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Von alten Formen zu neuen Wegen

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Bei den Erwägungen, die im folgenden um ein altes Thema angestellt werden sollen, und bei den Folgerungen, die daraus gezogen werden können, handelt es sich nicht um neue Fluchtwege aus der Kunsterstarrung oder Formzertrümmerung unserer Zeit, sondern nur darum, gewisse Möglichkeiten aufzuzeigen, die vielleicht zu einer Neubelebung unseres Kunstlebens führen können.

Nicht nur die großen Ausstellungen der letzten Zeit, sondern auch die vielen kleinen Bilderschauen haben auch in den Kreisen der denkenden Künstler die Erkenntnis reifen lassen, daß unser derzeitiges Ausstellungssystem veraltet und schlecht ist, weil der Besucher durch eine Überfülle von Werken erdrückt und ermüdet wird, die noch dazu nicht selten zum großen Teile unter dem künstlerischen Mittelmaße stehen. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob man die Räume des Künstlerhauses oder das Foyer des Konzerthauses durchwandert, immer erhält man den gleichen Eindruck: Bild reiht sich an Bild, ohne großzügige Thematik, ohne innere Zusammenhänge. Man spürt geradezu schmerzhaft die Sinnlosigkeit eines Ausstellungstypus, der aller Welt offenbart, daß viele Künstler den Zusammenhang mit der wirklichen Welt verloren haben und in einem hoffnungs- und ausweglosen Eigenbrötlerdasein dahindämmern. Dagegen helfen alle revolutionären Aufschreie und Gesten nichts, weil sie sich an taube Ohren und blinde Augen wenden. Mit Tiraden, Programmen und Abhandlungen redet man an dem Wesen der Kunstmüdigkeit vorbei, die nur dadurch behoben werden kann, daß die Kluft zwischen Volk und Künstler überbrückt wird.

Die wirtschaftliche Not der bildenden Künstler ist so groß, daß man ihr Bestreben, mit ihrem Schaffen vor die Öffentlichkeit zu treten und damit Interesse zu gewinnen, vollauf begreift, aber Ausstellungen des gegenwärtigen Typus sind dazu ein untaugliches Instrument. Man wird neue Wege gehen müssen, um einerseits dem einzelnen Künstler die Gelegenheit zu geben, für sein Schaffen zu interessieren, und andererseits in großen repräsentativen Ausstellungen einen wirklichen Überblick über den derzeitigen Stand des heimischen Kunstschaffens zu geben, wobei in der Auswahl der allerstrengste Maßstab anzulegen wäre.

Wenn sich die Genossenschaft der bildenden Künstler „Künstlerhaus” entschließen könnte, in jedem ihrer Ausstellungsräume jedem ihrer Mitglieder ein Monat lang eine Kollektivausstellung einzuräumen, so könnte jedes Mitglied ungefähr einmal in zwei Jahren einen vollständigen Überblick über sein Gesamtschaffen geben und auch den persönlichen Kontakt mit den Freunden seiner Kunst gewinnen, die auf diese Weise besser als bisher seine künstlerische Entwicklung verfolgen könnten. Durch Zusammenarbeit mit dem Kunsthandwerk ließe sich zweifellos jeder einzelne Ausstellungsraum individueller ausgestalten, wobei das Kunstwerk im Raume an Bedeutung gewänne. Literarische und musikalische Veranstaltungen im Hauptsaale des Hauses würden vielleicht manche Besucher anziehen, die bisher der bildenden Kunst wenig Interesse entgegenbrachten. Diese Arf der Ausstellungen würde aber auch die einzelnen Künstler zwingen, intensiver als bisher zu arbeiten und die Ausstellungen nicht mit alten Atelierbeständen zu beschicken.

Einmal im Jahre sollte dann die Genossenschaft eine große Ausstellung veranstalten, die nur das wirklich Überragende enthalten dürfte. Um dies zu erreichen, wäre für diese repräsentative Schau nur etwa die Hälfte des Hauses vorzusehen, während die übrigen Räume repräsentativen Ausstellungen ausländischer Künstlervereinigungen Vorbehalten wären, um Vergleichsmöglichkeiten zu bieten und der österreichischen Künstlerschaft Anregungen zu geben. Zweifellos würden ausländische Kulturinstitutionen und die österreichischen Behörden Veranstaltungen dieser Art entsprechende ideelle und materielle Förderung angedeihen lassen.

Diese Reform des Ausstellungswesens würde ohne hohe Kosten den Interessen der Künstler und dem Ansehen der heimischen Kunst Nutzen bringen, wobei sicherlich noch die Möglichkeit bestünde, das Haus für einige Zeit anderen künstlerischen Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.

Ein glücklicher Zufall hat es mit sich gebracht, daß gerade in diesen Tagen in der Bibliothek der Kunsthochschule am Schillerplatz eine kleine Ausstellung der Graphiken Christian L. Martins eröffnet wurde, die sich durch ihre Zielstellung wohltuend von anderen Ausstellungen unterscheidet. Hier will einer unserer besten Graphiker den Kunstschülern durch eine sorgfältige Auswahl von Graphiken und Aquarellen einen Einblick in die Vielfalt graphischer Technik gewähren und ihnen den richtigen Weg zum eigenen Schaffen weisen. Dabei ist es besonders erfreulich, daß Martin einer der wenigen Künstler ist, die ihre Themen aus den geistigen und sozialen Strömungen unserer Zeit holen. Einige seiner besten Blätter sind religiösen Themen gewidmet, von der schlichten „Heiligen Familie” bis zur ergreifenden „Kreuzabnahme”. Die innere Einstellung des Künstlers ergibt sich aus seiner Vorliebe für zyklische Darstellungen, die in der prachtvollen Folge „Vom großen Sterben”, die seinerseits durch die Jurierung von Liebermann und Slevogt preisgekrönt wurde, und in der von tiefem sozialem Mitfühlen erfüllten Folge „Die Straße” Gipfelpunkte erreichen. Hauptwerke dieses Wiener Meisters sind die wundervolle Komposition „Die Mütter”, die in der Vorzeichnung und in der Radierung zu sehen ist, die romantische „Walpurgisnacht” und die Illustration zu den „Nächten” Mussets.

Ausstellungen dieser Art, für deren Zustandekommen Hofrat Dr. Ankwicz- Kleehoven der Dank aller Kunstfreunde gebührt, sind zweifellos imstande, das Interesse für bildende Kunst zu wecken, weil die Voraussetzungen — Qualität und großzügige Thematik — vorhanden sind.

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