6666603-1960_37_10.jpg
Digital In Arbeit

VON „TONNY“ ZU „JEREMIAS“

Werbung
Werbung
Werbung

Der Typus des universell gebildeten, an Zeitfragen interessierten und im sprachlichen Ausdruck gewandten Künstlers ist in unseren Tagen nicht gerade selten. Auch im deutschsprachigen Raum beginnt das Mißtrauen gegen den „intellektuellen“, den denkenden, sich über sein Tun theoretisch Rechenschaft gebenden Künstler erfreulicherweise zu schwinden. Ja, man konzediert ihm allmählich auch, sich über seine Zeit, ihre Erscheinungen und Probleme Gedanken zu machen, und ist sogar bereit, diese mit Respekt zur Kenntnis zu nehmen. Bei Ernst Krenek, der so alt ist wie dieses Jahrhundert und vor kurzem während eines Aufenthaltes in Salzburg seinen 60. Geburtstag feiern konnte, erscheint diese geistige Regsamkeit und Vitalität so stark ausgeprägt und in einem so hohen Maße vorhanden, daß, wäre sie nicht von allem Anfang an mit einem ursprünglichen Musi-kantentum gepaart gewesen, sie sich bestimmt anderweitig manifestiert hätte, etwa auf dem Gebiet der Technik, der exakten Wissenschaften oder der spekulativen Philosophie. — So kommt es, daß, parallel mit der langen Reihe seiner kompositorischen Werke, eine zweite Reihe kaum weniger bedeutender und glanzvoller literarischer Arbeiten verläuft. Zu ihnen gehören die zahlreichen Operntexte, die Krenek sich selbst schrieb und unter denen der zu „Karl V-“ besonders hervorragt, zahlreiche musikhistorische, ästhetische und theoretische Abhandlungen, die 1958 in dem stattlichen Band „Zur Sprache gebracht“ gesammelt wurden — und schließlich die von Konkreterem handelnden Reiseimpressionen, welche vor kurzem unter dem Titel „Gedanken unterwegs“ im Langen-Müller-Verlag, München, erschienen sind.

Ernst Krenek verlebte seine Jugend bis zum 20. Lebensjahr in Wien, das damals, in den beiden ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts, überreich an interessanten künstlerischen Persönlichkeiten war und einem sich entwickelnden und aufgeschlossenen Geist vielerlei Anregungen zu bieten hatte. Schon seine Kindheit war durch äußere Umstände begünstigt, vor allem durch ein in der altösterreichischen Tradition wurzelndes Elternhaus, das keinerlei Zwang auf seine Neigungen und Interessen ausübte. Krenek war ein eifriger Lerner und ein großer Leser von früh auf. Sehr merkwürdig ist, wie sich schon der Gymnasiast für Sallust begeisterte, dessen Vorbild ihn als Schriftsteller und Lebensweisen faszinierte. Merkwürdig auch, daß sich der Gymnasiast mit dem Projekt eines großen historischen Romans trug, der die Auseinandersetzung zwischen Athen und Sparta zum Gegenstand hatte, ein Stoff, den er vierzig Jahre später in seiner Oper „Pallas Athene weint“ auf die Bühne brachte. Mit 16 Jahren durfte er bereits den Unterricht Franz Schrekers genießen, der damals an der Wiener Staatsakademie für Musik lehrte. Dessen Werk war imprägniert von der Fin-de-siecle-Mentalität des „Jungen Wiens“ und der „Wiener Sezession“, welche beide die Autonomie des Kunstwerks proklamierten und Originalität sowie Vermeidung jeder Banalität forderten. Dem verehrten Lehrer folgte Ernst Krenek im Jahre 1920, also zwanzigjährig, nach Berlin. — Der Künstlerkreis, in den er dort trat, bestätigte seinen Hang zum Radikalismus und gab ihm neue Nahrung. Arthur Schnabel und Eduard Erdmann, denen er in Berlin begegnete, gewannen als schaffende Musiker bedeutenden Einfluß auf den jungen Krenek. Hermann Scherchen entwickelte sich in jenen Jahren zum Anwalt der neuen Musik, und Georg Schünemann, der stellvertretende Leiter der Berliner Musikhochschule, machte Krenek mit Ferruccio Busoni bekannt. Heute will es uns wie ein Symbol erscheinen, daß im Todesjähr Busonis die ersten beiden Bühnenwerke Kreneks ihre Uraufführung erlebten: „Zwingburg“, nach einem Text von Franz Werfel, und „Der Sprung über den Schatten“.

