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Vincenzo Maria Coronelli

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Im Vorworte zu Coronellis berühmten „Atlante Veneto“ vom Jahre 1691 schreibt Andrea B a b a : „Die vornehmste und erhabenste Wissenschaft ist die Kosmographie. Sie umfaßt viele Wissensgebiete... die Astronomie... Geometrie, Mathematik und alle anderen Künste und Wissenschaften ... die Geschichte, Chronologie ... die Staaten- und Völkergeschichte... sie ist deshalb nur den größten Geistern vorbehalten...“ Diese Verbundenheit mehrerer Wissenschaften macht es erklärlich, daß die älteren Kartographen meist aus anderen Berufen kamen, aus denen sie das nötige Rüstzeug bereits mitbrachten. Neben Militärs und Beamten, Ärzten und Ingenieuren finden sich auch so manche Kleriker, bei denen oft auch die Missionstätigkeit, in fremden Ländern zur Befassung mit geographischen Problemen führte. Von Österreichern wären hier unter anderen Martin Martini, der sich durch seine 1655 erfolgte Bereisung Chinas die Bezeichnung als „einziger wirklicher Geograph des 17. Jahrhunderts“ erworben hat, Georg Matthäus Vis eher aus der Zeit L e o p o 1 d s, I. oder der Jesuit Josef Liesganig zu nennen. Italien stellte in Coronelli einen der fruchtbarsten und bedeutendsten Kartographen aller Zeiten, der noch in einer Epoche wirkte, in der es so etwas wie eine Einheitswissenschaft gegeben-hat und in der man noch wenig von der heutigen tausendfältigen Verästelung und Spezialisierung des Wissens ahnte. Wie vor ihm Leonardo da Vinci nicht nur Maler und Naturforscher, sondern auch der Kriegsingenieur des Cesare Borgia, der geniale Schöpfer von Entwürfen für Mörser, Flugzeuge und Unterseeboote und der Verfasser einer Karte von Toskana war, so ssnen wir auch in Coronelli einen ähnlich universellen Geist.

Vincenzo Maria Coronelli kam am 16. August 1650 als der Sohn eines Schneiders in Venedig zur Welt, versuchte sich zuerst in der Tischlerei, trat dann 1665 in den Minoritenorden ein, wurde 1685 Provinzial für Ungarn und 1701 Generale dell' Ordine dei Minori Conventuali. 1704 dieser Würde enthoben, widmete er sich nur mehr den Wissenschaften und starb in seiner Vaterstadt am 9. Dezember 1718. Weite Reisen in Deutschland, Frankreich, in den Niederlanden und England förderten seine geographischen Arbeiten, die ihm den hauptsächlichen Lebensinhalt bildeten. Venedig ernannte ihn zum Cos-mografo publico und zum Professor für Geographie und Astronomie, der Papst und mehrere Souveräne zeichneten ihn gebührend aus. Zur Vertiefung des Wissens um die Erde gründete Coronelli in Venedig die Accademia cosmografica degli Argonauti, in der wir die erste geographische Gesellschaft der Welt erblicken können und deren 261 Mitglieder sich außerhalb Italiens auch auf Frank-leich, England, Deutschland und Polen verteilten. Diese Akademie, zu deren Protektoren die Dogen und König Sobieski zählten, bestand von 1684 bis 1718. Den Vergleich mit Leonardo fortsetzend, wäre auf Coronellis Tätigkeit als Techniker hinzuweisen, die sich auf die Konstruktion von Schifftransportwagen, von gegen Feuchtigkeit und Brand geschützten Pulverbehältnissen, von leichten Geschützen, Kartuschen, Kürassen und Helmen, Feldbrücken, Schwimmsackflößen und Flußbaggern erstreckte. Als Ingenieur projektierte er die steinernen Molen des Lido und entwarf die Pläne für die Canale-grande-Brücken und für die Etschregulierung.

Die hinterlassencn Werke des venezianischen Gelehrten erreichen die Zahl von 137, von denen 119 bekannt geblieben sind. Es handelt sich in erster Linie um Kartenwerke mit rund 400 verschiedenen Blättern und um Globen, die zusammen das Hauptschaffensgebiet darstellen. Daneben finden sich genealogische und heraldische Almanache, Biographien, Arbeiten über die geistlichen Orden, eine in sieben Bänden bis zum Buchstaben C gediehene Biblioteca Universale und vermischte geographische und geschichtliche Abhandlungen.

