei Aspekte als Ausfluss aus dieser Traumzeit scheinen näherhin auch für die formale Gestaltung der vorgestellten Kunstwerke von Bedeutung zu sein. Zum einen die besondere Beziehung zum Land, als deren gleichberechtigter Erbe sich jeder einzelne Mensch fühlen darf. Daher unternimmt auch Donald Kahn, dessen Sammlung hier präsentiert wird, einen Querverweis auf jene europäischen Kunstzeiten, in denen die Religion noch eine unverblümte Rolle spielen konnte. "Für mich sind es ganz entschieden Kunstwerke, auch wenn sie einer mystischen Anbetung der Landschaft entspringen. Letztlich unterscheiden sie sich darin durch nichts von den religiösen Sujets der Gotik und der Renaissance, deren Verankerung in der Tradition der bildenden Kunst niemand bestreitet."

Anbetung der Landschaft

Ein zweiter Aspekt hat mit der gesellschaftlichen Organisation der Aborigines zu tun. Die ersten zugewanderten Europäer hatten ihnen die Fähigkeit dazu generell abgesprochen, weil es ihnen nicht möglich war, die äußerst komplexe Struktur der Verwandtschaftsverhältnisse zu durchschauen, nach denen sich die Gemeinschaften der Aborigines formen. Entgegen unserem System werden alle Schwestern der Mutter auch als Mütter gesehen und alle Brüder des Vaters auch als Väter. Nur die Brüder der Mutter werden zu Onkeln und die Schwestern des Vaters zu Tanten. Ähnlich verhält es sich mit den Geschwistern und den Cousinen und Cousins, was zudem die Wahlgruppen für eine Heirat festlegt. Insgesamt bildet sich daraus eine vergleichsweise egalitäre Gesellschaftsform - mit Ausnahme des prinzipiellen Verhältnisses zwischen Mann und Frau, das letztere stark benachteiligt.

Gemeinsame Kunstwerke

Daher wirken die Kunstwerke auch wie Landschaftsmalereien einer besonderen Spezies, dann und wann durchbrochen durch einen Laubenvogel oder die Regenbogenschlange, Landschaftsformationen aus brauntönigen Erdfarben, manchmal von Glitzersternen überwölkt. Kaum festgefügt, immer irgendwie in Bewegung, schlängelnd und wogend, erinnern sie eher an das Wasser der Küste als an die Steine der Wüste. Zwischendurch sogar ein heftiger Strudel, der die Blicke der Augen in sich aufsaugt.

Neben dieser Hinneigung zur Landschaft sieht man aber auch, dass sich diese Bilder nur aus einer gemeinschaftlichen Anstrengung entwickeln konnten. Die unzähligen Punkte - in Reih und Glied aufgefädelt oder wilde Kurven schwingend - lassen das Bild als Bild entstehen. Als gleichberechtigte Partner klinken sie sich ein zum Gelingen der großen Sache, dem Kunstwerk. Und tatsächlich entstehen auch viele der Arbeiten, wenngleich sie dann der westlichen Norm angeglichen als Werk eines einzelnen Künstlers oder einer einzelnen Künstlerin ausgegeben werden, als Gemeinschaftsarbeiten.

Die Traumzeit im Heute

Damit verbietet sich aber auch ein romantischer Blick, der hier eine ursprüngliche Kunst sehen möchte. Diese Arbeiten sind zeitgenössische Kunst von aboriginalen Künstlerinnen und Künstlern. Sie haben ihre ursprünglichen Maluntergründe wie Felsen oder Borke verlassen und malen mit "westlichen" Farben auf "westlichen" Malgründen wie der Leinwand. Aber trotzdem malen sie nicht westlich, sondern ursprünglich; erzählen von der Traumzeit im 21. Jahrhundert und lassen so manchen pointillistischen Versuch alt aussehen.

Desert Dreaming.

Australian Aboriginal Art

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 29. 8. tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Desert Dreaming.

Australian Aboriginal Art, Wien 2007,

118 Seiten, € 19,-

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