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Weltuntergänge und Heilandsgestalten

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Viele Religionen rechnen mit dramatischen Vorgängen beim Weltuntergang, allerdings auch mit dem Auftreten von rettenden Gestalten.

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Viele Religionen rechnen mit dramatischen Vorgängen beim Weltuntergang, allerdings auch mit dem Auftreten von rettenden Gestalten.

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Der Gedanke eines in naher oder ferner Zukunft bevorstehenden Weltuntergangs ist in vielen Religionen verbreitet. Geprägt vom Eindruck lebensbedrohlicher Naturkatastrophen wird das Ende der Welt durch Erdbeben, Überschwemmungen, Herabfallen der Gestirne, Verfinsterung von Sonne und Mond und Weltbränden angekündigt und herbeigeführt. Endzeiterwartungen können eingebettet sein in ein lineares oder in ein zyklisches Zeitmodell. Während die Auffassung eines linearen Zeitablaufs mit einem einmaligen Ende der Welt rechnet, kennt das zyklische Modell periodische Weltuntergänge und sich immer wiederholende Neuanfänge der Welt.

Judentum, Christentum und Islam gehen von einem einmaligen Beginn und einem einmaligen Ende der Welt aus. Dem Weltende kann ein idealer Zustand, ein geordnetes, friedvolles Reich folgen, „ein neuer Himmel und eine neueErde”, die stärker diesseitig oder stärker jenseitig konzipiert sind.

So existiert etwa im Judentum die lebendige Hoffnung auf ein irdisches Reich, das geprägt ist von nationaler Erneuerung und endzeitlicher Sammlung des Volkes Israels aus der Zerstreuung unter die Völker. Das Christentum kennt die Vorstellung eines idealen Reiches, das am Ende der Zeit herbeigeführt wird und dem endgültigen jenseitigen Heilszustand vorgeschaltet ist. Auch im schiitischen Islam erwartet man ein diesseitiges Friedensreich, das dem endgültigen Gerichtstag Gottes vorausgeht.

Diese drei verwandten (abrahami-tischen) Religionen sind durch ähnliche Vorstellungen vom Weltende miteinander verbunden. Gemeinsam ist ihnen der Gedanke eines endgültigen Gottesgerichts, das Gerechte und Frevler unterscheidet sowie die damit verknüpfte Vorstellung einer Auferstehung der Toten.

Sie sind beeinflußt von einer religiösen Tradition, die heute von vergleichsweise geringer Bedeutung ist, sich aber auf diesem Weg der geistigen Befruchtung eine erstaunliche Verbreitung geschaffen hat. Es handelt sich dabei um die von Zarathustra wahrscheinlich im zehnten vorchristlichen Jahrhundert im Iran gestiftete Beligion, die unter den Namen Zoro-astrismus, Parsismus oder Mazdaismus (nach dem Gott Ahura Mazda) bekannt geworden ist. In dieser Beligion findet sich bereits die Idee einer allgemeinen Auferstehung der loten in Verbindung mit einem Weltgericht, das sich unter schrecklichen Vorzeichen ankündigt und dem guten Prinzip zum endgültigen Sieg verhilft.

Während diese Vorstellungswelt im europäischen Kulturkreis mehr oder weniger vertraut erscheint, sind zyklische Denkmodelle mit einem anderen Lebensgefühl verbunden.

Bei aller Sorge um zu pauschale Unterscheidungen zwischen West und Ost kann man das westliche Lebensgefühl doch mit einiger Berechtigung als „Eintagsfliegenmentalität” beschreiben. Im Gegensatz dazu wird etwa das Leben eines Hindu in einen unendlichen kosmischen Kreislauf eingebunden. Die Visionen des Weltendes stehen stets im größeren Zusammenhang von Unendlichkeitsmythen. Während der Kosmos selbst ohne Anfang und Ende ist, sind die kosmischen Zyklen jedoch zeitlich begrenzt. Jeder kosmische Zyklus besteht aus vier Zeitaltern mit abnehmender Lebensordnung.

Am Ende des schlechtesten Zeitalters, des Kali-Yuga- in einem solchen befinden wir uns zur Zeit —, wird die Welt im kosmischen Feuer vernichtet und erneuert. Nach unendlich vielen Zyklen - rechnerisch wurde die Zahl 795 Billionen Jahre ermittelt -schließt Gott Vishnu die Augen und ruht im kosmischen Ozean auf der Weltenschlange. Die universale Auflösung ist damit verbunden.

Nach der kosmischen Nacht öffnet Vishnu seine Augen wieder. Aus seinem Nabel wächst ein Lotus, der den Schöpfergott Brahma hervorbringt.

Im Auftrag des universalen Gottes Vishnu wird die Welt neu erschaffen. Eine neue Beihe von Zyklen be-ginnt, die wie die letzte endet. Auch diese währt solange wie ein Tag Gottes.

Im Zusammenhang mit dem Weltende werden in vielen Beligionen Heilandsgestalten erwartet. Christen hoffen auf eine Wiederkunft des Erlösers Jesus Christus, Juden erwarten den Messias aus dem Hause Davids, der das Friedensreich, das neue Israel, herbeiführt. Schiitische Muslime erwarten in der Endzeit den von Gott rechtgeleiteten Mahdi, der die Gerechtigkeit auf Erden herstellt.

Heilandsgestalten sind aber nicht auf diese drei Beligionen beschränkt.

Im chinesischen Buddhismus hoffen die Menschen auf den Buddha Mait-reya, der am Ende aufeinanderfolgender Perioden der kontinuierlichen Verschlechterung erscheinen wird und eine neue Ära des Heils für alle einleitet.

Am Ende eines jeden Kali-Yuga erscheint Vishnu als Kalki, der mit gezogenem Sfehwert auf einem Schimmel reitet. Auch Kalki ist eine Heilandsgestalt, der die Frevler bestraft und eine neue Zeit der wiederhergestellten Ordnung und Gerechtigkeit ankündigt.

Die großen Religionen der Menschheit unterscheiden sich in ihren Endzeiterwartungen im einzelnen stark. Dies gilt besonders in Hinblick auf den Stellenwert, den diese Vorstellungen im größeren Ganzen besitzen. Im Hinduismus und Buddhismus etwa kommt ihnen keine heilsrelevante Bedeutung zu, da das menschliche Heil weitgehend vom Weltganzen entkoppelt ist. In den abrahamitischen Beli-gionen hat die Endzeit hingegen schicksalhafte Bedeutung für die I leilszukunft von Mensch und Welt. Aber auch hier herrschen große Unterschiede in der theologischen Interpretation paralleler Vorstellungen.

Trotz dieser Gegensätze und Unterschiede erfüllen die Endzeiterwartungen durchaus ähnliche Funktionen. Diese betreffen weniger das Ende als die Gegenwart menschlichen Lebens. Endzeiterwartungen dienen einerseits der Krisenbewältigung und moralischen Aufrüstung, wenn sie die Überzeugung von der Überwindung der herrschenden Unordnung, Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit nähren. Das Ende wurde dabei oft genug nicht nur als Licht an einem fernen Horizont wahrgenommen, sondern in sozio-po-litisches Engagement für die Gegenwart übersetzt.

Endzeit wurde in sozialen und politischen Bevolten in Judentum, Christentum, Islam, aber auch im buddhistisch geprägten China zur Jetztzeit. Andererseits relativieren Endzeiterwartungen das menschliche Streben, schärfen das Bewußtsein für Endlichkeit - auch oder gerade wenn sie wie im Hinduismus unendlich wiederholt wird - und setzen der menschlichen Selbstverwirklichung klare Grenzen.

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