7085811-1994_14_04.jpg
Digital In Arbeit

Vergewaltigung ist nicht mehr „eheliche Pflicht"

19451960198020002020

Solidarisierung mit der geprügelten US-Ehefrau Lorena Bobitt in Ekuador, ein weiblicher Justizminister in Chile: die Frauenfrage rückt in Lateinamerika ins öffentliche Licht.

19451960198020002020

Solidarisierung mit der geprügelten US-Ehefrau Lorena Bobitt in Ekuador, ein weiblicher Justizminister in Chile: die Frauenfrage rückt in Lateinamerika ins öffentliche Licht.

Werbung
Werbung
Werbung

Feministinnen aus Europa stellen immer wieder verblüfft fest, daß eine Frauenkarriere in Lateinamerika problemloser und einfacher zu handhaben ist als in den Industrieländern. Sogar die Guerilla kam und kommt nicht ohne lehrende, kämpfende und kommandierende Frauen aus. Sieht man jedoch genau hin, so zeigt sich, daß diese Aussage nur für das gehobene Bürgertum gilt, aus dem sich tüchtige Unternehmerinnen, Managerinnen, Wissenschaftlerinnern und Politke-rinnen rekrutieren.

Teilweise noch intakte Großfamilien, die Selbstverständlichkeit von „muchachas" (Dienstmädchen) im Haushalt, eine gediegene Erziehung in Privatschulen und jüngst auch frauenfreundliche Gesetzgebungen für die Beschäftigiing im öffentlichen Dienst (Planungsministerien und Entwicklungsbanken) erklären diese Konstellation. In Kolumbien schafften es jüngst zwei Frauen gemeinsam, zum „Mann des Jahres" der Wochenschrift „Semana" gewählt zu werden: Maria E. Samper und Maria I. Rueda, die den Bogotaner TV-Nachrichtensender QAP (einer der Aktionäre ist Nobelpreisträger Gabriel Garcia Märquez) leiten.

Daß ausgerechnet in den lateinamerikanischen Gesellschaften mit ihrem Macho-Kult heute Frauen reüssieren können, ist ein Versprechen für die Zukunft. Gerade dort, wo wirklich der lateinamerikanische Machismo wurzelt, der die Männer aggressiv, unverantwortlich und unzuverlässig agieren läßt, sind es die Frauen und Mütter, zumeist ohne formale Heirat, die die Welt zusammenhalten.

Erst langsam wird diese Heroik im täglichen Überlebenskampf wahrgenommen (und nicht selten abfällig als „Matriarchat" bezeichnet), sodaß die ökonomischen Auswirkungen ernstgenommen und erste Finanzierungen und Unterstützungen in die Hände der Frauen, die die Leistung erbringen, und nicht in die der unzuverlässigen Männer gelenkt werden.

So ist es kein Zufall, daß eine Indianerin aus diesem Unterschichtenbereich, Rigoberta Menchü, 1992 den Friedensnobelpreis erhielt. In Kolumbien vmrde die verkrüppelte Indianerbäuerin Esperanza Bericha für ihre tapfere Mobilisierangsarbeit unter Kleinbauern jüngst mit dem 5. Cafam-Preis (der eigens für kolumbianische Frauen eingerichtet wurde) ausgezeichnet.

Viel älter als diese ersten Anerkennungen in der Öffentlichkeit sind die Daten dazu, die lateinamerikanische Wissenschaftlerinnen (aus oberen Schichten) zusammengetragen haben. Nordamerikanische und europäische Frauenforscherinnen (so Claudia von Werlhof, Universität Innsbruck) haben irmner wieder auf zwei Besonderheiten hingewiesen: auf die existentielle Leistung der Frauen in den mestizischen Urbanen und ruralen unteren Schichten und auf die vielen wirtschaftlich matrifokal (um Mütter) zentrierten Stämme der Ureinwohner. Bis heute - und zuletzt durch Entwicklungsprojekte und -hilfe - werden diese Strukturen durch Modernisierung, Missionierung und Einbeziehung in die Staatsbürokratie zerstört. Die Folge sind kulturelle Entwurzelung und Verelendung bei Einbeziehung in die Geldwirtschaft.

NEUES BEWUSSTSEIN

Die kleine Gruppe der lateinamerikanischen Feministinnen hat auf dem Subkontinent in den letzten Jahren den Boden für ein neues Bewußtsein der Frauen vorbereitet, das auch die traditionell männlich dominierte Öffenthchkeit unter Druck setzt:

In Peru setzten Gerichte jenes Gesetz außer Kraft, das Vergewaltigung in der Ehe als „eheliche Pflicht' der Frauen beschrieb; brasilianische Gerichte betrachten neuerdings „die Verteidigung der Ehre", die es einem Mann - straffrei - erlaubt, seine Frau und deren Liebhaber umzubringen, als ungesetzlich; in Chile kämpft Justizministerin Soledad Al-vear gegen gesetzliche Bestimmungen, die der Frau die Verwaltung des eigenen Vermögens, die Einreichung der Scheidung und den Seitensprung verbieten (fünf Jahre Haft für die Frau bei Ehebruch, ein Jahr für den Mann).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung