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Weg von der Fläche

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Für die derzeitige Venediger Kunst-Biennale war eine umfangreiche Sonderschau „Experimentelle Ausstellung“ geplant, die mit großer Spannung erwartet wurde. Aber bei der Vernissage konnten die Kritiker aus zahl- ^ reichen Ländern nicht nur Europas lediglich leere Räume besichtigen, wo ihnen einer der Proponenten erzählte, was man da sehen werde; voraussichtlich ab August. Unfertig waren die Ausstellungen der USA, der Franzosen, der R. A. V., leer blieb der Raum der Schweden. An den Türen des tschechischen Pavillons stand mit Kreide in Italienisch: „Aus .technischen' Gründen geschlossen. Information im sowjetischen Pavillon.“ Damit schränkte sich das Vorgeführte auf etwa 1200 Werke ein, ein Bruchteil dessen, was in früheren Biennalen gezeigt wurde. Ein Novum ergab sich hiebet: Während früher den Italienern im Zentralpavillon 58 Räume vorbehalten blieben, sie also gegenüber allen anderen Nationen — heuer sind es 28 in 24 Pavillon - in gewaltiger Überzahl vertreten waren, sind es wegen der geplanten „Experimentellen“ nun nur noch sieben.

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Für die derzeitige Venediger Kunst-Biennale war eine umfangreiche Sonderschau „Experimentelle Ausstellung“ geplant, die mit großer Spannung erwartet wurde. Aber bei der Vernissage konnten die Kritiker aus zahl- ^ reichen Ländern nicht nur Europas lediglich leere Räume besichtigen, wo ihnen einer der Proponenten erzählte, was man da sehen werde; voraussichtlich ab August. Unfertig waren die Ausstellungen der USA, der Franzosen, der R. A. V., leer blieb der Raum der Schweden. An den Türen des tschechischen Pavillons stand mit Kreide in Italienisch: „Aus .technischen' Gründen geschlossen. Information im sowjetischen Pavillon.“ Damit schränkte sich das Vorgeführte auf etwa 1200 Werke ein, ein Bruchteil dessen, was in früheren Biennalen gezeigt wurde. Ein Novum ergab sich hiebet: Während früher den Italienern im Zentralpavillon 58 Räume vorbehalten blieben, sie also gegenüber allen anderen Nationen — heuer sind es 28 in 24 Pavillon - in gewaltiger Überzahl vertreten waren, sind es wegen der geplanten „Experimentellen“ nun nur noch sieben.

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Wieder erweist diese Biennale das Bestreben, vor allem bildnerische Entwicklungstendenzen, die sich in der letzten Zeit durchgesetzt haben, sichtbar zu machen. Der Trend geht von der Fläche weg, die nur zum Betrachten verleitet, zu räumlichen Manifestationen als erste Versuche einer neuen Expansion ins kommunikative Umweltgefüge. Dafür ist das im deutschen Pavillon Gebotene signifikant. Georcr Karl Pfahler baute hohe „Farbräume“, die ohne de facto Architektur zu sein, Farbe und Raum in Beziehung bringen. Thomas Lenk schichtet abgerundete quadratische Platten zu raumumfassenden Skulpturen, die das technische Prinzip der variierenden Reihung ins Optische umsetzen. Raffinierte Lichteffekte bietet Heinz Mack in saalhoch schmalen, gläsernen Stelen. Vom Boden, von der Decke, von der Wand greift Günther Vecker mit hunder-ten, tausenden bis zu meterlangen Nägeln in verschiedenen Anordnungen in den Raum.

