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Vom Menschenopfer zur Geldspende

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Zuerst Menschen, dann Figuren, schließlich Münzen: Opfergaben helfen, die Kulte unserer Vorfahren zu enträtseln.

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Zuerst Menschen, dann Figuren, schließlich Münzen: Opfergaben helfen, die Kulte unserer Vorfahren zu enträtseln.

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In einer Zeit schwindender Religiosität werden Fragen nach dem Woher und Wohin aus ganz unterschiedlichen Positionen gestellt. Einen wissenschaftlichen Beitrag hierzu hat soeben die Archäologie in Innsbruck vorgestellt. „Kult der Vorzeit in den Alpen. Opfergaben - Opferplätze - Opferbrauchtum” ist der Titel der sehr sehenswerten Ausstellung wie der Fachpublikation, die anläßlich des Jubiläums der Arbeitsgemeinschaft der Alpen mit Unterstützung des Aktionsprogrammes „Raphael” der Europäischen Kommission realisiert werden konnten. Die herausragende Bedeutung dieses Unternehmens liegt in seinem länder-übergreifen-den Ansatz. Sie wird damit einer Kulturepoche gerecht, in der sich im Laufe des ersten Jahrtausends vor Christus die Alpenregion zunehmend sowohl dem mediterranen Raum wie auch dem nördlichen Alpenvorland öffnete, den Austausch zwischen dem Süden und dem Norden ermöglichte und somit auch unterschiedliche Kultformen sich berühren, sich vermischen konnten.

Für die Kenntnis solcher Kultformen der prähistorischen Bevölkerung in den Gebirgsregionen stehen keine Quellen wie tradierte Mythen, Aussagen über Lieder, Musik und Tänze zur Verfügung; Rückschlüsse auf ihre Glaubenswelt erlauben die Opferplätze und entsprechende Devotionalien, die Art und Weise, wie diese dargebracht wurden. Bedeutende Opferplätze mit umfangreichem Fundmaterial sind unter anderem die Piller-höhe/Tirol, bei Farchant/Bayern, das keltisch-römische Paßheiligtum am Glocknerweg - alle an wichtigen Transitrouten gelegen - der alpine Brandopferplatz am Schlern/Südtirol, die Kultplätze im Veneto (Vicenza, Padua) oder jene, in denen die unmittelbare Nachbarschaft späterer römischer Ansiedlung auf gegenseitige Toleranz schließen läßt (in Rarres/Ti-rol, im Forggensee/Schwaben). Berggipfel und Paßhöhen, verborgene oder entlegene Höhlen und Felsspalten, aber auch Gewässer wie (Heil-) Quellen (St. Moritz), Flüsse, Seen oder Moore waren bevorzugt die ”heiligen” Orte, an denen unbekannte Mächte durch Opfergaben gnädig gestimmt, Dank für gewährte Hilfe dargebracht wurden. Vergraben, verbrannt oder ins Wasser versenkt, waren diese Gegenstände wichtigster Bestandteil der Opferung, und an ihrer sich im Laufe der Jahrhunderte wandelnden Gestalt sind die kultischen Veränderungen am deutlichsten ablesbar. Die Öpferplätze selbst wurden vielfach bis in die Zeit der Bomanisie-rung, zum Teil noch bis ins 4. Jahrhundert beibehalten und besucht.

Belegt sind in der Frühzeit Menschen- und Tieropfer, Trank- und Speiseopfer als Opferritus in größeren Gemeinschaften beim Festmahl, seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. gegenständliche Opfergaben statt Blutopfer. Waffenopfer wurden von Kriegern dargebracht - wie im oberen Ammertal nach erfolgreichem Kampf gegen die 19. Legion der Börner. Tracht-und Kleiderzubehör, vor allem Gewandfibeln (Bregenz) waren” vorwiegend weibliche Öpfergaben.

Sind in der späten und mittleren Bronzezeit figürliche Darstellungen selten, so setzt seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. die Entwicklung von Opfergaben in Tier- beziehungsweise Menschengestalt ein, die oftmals Einflüsse aus dem etruskischen Bereich aufweisen. Die reichen Funde in Venetien zeigen unter anderem Votivbleche mit figürlichen Darstellungen. In der Spätzeit serienmäßig hergestellte Massenware dünner Metallplätt-chen läßt auf Werkstätten, Boh-stofflieferanten (im Inntal) und beliebte Opferplätze schließen, bis um das 1. Jahrhundert v. Chr. Münzen die Sachopfer allmählich verdrängen.

Die Ausstellung wurde von der Expertengruppe Archäologie der ABGE ALP unter der Leitung von Liselotte Zemmer-Plank erarbeitet und wird auch in Bregenz, Hallein, Klagenfurt und Bozen, in München und Konstanz, sowie in der

Schweiz und in Oberitalien zu sehen sein. Sie zeigt mehr als 800 Exponate aus allen Anrainerstaaten.

Kult, nicht Kunst

Eine Vielzahl der Objekte stammt aus neueren Grabungen, so daß auch die Dokumentation des derzeitigen Forschungsstandes damit verbunden ist. Die Präsentation der Funde in raffiniert ausgeleuchteten Schmuck vi tri-nen verleiht ihnen den Zauber von Kostbarkeit, der ihnen auf Grund ihrer kultischen Bestimmung angemessen erscheint. Der Betrachter sollte jedoch bedenken, daß die Objekte aus ihrer spezifischen Fundsituation und damit aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst sind, daß sie nicht Kunst-, sondern Kultobjekte waren.

Der demnächst erscheinende wissenschaftliche Begleitband in der Schriftenreihe der ARGE ALP beleuchtet das Thema ausführlich im großen Entwicklungsbogen von der mediterranen Welt zum zentralen Alpenraum und seinen Randgebieten. Als zur Ausstellungseröffnung Studenten und Studentinnen der Elementaren Früherziehung an der Musikhochschule Innsbruck durch magisch anmutende Musik und Tänze zu Phantasien über mögliche kultische Formen der Vorzeit anregten, berührten sich für eine kurze Weile exakte Wissenschaft und emotionale Erlebniswelt: Realität und ein wenig Mythos also auch hier (siehe Beitrag zum „Mann im Eis”, Seite 19).

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