7105475-1995_29_02.jpg
Digital In Arbeit

Von der Anziehungskraft eines Konzepts

Werbung
Werbung
Werbung

Fünfundsiebzig Jahre und kein bißchen leise, könnte man anläßlich dieses Jubiläums sagen, das die Salzburger Festspiele heuer feiern: Wurden hier künstlerische Konzepte und Geschäfte früher in aller Stille zwischen dem jeweiligen künstlerischen Leiter und den Künstlern ausgehandelt, so sind die Festspiele seit Gerard Mortiers Bestellung zum künstlerischen Leiter und Intendanten in die Schlagzeilen gekommen: Nie zuvor hat in Salzburg ein Festspielchef - vom legendären Baron Pouthon über Bernhard Paum-gartner bis zu Herbert von Karajan und Präsident Albert Moser - so viel Show um sich inszeniert; keiner vor Mortier sorgte in solchem Maße für Schlagzeilen, keiner genoß so den öffentlichen Schlagabtausch mit Stars wie Jessye Norman und Luciano Pavarotti, mit seinem eigenen Schauspieldirektor Peter Stein oder den Wiener Philharmonikern, die er öffentlich als „Abkassierer” schmähte und als böse Buben ins Eck stellte.

Gewiß, es gab auch in den legendären Zeiten der Festspiele Spannungen, etwa zwischen Bichard Strauss, Hugo von Hofmannsthal und Max Beinhardt, oder sogar heftige Auseinandersetzungen, wenn etwa Karajan gegen Paumgartner ein Projekt

durchsetzen wollte.

Aber es war in den 75 Jahren kaum jemals passiert, daß ein Festspielchef für seine „privaten Ausritte” in Presse und Fernsehen sogar Ermahnungen des Bundeskanzlers und des Salzburger Landeshauptmanns und Büffel des Wiener Bürgermeisters einstecken mußte.

75 Jähre Salzburger Festspiele: Das ist die Geschichte eines fulminanten Konzepts, das seit 1918 von Bichard Strauss, Max Beinhardt, Franz Schalk und Hugo von Hofmannsthal „aus dem Geist der barocken Stadt” entwickelt wurde und über die Jahrzehnte hinweg auf die größten Künstler

magische Anziehungskraft ausübte.

1922 wurde der Grundstein zum (Kleinen) Festspielhaus gelegt; durch die Einbeziehung der Felsenreitschule, der Kollegienkirche, des Landestheaters entstand der Festspielbezirk, dessen „Schlußstein” Clemens Holzmeister und Herbert von Karajan durch den Bau des Großen Festspielhauses setzten. Eine Bilanz von 75 Jahren Salzburger Festspiele ist aber auch eine Geschichte der Zusammenarbeit der bedeutendsten Dirigenten - von Strauss über Toscanini bis Karajan -, Sänger, Musiker, Begisseure, Bühnenbildner, Schauspieler, die hier von der internationalen Kritik nach strengsten

Maßstäben beurteilt wurden.

In den kommenden Wochen feiern die Festspiele ihr Jubiläum mit einer Gala von Bichard Strauss' „Bosenkavalier” (mit Kartenpreisen bis zu 6.000 Schilling) und einem Festkonzert der Wiener Philharmoniker mit Daniel Barenboim. Und alle Auseinandersetzungen um Mortiers „viel zu modernes” Festspielkonzept, um seine „Verschwendung” - wie die Gegner klagen -, um seine Künstlerpolitik, seine Querelen mit den „Erben Karajans” (Anwälte eingeschlossen), mit der Plattenindustrie und so weiter scheinen fürs erste vom Tisch gewischt. Umso mehr, als Mortier - wie auch seine Gegner bestätigen - in den vergangenen Monaten Lernfähigkeit bewiesen hat.

Er hat mit seinem Team, dem Finanzchef Hans Landesmann und der neuen Präsidentin Helga Babl-Stad-ler, ein Jubiläumsprogramm zusammengestellt, das eine klare Linie Mozart-Strauss-Moderne zeigt und sich sehen lassen kann: Internationale Spitzenregisseure und -di-rigenten, interessante, junge Sänger, hervorragende Orchester und Instrumentalensembles, Akzente der Neuen Musik -wie das spektakuläre Avantgarde-„ Progetto Pollini” und im „Zeit-fluß”-Festival neue Werke in exklusiver Besetzung; und Peter Stein, sein Schauspieldirektor, ergänzt dieses Angebot mit seiner „ Kirschgarten ”-

Inszenierung und einem neuen „Jedermann”.

Aber auch finanziell hat Mortier das drohende Sturmtief und ein 20-Millionen-Loch, das noch zu Jahresbeginn Jubiläumsprojekte wie Bergs „Lulu” in Frage stellte, souverän überwunden: Sponsoren wurden mobilisiert; der Kartenverkauf ist trotz Spitzenpreisen von 4.200 Schilling voll angesprungen und konnte sogar von 89 Prozent im Vorjahr auf 92 Prozent gesteigert werden. 270 Millionen Schilling Einnahmen aus dem Kartenverkauf sind hervorragend.

Festspielpolitisch hat das aber Konsequenzen: Die Verlängerung der Salzburger Verträge für Gerard Mortier und Hans Landesmann bis mindestens zum Jahr 2000 ist nach höchst offiziellem Lob vom zuständigen Minister Budolf Schölten eine ausgemachte Sache; und auch Mortiers Drohgebärde, daß er nur bleiben werde, wenn auch die finanzielle Aufrüstung der Festspiele garantiert sei, dürfte genützt haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung