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Von Sankt Wenzel zur Op-art

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In der friedlichen Nachbarschaft von Blumen und Bäumen stellt sich die tschechoslowakische Bildhauerkunst „Von Myslbek bis heute“ in Paris vor. Einer Oase nicht unähnlich wirken die Gartenanlagen des Musėe Rodin in der Rue de Varenne, in denen bis Ende Oktober 80 Plastiken verbleiben werden, deren Zukunft so ungewiß ist wie die einiger Künstler. Realistische Figuren von Josef Myslbek (1848 bis 1922), dessen Hauptwerk das seit dem 21. August weltbekannt gewordene Reiterdenkmal des Heiligen Wenzel auf dem Prager Wenzelsplatz ist, eröffnen die Ausstellung.

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In der friedlichen Nachbarschaft von Blumen und Bäumen stellt sich die tschechoslowakische Bildhauerkunst „Von Myslbek bis heute“ in Paris vor. Einer Oase nicht unähnlich wirken die Gartenanlagen des Musėe Rodin in der Rue de Varenne, in denen bis Ende Oktober 80 Plastiken verbleiben werden, deren Zukunft so ungewiß ist wie die einiger Künstler. Realistische Figuren von Josef Myslbek (1848 bis 1922), dessen Hauptwerk das seit dem 21. August weltbekannt gewordene Reiterdenkmal des Heiligen Wenzel auf dem Prager Wenzelsplatz ist, eröffnen die Ausstellung.

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Die tschechoslowakische Kunst hat viele Gesichter. Doch weil in ihr die Tendenzen zur Liberalisierung am ehesten verwirklicht werden konnten, läßt sich Gemeinsames schnell aufdecken: der Wunsch nach Kommunikation über die eigenen Grenzen hinaus; die Symbolisierung der Isolation, der Schwierigkeit, mit dem Nachbarn zu kommunizieren; das dringende Bedürfnis nach menschlichem Kontakt als Folge oft zahlloser Einschüchterungen. In der Pionierarbeit der tschechischen und slowakischen Künstler spiegeln sich Zeitereignisse, Hoffnungen und Befürchtungen. Ihre Werke waren die ersten unmißverständlichen Aussagen, waren trotz aller notwendigen Verschlüsselung am bestimmtesten. Ihre Plastiken waren Vorstöße in ein Neuland.

Einen ersten umfassenden Einblick in das künstlerische Schaffen der Tschechoslowakei gab im März 1966 die Ausstellung „Paris — Prag“ im Nationalmuseum für moderne Kunst. Werke tschechischer kubistischer Maler und Bildhauer wurden damals gemeinsam mit Werken der französischen Kubisten aus tschechischem Besitz gezeigt

Frankreichs kulturelle Bemühungen um den europäischen Osten und Südosten hatten seit jeher zur Folge, daß sich an den Strömungen aus Paris ganze Künstlergenerationen orientierten. In der Tschechoslowakei war dies bei der Rodin-Ausstellung 1902 und dann 1910 bei der Ausstellung der französischen Unabhängigen der Fall. Damals blieb ein Großteil der gezeigten Bilder in Prag zurück. Einer der eifrigsten Sammler französischer Kunst war der Kunsthistoriker Vincenc Kramar, dessen häufige Parisaufenthalte regelmäßige Einkäufe in der Galerie Kahnweiler einschlossen. Kahnweiler schätzte ihn als „den einzigen Kunsthistoriker unter den ersten Unabhängigen des Kubismus".

Die Bildhauer Otto Gutfreund (1889 bis 1927) und Kubista erlebten wie ihre russischen Kollegen Zadkine, Lipchitz und Chana Orloff die kubistische Bewegung in Paris. Gutfreund, der im Atelier von Bourdelle arbeitete, ließ sich dennoch erst in Prag von der neuen Ausdrucksweise mitreißen. Dort entstand nun eine zweite kubistische Schule, die in ihrer Bedeutung nur von der französischen überflügelt wurde. Gutfreund, von dem mehrere Plastiken in dieser Ausstellung zu sehen sind, gilt in seinem Land als der erste kubistische Bildhauer der Welt. Er schuf bereits 1911 Skulpturen, für die

er das Prinzip des dreidimensionalen Kubismus anwandte. Eine einzige Plastik dieser - Art existierte bis dahin: „Der Kopf“ von Picasso. Gutfreund hatte sie nie gesehen, obgleich sie sich in der Sammlung Kramars befand. Mit den Pariser Surrealisten bekam die Gruppe „Devetsil" 1928 Kontakt. Der Surrealismus wie auch der Symbolismus gelten den tschechoslowakischen Künstlern heute noch als avantgardistische Bewegungen, aus deren Chiffrierungsmöglichkeiten die Künstler nach wie vor schöpfen.

Auf die elangeladenen zwanziger Jahre, die durch Plastiken von Stursa, Bilek, Maratka und anderen vertreten sind, folgte eine Periode des Pathos, der Gemessenheit, in der Werke wie Pokornys „Gefallener Krieger“ aus sozialen und patrioti

schen Empfindungen heraus entstanden. Die folgenden Jahre des sozialistischen Realismus werden in der Ausstellung stillschweigend übergangen. Als der Staat künstlerisches Schaffen nur mit ihm genehmen Ausdrucksmitteln billigte, als sich die bildende Kunst mit den doktrinären Vorschriften der Partei auseinanderzusetzen hatte, begnügten sich viele Künstler mit einer Existenz im Schatten. Wer keine Kompromisse schloß, konnte bis Anfang der sechziger Jahre nicht ausstellen. Erst hier setzt die Pariser Ausstellung wieder ein. Mit der Wahl des Malers Adolf Hoffmeister (der sein Land als Kulturattachė mehrere Jahre hindurch in Paris vertreten hatte) zum Präsidenten der Gruppe „Kreuzung“ innerhalb des Verbandes bildender Künstler war der liberale Kurs der Gruppe gesichert.

Die Gedanken Rodins, an dessen einstiger Wirkungsstätte diese Ausstellung zu sehen ist, kreisten bis zu seinem Tode tun die Rechtfertigung der künstlerischen Freiheit. In der Tschechoslowakei erhält die Kunst ihre Berechtigung aus der humanen Situation des Künstlers, der um seine Rechtfertigung ringen muß.

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