Die kartographischen Arbeiten bestehen vor allem in der Veröffentlichung von Atlanten mit mehr oder weniger Text: 15 Ausgaben dei „Memorie istorio-grafiche della Morea“ aus der Zeit der größten Ausdehnung der Republik von San Marco; die 13 Bände des „Atlante Veneto“ erschienen als umfassendes geographisches Werk von 1689 bis 1705; 23 Kartenwerke „Teatro della guerra“, Belgien, England, Frankreich, Spanien, Deutschland, Ungarn, Italien, Venedig und das Mittelmeer umfassend und vornehmlich als Unterlage für das Studium des spanischen Erbfolgekrieges gedacht. Diese Fülle von Schöpfungen auf einem bekanntlich sehr schwierigen und zeitraubendem Gebiete war nicht nur Gegenstand ehrlicher Bewunderung, sondern auch billiger Kritik über diese und jene Mängel der Karten. Solche haben selbstverständlich bestanden, und wir erinnern uns in diesem Zusammenhange daran, daß auch Julius von P a y e r s erste Hochgebirgskarten von der Fachwelt nicht als vollendet charakterisiert werden konnten. Und doch, was liegt für eine Meisterleistung in beiden Fällen für den Wissenden vor, der genau versteht, daß Erstleistungen auf jedem Gebiete im Lichte späterer Fortentwicklung primitiv, als bahnbrechendes Werk aber immer unvergänglich sind.

An Globen schuf Coronelli solche von einem Umfange zwischen 16 Zentimeter und 12,35 Meter in elf Größen, für den Papst Innozenz XII., für Kaiser Karl VI., König Ludwig XIV., den Herzog von Parma und für die Akademie von England, wobei ihm in Paris Claude Molinet behilflich war.

Als der unermüdliche Minoritenpater vermutlich 1716 eine Schrift über die Donauregulierung „ModeraZione del Da-nubio“ verfaßte, erhielt er eine Berufung nach Wien und wurde mit kaiserlichem Dekret vom 20. November 1717 zum „Commissario e direttore perpetuo del Danubio e altri fiumi dell'Impero (Effettl acque)“ ernannt. Aus dem Jahre 1717 stammt das letzte Werk Coronellis, es trägt die Nr. 137 und befaßt sich mit den Flußverhältnissen der Donau bei Wien und wäre wert, in Österreich einmal gründlich studiert zu werden. Die Donau hat Coronelli auch in seinem „Atlante Veneto“ in 6 wunderbaren Karten von Wien bis Nikopolis behandelt.

Wenn am 16. Juni d. J. im Wiener Globusmuseum, das, unter der Leitung des Dipl.-Ing. Robert Haardt stehend, vielen schon manche anregende, aufschlußreiche Stunde geboten hat, die Eröffnung einer Coronelli-Aus-stellung erfolgt, wird Österreich zeigen, was es an Werken des großen, mit Österreich verschiedentlich verbundenen italienischen Geographen in seinen Bibliotheken besitzt. Die Nationalbibliothek, die Universitätsbibliothek, die Kartensammlung des Kriegsarchivs, die Woldan-Sammlung und andere mehr stellen eine stattliche Reihe von Coro-nelli-Werken dort aus, und es fand sich auch eine auf die Erfindertätigkeit Coronellis in Österreich bezughabende Eintragung aus dem Jahre 1717, und zwar in den Protokollen des damals von Prinz Eugen geleiteten Hofkriegsrates.

In dem 1944 in Florenz erschienenen, das Leben Coronellis erstmalig eingehend behandelnden ausgezeichneten Werke von Ermanno A r m a o fehlen unter jenen Sammlungen, in denen Coro-nelli-Werke vertreten sind, jene Wiens noch vollständig. Die Wiener Ausstellung wird Gelegenheit bieten, diese Lücke zu schließen, wie auch die in Venedig und Padua stattfindenden Gedächtnisausstellungen viel Neues ans Licht bringen werden.

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