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Ursprüngliche Zeichenkraft

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Wie sieht nun das echte, den ganzen Menschen erfassende und in seiner Tiefe ansprechende Bild aus? Es ist Symbol. Aber weit entfernt von jener künstlichen Symbolik und willkürlichen Konstruktion und Verschlüsselung, die uns alles Symbolische so fragwürdig macht. Was dem Bild Kraft verleiht, sind jene Zeichen, in denen ursprüngliche Phänomene wirksam sind. Ursprüngliche Erfahrungen, wie Stein, Berg, Feuer, Baum, Wasser, Gold usw. bilden in der Verkündigung der Bibel eine entscheidende Rolle. Diese ursprünglichen Phänomene gilt es, immer neu zu finden. Ihre Schöpfung ist der Kraft des künstlerischen Talentes anzuvertrauen. Sie vermögen die ursprünglichen Dimensionen unserer Vorstellungswelt wachzurufen. Wir tragen diese Dimensionen in uns. „Oben auf den Wolken des Himmels“ ist für uns keine Wirklichkeit im Sinne des antiken Weltbildes und auch keine Wirklichkeit zu der Dimension der Weltraumraketen, sondern eine Sinndimension. Sie ist in unserem aufrechten Gang mit erhobenem Haupt mitbegründet. Die Erfahrungen vom Empfang der lebensspendenden Gaben, wie Sonne, Regen usw., von „oben“ sprechen da ebenso mit wie das Wissen um Hinfälligkeit und Tod, wenn wir „auf die Erde hingestreckt“ darniederliegen. Es geht hier weder um Magie, wie bei den primitiven Völkern, noch um eine Erneuerung des antiken Weltbildes, sondern um das Ausloten der Tiefendimensionen unserer inneren Erfahrung.

Leider fehlen gerade diese Dimensionen zum Teil in der Patmos- Reihe, die sich in manchen Bänden darauf beschränken, die biblischen Berichte in eine malerisch spritzige und dem Milieu von Lausbuben und Wursteln angeglichene Gestalt- gebung umzusetzen. Aber es gibt auch schöne Beispiele. So etwa, wenn der Maler Jean Jecouton in dem Band Elias den Propheten der Dürre mit dem Feuerrad der alles versengenden Sonne Gottes darstellt oder wenn Le Scanff im Band Jonas den Fisch als ein mächtiges blaues Ungetüm über beide Buchseiten hinweg darstellt, in dessen Mitte wie in einem Medaillon die Büste des Verschlungenen aufleuchtet. Die Eindringlichkeit der Darstellung entspricht durchaus der Gestaltungsweise der Kinder selbst, wie das obenstehende Bild eines Sechsjährigen aus einem Pfarrkindergarten in Wien II zeigt. Ähnlich wie in vielen Katakombenbildern gewinnt hier die bescheidene, einfache Darstellung eines Wunders die Dimension eines Heilsbildes.

Die Bilder der Liturgie

Von geheimnisvoller Tiefe und Kraft sind auch die Bilder der Litur gie. Man denke hier nur an die reinigende Kraft des Wassers, die zum Sakrament erhoben ist. Oder an den Ritus mit der Ostenkerze, deren Feuer als „Lumen Christi“ die Dunkelheit überwindet. Ursprüngliche Zeichen sind hier dem Kult eingeordnet und dienen der Vergegenwärtigung beziehungsweise Veranschaulichung der Heilskraft Christi. Die Liturgie wendet sich unmittelbar und lebendig an die Sinne. Die Frömmigkeit erhält da einen Leib. Wir stehen vor Gott nicht als eine Art reiner Geist, sondern als der, der wir in Wirklichkeit sind: ein Mensch mit Leib und Seele. Unsere Geistigkeit ist leibgebunden, und nur über die Kultur unseres Leibes und seiner Sinne können wir geistige Anliegen auf Dauer voll verwirklichen.

