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Zur Wiederöffnung einer österreichischen Pflegestätte missionarischer Kulturarbeit

In Niederösterreich, südlich des Wienerwaldes, sind seltsame Gegensätze daheim: Neben dem Gebreite fruchtbaren Ackerlandes und den Weinbergen das dürre Steinfeld. Mit den Kontrasten der Natur wetteifert der Mensch. Weit und breit in Österreich gibt es kein trostloseres Bild für menschliche Niederlassung bestimmter Bauten, als die bis vor kurzem als Holzweber-Siedlung bezeichnete Häufung von Wohnkasernen zwischen Ziegelteichen und kahlem Feld südlich von Wiener Neudorf, heute noch ein Denkmal barbarischer Herrsdiaft. Nahebei die Ruinen der Rüststätten des Griesfeldes, deren Türme bis vor kurzem noch wie drohende Riesen sich aus der Ebene emporreckten. Aber dann weiter gegen Wien zu der helle Kontrapunkt: Am Rande von Mödling, geschmiegt an die hochragende Kirche, die saubere Baugruppe von St. G a b r i e 1. Weithin leuchten ihre roten Backsteinmauern. Wenn man zwei Welten bildhaft gegenein-anderstellen wollte, eine kulturloser Roheit und der Menschenfeindlichkeit und eine andere der Lebensbejahung und Schaffensfreude, so würden die Gegenbilder: Holzweber-Siedlung und St. Gabriel dafür genügen.

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Gleich den 198 anderen Missionsanstalten, die dem Bereich der Hitler-Herrschaft verfielen, war das Missionsinstitut von St. Gabriel 1940 von den damaligen Macht-habern geschlossen worden. Aus einer Stätte der Erziehung, der Wissenschaft und opferreicher Kulturschöpfung war eine Behausung für die Sklaven der nahen Rüstungsindustrie

geworden. Nun wird das Missionshaus der „Gesellschaft vom Göttlichen Wort“ mit einem feierlichen Weiheakt, den Kardinal Innitzer vollzieht, am 5. Mai wieder seiner großen Bestimmung zurückgegeben.

Österreich besitzt keine Bildungsanstalt staatlichen oder privaten Charakters, die einen derart in alle Welt reichenden Aktionsradius hätte, wie dieses St. Gabriel. Hier ist die älteste und vornehmste theologisch-philosophische Lehranstalt der 1875 gegründeten Missionsgesellschaft vfcn Göttlichen Wort daheim; Jahr um Jahr zog von hier aus der „Heilige Frühling“ des jungen missionarischen Nachwuchses in alle Erdteile hinaus. Sendboten des Christentums, des Friedens und völkerversöhnender Kultur.

Auch der Laie kann sich vorstellen, welch gewaltige geistige Rüststätte ein Haus darstellt, in dem junge Menschen für ein Leben und Wirken in fremden Erdteilen, unter Menschen fremder Rasse, Sprache und Lebensart, oft in der Einsamkeit der Wildnis, unter Verzicht auf die letzten Reste gewohnter Lebensweise und Kultur, körperlich und geistig vorbereitet werden müssen. Der Gesellschaft des Göttlichen Wortes ist in dem großen Missionsplan der katholischen Kirche ein Raum von 2,844.520 Quadratkilometer mit über 47 Millionen Einwohnern ein riesiges Arbeitsfeld zugewiesen, das sich auf China, Japan, Neuguinea, Holländisch-und Britisch-Indien, die Philippinen, die Negermission in den Vereinigten Staaten, auf Brasilien und die afrikanische Goldküste verteilt. Während des halben Jahrhunderts sind aus St. Gabriel 1003 Priester und

Laienbrüder in die außereuropäischen Länder hinaufgezogen: 382 nach Nord- und Südamerika, 444 nach Asien, 88 nach Afrika, 89 nach Neu-Guinea; 95 von ihnen waren Österreicher, so daß heute zwei Drittel aller österreichischen Missionare, die in den heidnischen Ländern wirken, aus St. Gabriel stammen. Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges beherbergte die Anstalt 374 Studierende, die Aus 12 verschiedenen europäischen Staaten, aus Argentinien, Japan und Nordamerika kamen, 43 Österreicher waren unter ihnen. Eine glänzende Internationale, vereinigt zu einem opferbereiten, von höchsten Idealen inspirierten Geiste. In dem Studienplan nehmen Sprachen- und Völkerkunde, Religions- und Missionswissenschaft den hervorragendsten Platz ein; die letztere ist eine junge Disziplin, die ein vordem kaum in seinem Reichtum und in seiner

Tiefe bekanntes Schaffensgebiet ersdilossen hat, namentlich unter der Einwirkung der wissenschaftlichen Initiative, die von St. Gabriel ausging und mit dem Namen Wilhelm Schmidt und der von ihm gegründeten internationalen ethnologischen Zeitschrift „Anthropos“ verknüpft erscheint. Nicht mehr die Einzelbekehrung ist es, auf die sich heute der Missionsaktivismus richtet, sondern Aufgabe und Methode ist die christliche Durchdringung des Volksganzen, die Erschließung katholischen Geistes für die soziale Gemeinschaft, in welcher die Mission zu wirken hat. Voraussetzung für die Mission selbst ist dabei liebevolle Anpassung an die Sitten und Lebensgewohnheiten, an die Sprache und Tradition des Volkes, dem die apostolische Arbeit gilt. Deshalb betont die moderne Missionsarbeit vor allem ihre Verbundenheit mit der Schule. So unterhalten die Heidenmissionen der Gesellschaft vom Göttlichen Wort gegenwärtig rund 900 Volksschulen mit 53.000 Schülern und 250 Mittelschulen, die von 2200 Schü-