Dieser Trend zeigt sich auch sonst. Die scharffarbigen Polyestergebilde des Schweizers Walter Voegeli wirken vorwiegend wandgestaltend als plastisch gewordene Flächen, als architektonische Elemente. Das gilt auch für eine portalartige, sich teilweise vorwölbende schwarze Wand des Italieners Agostino Bonalumi. Die abstrakten, farbig diffundierenden Bildwände des Engländers Richard Smith biegen sich nach unten zu in den Raum. Reizvolle Wirkungen holt der Venezolaner Carlos Cruz-Diez aus wandgroß eingesetzten dichten Reihungen von Streifen beleuchteten farbigen Glases. Ähnliche Bildwerke, ohne Einsatz von Licht, zeigt der Belgier Walter Leblanc. Op Art kleineren Ausmaßes: Farbige Lichtspiele in Glaswürfeln des Israelis .Amihai Shavit haben sowohl den Reiz spiritueller Prägnanz wie geheimnisvoller Irrationalität. Die Grenzen zwischen den einzelnen bildnerischen Bereichen werden durchstoßen. Die saalhohen Aufbauten mächtiger schwarzer Würfel und würfelartiger Gebilde aus Eisen des Italieners Nicola Carrino kann man sowohl als Skulpturen wie als Bauwerke ohne Zweck bezeichnen. Die Holländer Jan Slothouber und William Graatsma zeigen in einem Katalog von 430 Seiten die Variationsfähigkeit weniger stereometrischer Elemente. Technisches Denken gewinnt ästhetische Dimension. Eine mehr als mannshohe weiße Plastik mit qualligen Wölbungen wird von ihnen ebenfalls variierend aus inein-anderverschränkten farbigen Plexiglasplatten, in Würfelzusammensetzung, als Drahtgebilde dargeboten. Einen ergreifenden Eindruck erhält man im polnischen Pavillon. Jozef Szajna war Gefangener in Auschwitz und Buchenwald, er bringt an leeren Staffeleien Zeitungsausschnitte mit den Porträts der ermordeten Maler an, er bindet Holzlatten mit Draht zu jämmerlichen Gestellen, die an verhungerte Opfer der KZs gemahnen. „Reminiszenzen“ ist der Titel. Wladyslaw Hasior zeigt Rudimente von Figuren für ein Denkmal der füsilierten Geiseln und führt Kirchenfahnen vor, auf deren einer das Jesuskind als kleine Plastik in einer Blechschachtel wie in einem Gefängnis steckt. Als politischer Protest sind die in Glaskäfigen hängenden mannshohen Plexiglasflguren des Spaniers Dario Villalba aufzufassen: Ihre farbig gestreiften Kleider lassen an Gefangene denken, der Mund ist durch eine Binde verschlossen. „Textile Konstruktion“ der Rumänen Ritzi und Peter Jacobi erweisen sich etwa als übermannshohe lamaartige Gebilde oder als geöffnete Schreine mit abstrakten Blumen als Inhalt. Der Finne Juhanni Lirmovaara stellt in seinen Skulpturen den Menschen mit dinosaurierhaftem Kopf dar, In den Ölbildern aber erstehen der Sonnenkönig, der Marquis de Sade als filigran-gespenstige Figurationen schizophrener Phantasie. Auch der Däne Egon Fischer ist sowohl Maler wie Plastiker. Seine abstrakten Skulpturen bekunden penetrant die Brüchigkeit der heutigen seelischen Situation. Seine scharffarbigen Bilder kann man als Symbolisierungen unseres „Zivilisations“-Wirrsals auffassen.

ie verringerte Neigung, sich im Tafelbild auszusprechen, zeigt sich auch hier. In diesem Bereich bildnerischer Gestaltung fallen die Arbeiten des Spaniers Eduardo Urcolo auf, der Matisse-Anregungen mit popig Silhouettenhaftem kreuzt. Der Grieche Georges Ioannou verbindet Panoptikumseffekt mit popig akzentuierter Naivmalerei. Optische Eindrücke eines Fauteuils, eines Autobusses verfremdet der Belgier Georges Collignon mit realistischen Mitteln ins aufgebläht Unrealistische. Daß ein angeschnittener Apfel metaphysische Dimension annehmen kann, erweist der Jugoslawe Janez Bernik. Der Rumäne Henry Mavro-din bietet auch heute noch in gespenstig Surrealem originären Ausdruck. Diesen figurativen Werken gegenüber ist das abstrakte Tafelbild nur noch wenig vertreten, das Schlichte, Verhaltene des Italieners Claudio Verna spricht da an. Die Photographie setzt der Kanadier Michael Snow sehr wirkungsvoll ein: Man blickt in ein Tableau mit dreißig offenen Blechschachteln, deren jede photographierte Wellen zeigt, wobei — seltsam — gerade diese vielfältige Enge den Eindruck der unendlichen Weite des Meeres erzielt. Der Japaner Shusaku Arakawa führt wandhohe lehrbuchhafte Texte und Zeichnungen vor, in denen er über Meinungsbildung doziert. Schulmei-sterei. Pläne von großen Gartenanlagen des Brasilianers Roberto Burle Marx haben bildhafte Wirkung. Wie nun ordnen sich die Österreicher in den Trend der allgemeinen Entwicklung ein? Adolf Frohner bietet wandhoch Zeichnerisches mit geringem Farbeinsatz, das die Welt der Dirnen, Brutalität und Kälte, durch entlarvende Deformation bloßstellt. Gerhardt Moswitzer schafft in stereometrisch phantasiereichen, zweieinhalb bis mehr als drei Meter hohen Eisensäulen Sinnbilder technischen Triumphes. Von Korl Anton Wolf wurden acht Gußeisenplastiken vor der Vorderwand des Pavillons — er ist wohl der schönste der Biennale — aufgestellt. Sie symbolisieren introvertierte Komprimiertheit. Das sind sehr anerkennenswerte Arbeiten, allerdings jenseits der heutigen Entwicklungstendenzen. Wir bekunden, daß wir da nicht eingreifen. Doch besitzt Österreich sehr wohl Formschaffende, die in diesem Trend Akzente setzen: Cornelius Kolig, Gironcoli, Pichler, Adrian, die Hausrucker.

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