Nicht alle Zeichen der Liturgie sind von dieser Ursprünglichkeit und Eindringlichkeit. Auch das II. Vatikanische Konzil hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Mensch unserer Zeit die Sinnbilder noch versteht, und unter welchen Bedingungen sie ihm zugänglich gemacht werden können. Erfolg dieser Beratungen ist im Artikel 34 die Anweisung zur Vereinfachung. Vereinfachung meint hier nicht die rationalistische Dürre, sondern die Rückbildung auf die echten, heute wirklich noch vollziehbaren und im Menschen begründeten Sinnbilder. Entscheidend ist die Entdeckung, daß auch die Versammlungsordnung der Menschen Bildwert haben kann. Daß es also Bilder gibt, denen wir nicht betrachtend gegenüberstehen, sondern an denen wir mitbilden, indem wir Gemeinschaft formen. Der Architekt Rudolf Schwarz hat in seinem Buch „Vom Bau der Kirche“ den „offenen Ring“ als eine Grundform der Versammlung in seiner Bilddimension eingehend gedeutet. Aus dieser Versammlungsordnung, die den Altar von drei Seiten umfaßt, ist ein Leitbild für den neuen Kirchenbau geworden.

Im Ganzen der Raumordnung einer Kirche können wir heute ein Bild des geheimnisvollen Leibes Christi wieder erkennen, der die lebendige Kirche ist. Vielleicht ist es gerade dieses größere Ohristusbild, das sich uns im Raum heute bekundet, dieses auf die Liturgie bezogene und sie umfangende Bild, das uns unfähig macht, noch einmal den Versuch einer Verniedlichung und Vermenschlichung des Christusbildes im Sinn der Nazarenerbilder zu versuchen. Gewiß bleiben uns diese Urbilder des Raumes, des Lichtes und des Feuers usw. noch manches schuldig. Doch muß zur konkreten Bedeutung und Ausdeutung all das hinzugenommen werden, was die Liturgie im Verlauf der Feier dazu singt und sagt und berichtet und betet. Wir sind auf dem Weg zum Erleben eines Bildes, was wieder aus dem Zusammenwirken verschiedener Künste mit der Liturgie entsteht.

Beispiel einer Bildordnung, in der die ganze Spannung der Möglichkeiten sichtbar wird, ist der Feierhof der Gedächtniskirche Regina Märtyrern in Berlin-Plötzensee, gebaut von Architekt Hans Schädel. Die mächtigen Zeichen der Plastik stehen vor der Kirche, im Bereich des Überganges von der Straße in den Kultraum. Im Kultraum selbst wird die Versammlungsordnung der Gemeinde zum Zeichen und zum Bild. Draußen vor dem Tor, entlang der Wand des Gedächtnishofes, stehen die herben und erschütternden Figurationen des Schmerzes, die H. O. Hajek als Kreuzweg geschaffen hat (Bronze vor schwarzer Mauer). Über dem Eingang der Kirche leuchtet das goldene Zeichen der mit der Sonne bekleideten Frau (Apokalypse 12): verheißungsvoller Ausblick auf das Kommende am Ort des Aufgangs zur Kirche. Zwischen der erschütternden Daseinsnot der Gegenwart und dem hoffnungsvollen Ausblick auf die kommende Herrlichkeit liegt die ganze Fülle der Möglichkeiten christlicher Bildaussage. Immer jedoch ist zuletzt der Mensch berufen, die entscheidende Aussage und den entscheidenden Ausdruck selbst zu geben. Nicht aus Bildern, aus Gewölben und auch nicht aus modernen Betontragwerken entsteht die Kirche, denn sie ist gebaut aus den lebendigen Steinen der Gläubigen. Die letzte und entscheidende Aussage Gottes erging nicht in Bildern, sondern in Seinem Sohn, den Er uns schenkte. Wichtiger als alle Bilder ist uns das Schluchzen und Lachen des Kindes…

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