Es gibt Werke, die ihrem Schöpfer zum Schicksal werden. Als zu Beginn des Jahres 1927 vom Stadttheater in Leipzig die Oper „Jonny spielt auf“ herausgebracht wurde und dann, in den folgenden zwei Jahren, an mehr als hundert europäischen Bühnen, zum Teil en suite, gespielt wurde, galt ihr Autor als einer der Führer der musikalischen Avantgarde. Krenek hielt damals etwa bei op. 50 und war bereits dreimal (1923, 1924 und 1925) bei den Musikfesten in Donaueschingen aufgeführt worden. Viel zu anspiuchs-und eigensinnig, um fertige Stücke zu vertonen, hatte sich Krenek die Texte zu seinen Opern — auf „Jonny“ folgten bald die Einakter „Der Diktator“, „Das geheime Königreich“ und „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“ — selbst geschrieben. „Jonny spielt auf“ lag durchaus auf der Linie früherer und späterer Bühnenwerke des Komponisten Krenek. Hier wie in anderen Opern ging es ihm um die Idee der Freiheit, als deren Symbol Amerika erscheint: Fülle des Lebens, optimistische Bejahung, Hingegebenheit an das Glück des Augenblicks, Freiheit von Grübelei und Intellektualismus. Als Assistent Baul Bekkers am Opernhaus in Kassel hatte der Fünfundzwanzigjährige den Apparat der Bühne und seine Möglichkeiten kennengelernt, deren er sich in seinem neuen Werk virtuos und spielerisch bediente. Die Gestalt seines Helden, des Jazzbandgeigers Jonny, bedingte die reichliche Verwendung von Jazzelementen in der Partitur — und diese in erster Linie den Welterfolg. (Diese Oper war so populär, daß die Österreichische Tabakregie eine ihrer Zigaretten, die „Jonny“, nach Kreneks Werk benannte). Durch diesen Erfolg gerieten die Berufsmusiker und Kreneks bisherige Freunde in Verwirrung — und er selbst in eine schiefe Situation. Galt er den einen als hartgesottener Zyniker, der es darauf angelegt hatte, die Sensationslust der Massen auszubeuten, um rasch reich zu werden, und der die Sache der ernsten Musik verraten hatte, so erwarteten andere von ihm modische Schlager in gleichem Stil. Der Komponist selbst aber hatte den Eindruck, daß durch den Erfolg von „Jonny“ alles, was er bisher an Rang und Ansehen erreicht hatte, zunichte gemacht worden war. So fand sich Krenek, nachdem er gewissermaßen ein reicher Mann geworden war, zum erstenmal als Künstler zwischen sämtlichen herumstehenden Stühlen sitzend ...

Drei Jahre später geriet Krenek auch in eine musikalische Krise. Die Arbeiten seiner „romantischen Periode“, zu denen auch das „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ zählt, waren einigermaßen erfolgreich, konnten aber nicht mit den Werken jener Komponisten konkurrieren, die das traditionelle Material viel unbedenklicher und populärer handhabten. Den Modernisten galten seine Werke als Kuriosa eines ehemals fortschrittlichen Komponisten. Diese Krise drängte zu einer radikalen Entscheidung. In jener Zeit lebte Ernst Krenek nach längerem Auslandsaufenthalt wieder in Wien, in materieller Hinsicht in wünschenswerter Unabhängigkeit, aber als Mensch und Künstler völlig isoliert. Gern hätte er manche seiner immer noch zahlreichen Aufführungen in Deutschland für einen einzigen Erfolg in Wien gegeben. Aber die Beziehungen zur Stadt seiner Herkunft nahmen immer entschiedener den Charakter unerwiderter Liebe an. In dieser Situation wirkte ein Vorschlag des damaligen Opernchefs Clemens Krauß, für die Wiener Staatsoper ein größeres Werk zu schreiben, elektrisierend. Der Stoff war bald gefunden: ein ganzes Jahr lang widmete sich Krenek, der sich sein Textbuch natürlich wieder selbst schreiben wollte, in der Nationalbibliothek der Geschichte Karls V. Mit diesem Text hatte es auch noch eine besondere Bewandtnis. Schon seit seiner ersten Oper, „Zwingburg“, hatte Krenek in fast allen seinen Theaterwerken (es sind heute bereits 16!) an die politische Sphäre gerührt. In „Karl V.“ nahm er ausdrücklich Stellung zu politischen Problemen, indem er den Universalismus des mittelalterlichen katholischen Reiches pries gegenüber den zersetzenden Kräften des Nationalismus, Materialismus und religiöser Gleichgültigkeit. Das bereits vor Hitlers Machtergreifung im Jahre 1933 vollendet vorliegende Libretto hatte eine ausgesprochen antinationalsozialistische Tendenz. Es sprach manche von den Grundsätzen aus, die sich die österreichische Regierung später als geistiges Verteidigungssystem zu eigen machte. „Für mich“, schrieb Krenek, „war Österreich der letzte Rest des alten, universalen, übernationalen Reiches, und seine politische Seele war unnationalistisch ... Manche dieser Ideen wurden von der Dollfuß-Regierung als die neue Philosophie Österreichs promulgiert, als Hitler Deutschland übernahm und Österreich von Tag zu Tag zu überrennen drohte. Diese neue Philosophie schloß traditionell und theoretisch eine stark katholische Orientierung ein. Im Laufe der vorangehenden Jahre hatte ich mich mehr und mehr für religiöse Probleme interessiert und war, nach einer Periode der Entfremdung, schrittweise zur römisch-katholischen Kirche, in der ich geboren und aufgewachsen war, zurückgekehrt. Ich fühlte, daß die Zeit für meinen aktiven Beitrag zum Leben und zur Kultur Österreichs gekommen war. Mein Land war in einer verzweifelten Lage, in seiner Existenz bedroht. Die fortschrittlichen Elemente waren größtenteils skeptisch gegen den neuen politischen Kurs, der ihnen als Faschismus aus zweiter Hand, .gemildert durch Schlamperei', erschien. Ich war fast der einzige Musiker von internationalem Ruf und nennenswerter Schaffenskraft, der die Wiedergeburt der Tradition des alten übernationalen Reiches aus dem Geist katholischer Christlichkeit unterstützte. In, Karl V.' hatte ich ein Werk von monumentalen Dimensionen geschaffen, das wie kein zweites die Philosophie der Regierung ausdrückte ...“