lern besucht sind. Das imposanteste dieser Bildungswerke, vielleicht auch aller Missionen des fernen Ostens, ist die katholische Universität in Peking „Fu-Jen“, die 1925 von den amerikanischen Benediktinern gegründet, 1933 der Gesellschaft des Göttlichen ■ty ortes vom Apostolischen Stuhl übertragen wurde. Der besondere Stolz Österreichs kann es sein, daß der Rektor ein aus St. Gabriel hervorgegangener Gelehrter ist, der an der Wiener Universität sich die akademischen Grade erworben hat. Die Universität steht mit ihren 3000 Matrikulierten im ersten Rang der Hochschule in China. Seit 1930 haben an ihr 700 Studierende, unter ihnen 150 Katholiken, die akademischen Grade erlangt. Der Lehrkörper der Universität um-■ faßt bei 200 Professoren, Dozenten und Assistenten. Mit staatlicher Anerkennung ausgestattet und nach den im Staate China geltenden Hochschulgesetzen organisiert, gliedert sich die Universität in drei Fakultäten und 13 Fachabteilungen, eine Fakultät der Freien Künste mit Fachabteilung für christliche Philologie, Philosophie, Literatur, Geschichte, Soziologie und Sozialökonomie, ferner in die naturwissenschaftliche Fakultät mit Fachgruppen für Mathematik, Physik, Chemie und Biologie und die philosophisch-pädagogische Fakultät mit ihren Ausbildungsgruppen für Philosophie, Pädagogik und Psychologie. Es ist interessant, daß diese Universität ein eigenes Institut für Mikrologie zur Erforschung und Bekämpfung des Flecktyphus unterhält; sie besitzt eine eigene chinesische Kunstakademie und ein Institut für chinesische Sprache und Kultur. Die Kunstakademie, die von dem kaiserlichen Prinzen Pu-Chin, einem vornehmen Maler des modernen China, geleitet ist, zählt unter ihren Lehrern die Professoren Lukas Chen und Georg Wan Su-Ta, Künstler von hohem Rang, die einer bodenständigen christlichen Kunst Chinas ein fesselndes eigenartiges Gepräge gegeben haben. Als Professor der Zeichenabteilung der Akademie wirkt ein Wiener Lehrer, Bruder Berchmanns. Unter der Mitwirkung von Gelehrten aus St. Gabriel ist gegenwärtig die Ausgabe der ersten katholischen chinesischen Enzyklopädie *in Vorbereitung, eines mehrbändigen wissenschaftlichen Lexikons, das, man könnte sagen, eine Sensation darstellt.

Aus Österreich reichen über St. Gabriel geistige Fäden auch nadi Südamerika. In St. Gabriel ausgebildete Lehrer wirken an den Gymnasien und Kollegien, die ihr Orden — zwei in Argentinien mit 400, vier in Brasilien mit 1800, drei in Chile mit 1400 Schülern — geschaffen hat. So zählten zum Beispiel die Handelsakademie von Juiz de Fora in Brasilien 720 Studierende und für Chile das Lyceo in St. Jago, eine Realschule mit besonderer Betonung der modernen Sprachen und der naturwissenschaftlichen Fächer, zu den bedeutendsten Instituten dieser Länder. Das Karl-Kolleeium der Gesellschaft in Cebu auf den Philippinen, mit der Bestimmung zu einer Handelshochschule ausgebaut zu werden, wurde während des Weltkrieges schwer getroffen, dürfte aber bald seine Erneuerung feiern.

Von St. Gabriel aus starteten die vier Feuerland-Expeditionen Martin Gusindes, die Forschungsfahrten Paul Schebestas zu den Zwergvölkern in Malakka, Zentralafrika, und auf den Philippinen, ' jene Pater Höltkers nach dem Inneren Neu-Guineas und die Expedition Professor Koppers' zu den BJhls und ihren Nachbarstämmen in Vorderindien. Schon diese Daten und Namen geben ein beiläufiges Bild von der Stellung St. Gabriels als zentrale wissenschaftliche Wohnstätte für die Übermittlung christlicher Kultur und Gesittung in der Welt. Und doch ist die Bildungsarbeit des Ordens in den Schulen nur eine der Äußerungen der kultur-schaffenden Kräfte, die aus dieser großen Gemeinschaft und ihrer ältesten geistigen Rüststätte St. Gabriel in die Welt hinausstrahlen. Ein vielgestaltiges Schrifttum geht von diesem Hause aus. Aus den Druckereipressen von St. Gabriel wanderten Bücher, Kalender, Zeitschriften in ungarischer, polnischer, slawischer, tschechischer, italienischer und deutscher Sprache in die Weit. Insgesamt erscheinen die Publikationen der Gesellschaft in 19 Sprachen.

Ein neues großes Kapitel müßte man aufschlagen, wollte man die Bedeutung charakterisieren, die dem Mödlinger Hause im innerkirchlichen Leben Österreichs' zukommt. •

Österreich war einmal stolz aufseine Kon-sularakademie und das Theresianum, staatliche Bildungsstätten von internationalem Ruf und internationaler Wirksamkeit, und

ist es heute noch auf die bis in ferne Länder wirkende Anziehungskraft der Wiener medizinischen und der Innsbrucker theologischen Fakultät. An die Seite dieser wissenschaftlichen Institute in bezug auf • internationale Geltung, sogar in irfrer universalen Reichweite sie überflügelnd, ist St. Gabriel getreten. In

der Tat: Hier wird eine weltweite Sendung erfüllt. Durch sie nimmt unser kleines Land an der geistigen Ausrichtung großer fremder Völker teil, in deren Hände die Zukunft vielleicht die Menschheitsschicksale legen wird. Jeder Österreicher darf sich dessen freuen. N o r i c u s

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