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Venedig ist eine Baustelle

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Das Schlimmste ist überstanden: Venedig, Sorgenkind des kultur-beflissenen Teiles der Menschheit und die wohl am meisten restaurierte Museumsstadt scheint vor dem Untergang gerettet; vorläufig jedenfalls. Denn nach wie vor bedrohen Umweltverschmutzung, Hochwasser und Massentourismus die Lagunenstadt Die Venezianer indes flüchten aufs Festland, wo sie Arbeit außerhalb des Fremdenverkehrs und komfortablere Wohnungen finden.

Architekten und Ingenieure sind sich sicher: Die Lagunenstadt, seit Jahrzehnten das Eldorado für Kunstliebhaber, Brautpaare und Restaurateure, wird überleben. Die UNESCO koordiniert hier 24 private Gruppierungen aus zehn Nationen. Australien, die USA, Frankreich und Schweden beispielsweise entsenden Komitees, die einzelne Kulturdenkmäler „adoptieren” und ihre Restaurierungsarbeiten übernehmen. Meist dreht es sich dabei um eine der zahlreichen baufälligen Kirchen.

Zur Zeit sinfi nur etwa 30 Gotteshäuser sicher begehbar. Die übrigen sind einsturzgefährdet und geschlossen. In San Maurizio regnet es von allen Seiten herein und San Barnaba, eines der schönsten Beispiele des Venezianischen Bokokos, ist im Verfall begriffen. Ebenso ergeht es den Kirchen San Torna, San Bartolomeo und Maddalena.

„Venedig retten wir nur mit vereinten Kräften”, lautet der dringende Appell des Patriarchen an das Kirchenvolk und sein Spenderpotential. Die 70.000

Venezianer allerdings haben jetzt andere Sorgen, stehen doch viele von ihnen noch unter dem Eindruck des verheerenden Brandes des „Teatro la Fe-nice” am 29. Jänner vergangenen Jahres. Noch Monate darauf roch es hier immer noch eindringlich nach verkohltem Holz, während Blumenspenden am Gittertor dahinwelkten und Touristen eifrig die traurigen Überreste fotografierten, als zeitgeschichtliches Dokument sozusagen.

Ein Unglück kommt selten allein, heißt es binsenweis und so macht man sich in Venedig auch weiterhin Sorgen. „Das Schicksal der Fenice könnte schon bald unsere Kirchen ereilen”, schlägt Don Aldo Marangoni, Vorsitzender des Priesterkollegiums, Alarm. Als unzureichend beurteilt er die Sicherheitsvorkehrungen der venezianischen Kirchen, die zu beträchtlichen Teilen aus Holz bestehen und ohne Feueralarm auskommen müssen. „Nur San Marco hat eine funktionierende Alarmanlage”, erklärt Marangoni und hat eine Studie in Auftrag gegeben, die die jeweiligen Sicherheitsstandards messen soll. Gewißheit ist allerdings schon, daß für die meisten Verbesserungen das Steuergeld fehlen wird, fließen doch ständig Mittel in die dringendsten Konservierungsarbeiten der Museumsstadt.

Und jede Restaurierung braucht nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit: Genaue Studien der jeweiligen Vorhaben sind zu erstellen, 27 Genehmigungen von 24 verschiedenen Amtern einzuholen. Den enormen bürokratischen Hindernislauf scheinen viele zu überstehen, denn die Stadt gleicht immer mehr einer Baustelle.

1995 wurden 27 Milliarden Lire für Bestaurierungsarbeiten ausgegeben; weitere 35 Milliarden warten auf ihre Verwendung. Allein die Universität Ca'Foscari unterzieht sich derzeit fünf größeren Eingriffen und fünf zusätzliche sind in Aussicht gestellt. Der Cam-panile und der Uhrturm auf dem Markusplatz präsentieren sich hinter einem Baugerüst, in dem schwindelfreie Arbeiter emsig hämmern, sägen und betonieren.

Massimo Cacciari, linker Bürgermeister und gelernter Philosoph, will ausnahmslos nur die besten Firmen ans Werk lassen: „Städte, die von der Kunst geprägt wurden, sind besondere Orte und ihre Konservierung kann nicht mit den normalen Regeln einhergehen”, kommentiert Cacciari gelassen. Die ausgewählten Firmen haben natürlich ihren Preis, doch sie „leisten ausgezeichnete Arbeit”, meint Giovanna Nepi Scire, Direktorin des hiesigen Denkmalamtes.

Es war schon längst höchste Zeit, denn die ersten emsthaften Versuche zur Rettung Venedigs ließen auf sich warten. Um die notwendigen Kräfte zu mobilisieren, hatte es einer Naturkatastrophe bedurft, wie jener vom 4. November 1966, als zwölf Stunden lang ununterbrochen Wassermassen in die Stadt drangen. Auf dieses apokalyptische Szenario folgten Diskussionen, Polemiken, Kämpfe der Parteien und MOSE (Modulo Sperimentale Elettro-meccanico), das Forschungsprogramm zur Regulierung des Hochwassers. Der Eifer ließ aber bald nach und die eigentlichen systematischen Rettungsarbeiten wurden erst 20 Jahre nach der Katastrophe von 1966 wieder aufgenommen.

Für die nächsten Jahre will nun die Gemeinde 38 Milliarden Lire für Restaurierungsarbeiten an Kulturdenkmälern ausgeben: Gedacht ist beispielsweise an den Palazzo Du6ale und das Ca'Pesaro mit seinem Museum moderner Kunst, während die Generalsanierung des Torre dell' Orologio unter der Leitung des Schweizer Uhrenherstellers Piaget schon Mitte Mai begonnen hat. Diese weltweit einzige Uhr mit zwei Zifferblättern soll 1999 - zu ihrem 500. Jubiläum - wieder richtig ticken.

Ahnliches gilt für die Fenice, die seit 27. Juni offiziell zur Baustelle erklärt wurde und im September wieder ihre Pforten öffnen soll. Das Projekt, von der Mailänder Architektin Gae Aulen-ti koordiniert, wird über 90 Milliarden Lire verschlingen. „Mit 5.000 Lire kann man der Fenice helfen und dabei auch noch reich werden”, freut sich Bürgermeister Cacciari über die kürzlich eingerichtete europäische Lotterie zugunsten des Theaters: Über zwei Millionen Ecu winken dem Gewinner, der nächsten Oktober im Casino der Lagunenstadt ermittelt werden soll.

Bis dahin wird sie sich womöglich in ausgezeichneter Form befinden, denn ungeachtet der touristischen Invasion werden nunmehr die einzelnen Stadtteile systematisch instandgehalten, ihre Kanäle gereinigt, die Ufer der Inseln gesichert und Bauland der Lagune abgewonnen. Bis zum nächsten extremen Hochwasser dauert es noch einige Zeit: Die verheerende Flutwelle ist für das Jahr 2030 prognostiziert.

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