Als Musiker entschloß sich Krenek gleichfalls zu einem radikalen Schritt. Er fühlt, daß seine „romantische Periode“ zu Ende war. Das gründliche Studium der Werke von Schönberg, Berg und Webern, die ihn schon früher durch ihre Stilreinheit anzogen, deren Ausdrucksmöglichkeiten ihm aber noch nicht klargeworden waren, machen aus einem Saulus (der zur Zeit des „Jonny“ in einem Vortrag gegen die Zwölftonmusik polemisiert hatte) einen Paulus. Nach langen, reiflichen Überlegungen und gründlicher Gewissenserforschung beschließt Krenek, sich der Zwölftonmusik zu verschreiben. Er erlernt eine neue musikalische Sprache, der erfolgreiche „Jonny“-Komponist setzt sich selbst noch einmal in einen Elementarkurs für Komposition und zwingt sich zu einer Arbeit von entmutigender Schwierigkeit, deren langsamer Fortschritt ihm wie das Aushacken eines Pfades durch ein dürres, dorniges Gestrüpp vorkommt ...

Aber — seine Zähigkeit ist größer. Das Werk wird vollendet — und bleibt unaufgeführt. Die Gründe hierfür sind wahrscheinlich nicht nur in politischen Kabalen und Machenschaften zu suchen, die Krenek — auch heute noch — für die Absetzung seiner Oper verantwortlich macht. Sie mögen mitgespielt haben, und Krenek hatte recht, wenn er sich von jenen verlassen fühlte, die er als seine Freunde und Gesinnungsgenossen ansahf. Wer aber 4i?.,P.arti-tur von „Karl V.“ kennt, weiß, welch enorme Schwierigkeiten dieses Werk einer musikalischen und szenischen Realisierung entgegensetzt. Nur drei Opernhäuser haben sich bisher an „Karl V.“ gewagt: als erstes, bald nach der Vollendung der Partitur, Prag und - vor einigen Jahren — Essen und Düsseldorf. Krenek war sich stets auch darüber klar, daß seine Stellung in der Avantgarde — in den dreißiger Jahren als Zwölftonkomponist, heute bei den „Seriellen“ und Elektronikern — den Beifall der Massen weitgehend ausschließt. Er begründet seine künstlerische Unnachgiebigkeit damit, daß ihn die Dodekaphonik gegen die Versuchungen anderer zeitgenössischer Stilrichtungen, insbesondere gegen den des modernen Primitivismus und Neoklassizismus, immunisiert, vor allem aber — und dies ist ein echt KreHeksches Argument — aus Gründen der „moralischen Integrität“. Auch wenn die Zwölftontechnik ein verlorener Posten sein sollte, erscheint es ihm doppelt unmöglich, ihn aufzugeben, damit den Gegnern keine Gelegenheit gegeben wird, beim leisesten Zeichen der Ermüdung in ein Triumphgeschrei auszubrechen...

Inzwischen ist viel Wasser die Seine, den Rhein und auch die Donau hinuntergeflossen. In Paris, in Westdeutschland, in Italien und auch in Wien hat die neue Technik ihre Anhänger, ihre Theoretiker und ihre Vertreter — wenn auch vielleicht noch nicht ihr Publikum. Und so steht heute Krenek wieder in der vordersten Linie. Er hat neue Opern geschrieben, von denen eine („Pallas Athene weint“) sogar in seinem Heimatland Österreich, das er 1937 verlassen hat, aufgeführt wurde. Als Lehrer in den Vereinigten Staaten ist er ebenso geschätzt wie als Komponist bei den europäischen Musikfesten. Unter den zahlreichen Werken, die während des Krieges in den USA entstanden sind - Krenek hält heute etwa bei op. 150 —, nimmt die „La-mentatio Jeremiae Prophetae“ einen besonderen Rang ein, ein umfangreiches A-cappella-Werk nach dem lateinischen Text aus der Karwochenliturgie, das auch über den Österreichischen Rundfunk und auszugsweise im Konzertsaal zu hören war. In den nächsten Wochen werden mehrere europäische Sender seine Werke bringen.

Aber Ernst Krenek, der seit 1945 immer wieder Europa besuchte, allmählich kommt auch in seiner Heimat zur wohlverdienten Anerkennung und erhielt als Sechzigjähriger eine Auszeichnung (das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich), die er vor genau 25 Jahren bereits verdient hätte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung