Weltgeschichte an seidenen Fäden

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Ein Pflichttermin für historisch Interessierte: "Karl V." im Wiener Kunsthistorischen Museum.

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Ein Pflichttermin für historisch Interessierte: "Karl V." im Wiener Kunsthistorischen Museum.

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Wer in diesen Wochen das Wiener Kunsthistorische Museum betritt, spürt irgendwie mit allen Sinnen, dass dieses Haus mit der gerade laufenden Ausstellung "Kaiser Karl V., 1500-1558, Macht und Ohnmacht Europas" mehr als die Präsentation wertvoller Kunstwerke und anderer Sammlerobjekte leistet. Der Blick auf einen Mann, der in einer der spannendsten Epochen der Geschichte ein Weltreich regierte, schärft auch das Auge für viele heutige Probleme des Kontinents Europa.

Karl V., dessen Geburtstag sich heuer am 24. Februar zum 500. Mal jährte (furche Nr. 8/2000), war Europäer, geprägt vom dynastischen Denken der Habsburger, erzogen in katholischer und ritterlicher Tradition, ein unermüdlich reisender, kämpfender, korrespondierender (die Forschung arbeitet an 120.000 Schriftstücken von ihm!), regierender, Kunst und Wissenschaft fördernder Herrscher, den keine Nation für sich vereinnahmen kann. Geboren wurde er in Gent, aufgewachsen ist er in Burgund, sein Großvater väterlicherseits war Kaiser Maximilian I., seine Großeltern mütterlicherseits gingen als die "katholischen Könige" Spaniens in die Geschichte ein.

Sieht man im 1519 verstorbenen Maximilian I. den "letzten Ritter", also den Ausklang des Mittelalters, so gehört Karl V., der sich damals bereits als Herrscher Spaniens etabliert hatte und nun, 1519, auch bei der Wahl zum römisch-deutschen Kaiser durchsetzte, bereits einer neuen Zeit an. In der Ausstellung spiegeln sich nicht nur die wichtigsten Ereignisse im Leben eines Monarchen, dem man aufgrund der spanischen Eroberungen in Übersee nachsagte, in seinem Reich gehe die Sonne nicht unter, sondern auch die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Umbrüche dieser Epoche.

Die europäische Bedeutung der Schau geht auch aus der Tatsache hervor, dass sie bereits in Gent und Bonn gezeigt wurde und von 5. Oktober 2000 bis 12. Jänner 2001 noch in Toledo zu sehen sein wird. Der sommerliche Termin in Wien ist für den Besuch von Schulklassen leider nicht ideal, für historisch Interessierte ist die Ausstellung aber zweifellos ein Pflichttermin.

Die wichtigsten Exponate kommen aus halb Europa, aber auch aus der Pierpont Morgan Library in New York. Tizians Gemälde des Kaisers mit seiner Ulmer Dogge kennt nun schon jeder Wiener von den Plakatwänden. Es ist wie das Tizian-Bild der Kaiserin Isabella oder die Büsten von Leone und Pompeo Leoni, darunter die berühmte Büste Kaiser Karls V. im Harnisch der Schlacht von Mühlberg, eine von mehreren wertvollen Leihgaben aus dem Madrider Prado. Berlin, Leipzig und Dresden, Florenz und Rom, Paris und Gent, Windsor und Budapest steuerten weitere Glanzlichter bei. Nur das Stadtarchiv der belgischen Stadt Mecheln verweigerte aufgrund der politischen Situation in Österreich eine wertvolle Leihgabe, das noch 1995 anlässlich der Schau "1000 Jahre Musik in Österreich" im Wiener Kunsthistorischen Museum gezeigte "Liber Missarum" der Margarete von Österreich.

Dafür kann Wien mit Besonderheiten aufwarten, die in Gent und Bonn nicht zu sehen waren, beispielsweise mit Albrecht Dürers Gemälde von Kaiser Maximilian I. oder mit Bernhard Strigels Bild der Familie Maximilians I. mit dem jugendlichen Karl oder mit einer Darstellung von Juan de Flandes, die Karls Mutter Johanna "die Wahnsinnige" zeigt. Von all den Schätzen bleiben aber den meisten Besuchern wohl vor allem die Gobelins vom Tunisfeldzug Karls V., in nachhaltiger Erinnerung.

Der niederländische Maler Jan Cornelisz. Vermeyen hielt imposante Szenen dieses Ereignisses im Jahr 1535 auf zwölf großen Kartons fest, Willem van Pannemaker webte danach von 1548 bis 1554 zehn Tapisserien, 1712 stellte der Weber Jodocos de Vos in den Niederlanden im Auftrag Kaiser Karls VI. nochmals eine Serie her, doch waren damals nur noch zehn der ursprünglich zwölf Kartons vorhanden. Auf den zwölf aus den kostbarsten Materialien - Wolle, Seide, Gold- und Silberfäden - gewobenen Teppichen, der bis dahin größten Tapisserien-Serie überhaupt, ist anschaulich der Sieg Karls V. über den Berberfürsten und Admiral der türkischen Flotte Chaireddin Barbarossa festgehalten. Leider stößt das für Sonderausstellungen immer wieder zum Improvisieren gezwungene Wiener Kunsthistorische Museum bei der Präsentation so monumentaler Objekte an räumliche Grenzen, zieht sich aber sehr gut aus der Affäre.

Die Auseinandersetzung mit dem Islam, in der er sich als Schirmherr der Christen fühlte, bestimmte ebenso die Epoche Karls V. wie die aus der Reformation resultierende Spaltung der Christen in Katholiken und Protestanten, die Auseinandersetzung mit dem Königreich Frankreich, das Entstehen von Kolonialreichen oder neue Entwicklungen im Wirtschafts- und Finanzwesen, für die Namen wie Fugger und Welser standen. Die Ausstellung blendet keines dieser Themen aus, präsentiert Dokumente, Skulpturen, Gemälde, Zeugnisse einer Zeit, die einer eingehenden Auseinandersetzung wert ist, weil dann auch das heutige Europa verständlicher wird.

Bis 10. September 2000. Kunsthistorisches Museum, 1010 Wien, Maria-Theresien-Platz, Tel. (01) 525 24-0. Internet: http://www.khm.at/karl5. Täglich 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr.

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