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Viele Wege fuhren zur neuen Musik

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Der breiteste und erfolgreichste geht über die Zyklus- und Abonnementkonzerte der Philharmoniker (mit einer Wiederholung), der Musikfreunde (mit einer bis drei Wiederholungen) und des Konzerthauses (in der Regel je eine Aufführung). Aber die Zahl der „großen' Programme ist eng begrenzt, und nur wenige Komponisten haben die Chance, auf diesem Weg ihre neuen Werke zu lancieren. Hier springen andere Veranstalter ein. Die „I iy e r-nationale Gesellschaft für Neue Mu-s i k“ ist seit ihrer Gründung vor 32 Jahren bestrebt, dem Neuen ans Licht zu helfen und ihm Freunde zu werben. Nach zweijähriger Ruhepause hat die österreichische Sektion der IGNM mit Beginn der heurigen Spielzeit ihre Tätigkeit wieder aufgenommen und eine Reihe von Veranstaltungen nicht nur angekündigt, sondern auch bereits durchgeführt. Man meinte — nicht zuletzt aus Gründen der Sparsamkeit — auf Original auf führungen verzichten und sich mit Tonbandvorführungen behelfen zu müssen. Aber innerhalb einer Woche fielen der IGNM zwei Originalkonzerte in den Schoß. Paul Angerer und Alfred Planyawsky (Kontrabaß) interpretierten Speziallitera-tur für ihre Soloinstrumente. Die Musik Angerers aus der letzten Zeit (Trio für zwei Violen und Kontrabaß) hat nicht nur die strenge Schönheit und die gute Proportion, sondern auch den spirituellen Ausdruck .alter Meisterbilder. Neben der kraftgenialischen und virtuosen „Sonate für Bratsche allein“ aus dem Jahre 1922, mit der charakteristischen Vortragsbezeichnung des 4. Satzes „Rasendes Zeitmaß, wild, Tonschönheit ist Nebensache“, wirkt Hindern iths „Sonate für Kontrabaß und Klavier“ von 1949 ein wenig akademisch. Auch Prokofieffs klanglich und rhythmisch hochoriginelles „Quintett“ op. 39 für Oboe, Klarinette und drei Streichinstrumente aus dem Jahre 1924 zwingt zu Vergleichen mit den Werken des Komponisten aus den letzten Jahren, die nicht zugunsten der letzteren ausfallen Paul Angerer erwies sich als Interpret seiner eigenen “Komposition und der Hinde-mith-Sonate als unser derzeit wohl bester Solobratschist, während Alfred Planyawsky auf seinem weitaus spröderen Instrument auf dem Weg zu sein scheint, sich in die vorderste Reihe zu spielen.

Das Assmann-Quartett aus Frankfurt am Main spielte für die IGNM in der Musikakademie Werke von Honegger. Mozart und Krenek. Das Streichquartett Nr. 6 aus dem Jahre 1936 hat Ernst K r e rt e k dem Assmann-Quartett gewidmet, aber erst vor zwei Jähren wurde das eminent schwierige Werk in Darmstadt uraufgeführt. In Wien hörte man es unseres Wissens zum erstenmal. Es ist ein Fxempel strenger Zwölftontechnik und introvertierter Musik, in der systematischen Anlage und in seiner Esoterik der „Kunst der Fuge“ vergleichbar, freilich wesentlich schwerer zu spielen und noch schwerer zu hören — Hoiieggers 3. Streichquartett stammt aus der gleichen Zeit (1936/37) und erinnert in seiner Originalität, subjektiven Versponnenheit und Rasanz gleichfalls an das heroische Zeitalter der neuen Musik und der IGNM.

Nicht Avantgardisten oder „Klassiker der Moderne“ wurden im 2. Konzert des von der „Oesterreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik“ im Musikverein veranstalteten Zyklus vorgestellt, sondern gewissermaßen der musikalische Train,. der kompositorische Mittelstand. Kommt Kunst vom Können — oder vom Müssen (wie Arnold Schönberg einmal meinte)? Das erstere ist bei M. Nedbal, W. Wäldstein und F. Skorzeny in gewissem Maße vorhanden, und was das „Müssen“ betrifft, so erfahren wir dazu aus dem Programmheft, daß eines der aufgeführten Werke während der Winterschlacht bei Orel 1941/42, ein anderes während der letzten Kriegswochen in Luftschutzkellern und Notquartieren entstanden ist. An der subjektiven Notwendigkeit und Ehrlichkeit der Aussage ist daher kein Zweifel erlaubt. Aber die genannten Komponisten — Altersgenossen von Hindemith und Orff, David und Krenek, Egk und Jelinek — bedienen sich (um nur vom Alleräußer-lichsten zu sprechen) der Tonsprache von Brahms und Schumann, Dvorak oder Richard Strauß. Man wird es begreiflich finden, daß der Hörer die Originale vorzieht. — DeT um 30 Jahre jüngere Alfred Prinz ist in seiner Soiiätine für Oboe und Klavier entsprechend jüngeren Vorbildern verpflichtet, Hindemith vor allem. Das ist fast der einzige Unterschied. Immerhin ist ihm im ersten Satz ein sauberes, gutklingendes Stückchen Kammermusik gelungen. Das Steinbauer-Quartett, Emmy Loose („Mädchenlieder“ von Waldstein) und der Klarinettist A. Prinz als Begleiter am Klavier waren die Ausführenden. Viele Wege führen zur neuen Musik, aber dieses Konzert schien uns an ihr vorbeizuführen.

Ein nicht mehr ganz neues, aber jugendfrisches und selten aufgeführtes Werk hatte Hilde Z a d e k auf das Programm ihres Liederabends gesetzt: Vor 50 Jahren wollte Maurice Ravel eine große orientalische Märchenoper nach „1001 Nacht“ schreiben, es kam aber nur eine Ouvertüre und ein Liederzyklus zustande, den er „S h e h e r e z a d e“ nannte und zu dem ihm Tristan Klingsor die Texte schrieb, die so artistisch und poetisch sind wie der Name des Autors. — Ohne Ravel und de Falla kein Joaquin Nin (geb. 1879), von dem Hilde Zadek als Abschluß ihres Konzertes einige ziemlich anspruchsvoll und streng aufgemachte spanische Volksliedbearbeitungen sang. Der noblen, ernsten und intelligenten Art der Sängerin entsprach auch der erste Teil des Programms: die Wesendonck-Lieder von Richard Wagner, sämtliche Mignon-Lieder von Hugo Wolf und vier Stücke aus dem „Italienischen Liederbuch“. Eine schöne,'vor allem im dramatischen Espressivo leuchtkräftige Stimme und hohe Vortragskultur vereinigten sich zu harmonischem Gesamteindruck. Michael Gielen begleitete selbständig und wirkungsvoll.

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