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Väter der Moderne

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Unter dem Titel „Vorbereiter und Gründer der abstrakten Malerei“ zeigt die Galerie Würthle eine interessante und schöne Ausstellung von Graphiken jener Künstler, deren Werk von den Kunsthistorikern heute als Grundlage der zeitgenössischen Kunst angesehen wird. Ihr Titel hat allerdings nur begrenzte Gültigkeit. Faßt man es so auf, wie er hier impliziert wird, daß die abstrakte Malerei der ungegenständlichen gleichzusetzen ist, so wären unbedingt die Maler des Kubismus, Picasso an ihrer Spitze, wegzulassen, da ihre Bild- und Formuntersuchungen nicht der Vorbereitung der „abstrakten“ Malerei dienten, sondern einer plastisch und räumlich neu gegliederten Kunst, die an die große Tradition des Westens unmittelbar anschließt. Nur ein Mißverstehen ihrer Zielsetzung konnte sie zu Anregern der gegenstandslosen Kunst machen. Dieses Mißverständnis ist bereits bei den sehr dekorativen Gouachen von Albert Gleizes spürbar, in denen der bei Juan Gris klar gegliederte Raum (eine sehr schöne Heliogravüre von ihm zeigt es) im Ornamentalen umgebogen wird. Auch bei Delaunay führt der Weg in das Dekorative. Aus seiner besten Zeit fällt das große Eiffelturm-litho auf, das der Künstler seltsamerweise mit dem Vermerk „epoque destruetive“ versehen hat. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die frühen Formstenogramme von Jaques Villon, der, nie ein konsequenter Kubist, nur Modifikationen des dreidimensionalen Raumschemas gestaltet hat. Leger schwankte in seiner späteren Zeit oft zwischen der repräsentativen und der ungegenständlichen Dekoration. Ein frühes Beispiel der letzteren ist sein Plakatentwurf für eine Ausstellung. Von Picasso ist eine bemerkenswerte Blumenstudie aus der heroischen Zeit knapp vor der Entstehung der „Demoiselles d'Avignon“ zu sehen, ein Farblitho aus der Zeit der Stilleben mit den Totenköpfen und späte Frauentorsi, von denen einer besonders stark und konsequent durchgeformt ist. Matisse steuert ein Farblitho bei, eine seiner stilisierten Pflanzenformen, Braque vor allem zwei große Radierungen, die noch der Zeit des analytischen Kubismus angehören und von starker Musikalität sind. Klee, der mit größerem Recht als einer der Väter der abstrakten Malerei anzusprechen wäre, obwohl er die Erinnerung an den Gegenstand vor allem im literarischen Sinn nie verlor, ist vor allem mit zwei Blättern gut vertreten: dem frühen „Tegernsee“, sehr gelöst und ornamental, und „Trotz Belastung“, einem Blatt der späten Zeit in hieroglyphischer Bildschrift. Von Kurt Schwitters, von dem besonders viel gezeigt wird, überzeugt eigentlich nur die „23 Collage“ und der Scherz der „Stempelzeichnung“, während seine großen Lithos trocken und monoton sind. Kandinsky, der eigent-' liehe „Gründer“, ist sehr unterschiedlich repräsen- tiert. Seine Handzeichnungen wirken gegenüber den Lithos leblos und starr, dagegen scheinen seine Radierungen fast das ganze graphische Werk von Wols überflüssig zu machen. Von Schlemmer ist dann noch eine sehr typische Farbstiftzeichnung zu sehen, während Moholy-Nagy durch ein auffallend ungegliedertes Aquarell vertreten wird. Alles in allem eine für Wien bemerkenswerte Ausstellung von großer Reichhaltigkeit und Abwechslung.

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