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Volkstum im Spiegel der Romantik

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Ein Merkmal romantischer Dichtung und Musik, wodurch sich diese von der weltbürgerlichen Klassik unterscheiden, ist der Rückgriff auf die nationale Vergangenheit, auf Sage, Lied und Volkstanz. Von Arnims und Brentanos Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ 1806 bis 1808 und den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 1812 führt über Webers „Freischütz“ ein Weg bis zu den Volksliedsätzen von Brahms und den Brucknerschen Scherzi. Wohl waren auch klassische Kompositionen, etwa von Haydn oder Beethoven, durch die nationale Substanz bereichert worden. Zahlreichen Werken der Romantiker aber verleihen volkstümliche Elemente geradezu das Gepräge und durchziehen wie goldene Fäden das Kunstgewebe der Partituren.

Mit dem Klavierkonzert op. 54 hat Robert Schumann — nach einem Wort Hans von Bülows — nicht nur sein „perfektestes“, sondern zugleich auch das für die deutsche Romantik charakteristischeste Werk geschaffen. Im ersten Orchesterkonzert der Wiener Konzerthausgesellschaft spielte der italienische Pianist Benedetti Michelangeli den Solopart: ohne Überschwang und mit der Sensibilität des Romanen, etwa so, wie man sich dieses Werk von Ravel wiedergegeben denken, könnte. Unter der Leitung von Karl Böhm, der sich der Eigenart des Gastes hervorragend anzupassen verstand, ohne im Gesamtstil der Interpretation nachzugeben, bildeten Klavier und Orchester eine vollkommene Einheit. — In der Wiedergabe von BrucknersSiebenterSymphonie bot der Dirigent seine bisher beste Leistung: ohne Partitur dirigierend, vollkommen sicher im Detail, ohne Krampf, nichts erzwingend, führte er das Orchester zu einer Höchstleistung, die freilich ein Äußerstes an Konzentration und physischer Kraft erforderte, über welche das Orchester im letzten Satz nicht mehr ganz verfügte. — Wiederum erwies sich, daß man die großen Symphonien Bruckners allein aufs Programm setzen und nicht mit anderen Werken koppeln soll. Auch der konzentriert folgende Zuhörer kann an einem Abend kaum mehr aufnehmen, als ein so gutes Ensemble wie die Wiener Symphoniker physisch zu leisten vermag.

Unter dem Einfluß der deutschen Romantik entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts in fast allen europäischen Ländern nationale Schulen. Besonders deutlich sind die Einwirkungen bei den Slawen und Skandinaviern festzustellen. Zunächst hält man an den übernommenen klassischen Formen fest und begnügt sich mit der häufigen Verwendung folkloristischer Motive. Für dieses Stadium ist unter anderen der von Brahms geförderte Anton DvoMk ein aufschlußreiches Beispiel- Da aber in diesen Ländern die Tradition der klassischen Formen weniger stark war als in deren Stammländern Deutschland, Frankreich und Italien, und da ferner die Eigenart der Komponisten dieser jüngeren Nationen weniger ausgeprägt ist, kommt es schon gegen Ende des Jahrhunderts zur Abstreifung, ja geradezu zur Zertrümmerung der klassischen Form, wie wir sie in Ungarn etwa bei dem 1882 geborenen Zoltän Kodäly oder, deutlicher noch, bei Bila Bartök beobachten können.

Im ersten „Prö-Arte“-Konzert der Gesellschaft der. Musikfreunde interpretierte Josef - Krips mit den Symphonikern die Vierte Symphonie von Dvorak, ein stilistisch etwas unausgeglichenes Werk mit verschieden wertigen Teilen. Obwohl es sich mit. der vielgespielten „Fünften“ nicht messen kannt, verdient es doch, öfter aufgeführt zu werden. Krips dirigierte mit viel Temperament, aber nicht ohne Vergröberungen. Es wäre dem Werk mehr gedient, es mehr nach der Richtung von Brahms als nach der Tschaikowskys hin zu stilisieren. — In den. „M a r o s s z d k e r Tänzen“ von K o d a 1 y erleben wir bereits den Durchbruch des Elementaren. Auch hier sind noch Spuren einer zyklischen Form zu finden, doch dominiert der Suiten- und Ballettchanakter.; Diese sehr gestische Musik verlangt unbedingt nach der tänzerischen Ausdeutung.

Der Beginn des 19. Jahrhunderts bescherte uns auch den fragwürdigen Typus des Pult- und Podiumvirtuosen. Nach den Zeugnissen seiner Zeitgenossen soll Nikolaus Paga- n i n i ein phantastischer Geiger gewesen sein.- Das scheint aber kein zureichender Grund, immer wieder sein Violinkonzert aufs Programm zu setzen — auch wenn es besser als von Willi Boskowsky gespielt wird —, denn Paganini war ein sehr mäßiger Komponist. Solange ein ganzer Schatz älterer Musik ungehoben in den Archiven liegt und Meisterwerke der Violinliteratur, wie etwa die Konzerte von Pfitzner und Reger, bei uns seit 1945 nicht mehr gespielt wurden, ist nicht einzusehen, weshalb man immer wieder diese musikalischen Nichtigkeiten zu hören bekommt. Das ist keine Frage des Geschmacks, sondern des künstlerischen Niveaus.

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