7119569-1996_29_10.jpg
Digital In Arbeit

Wer hat Anspruch auf die Federkrone?

Werbung
Werbung
Werbung

Nach langjährigen Bemühungen ^ der Native Americans erließ der 1 1 US-Kongreß 1990 ein Bundesgesetz, das die Bückführung von religiösen und kulturellen Objekten an Üreinwohnergruppen ermöglicht.

Staatliche Museen, aber auch Museen, die öffentliche Förderungen erhalten, wurden verpflichtet, Verzeichnisse über alle in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände zu führen, die von indigenen Kulturen stammen und historische oder kulturelle Bedeutung für die Angehörigen dieser Kulturen haben. Die betroffenen Völker sind in diese Verzeichnisse einzu-beziehen und werden über Details der Museumsbestände informiert. Das Gesetz von 1990 war auf Einwände vieler Museen gestoßen. Von der Museumslobby wurde versucht, eine Art Geschichtskittung vorzunehmen. Die Museen wollten vergessen machen, daß die meisten Stücke unter kolonistischen Verhältnissen in die Hand von Fremden gelangt waren.

Eine indianische Gruppe, die gegen ein US-Museum einen Rückgabeanspruch erhebt, muß nun nicht im streng juristischen Sinne ihr Recht an der Sache beweisen, sondern ihre - wie das Gesetz sagt - kulturelle oder religiöse Beziehung zu dem Stück belegen. Dabei kommt es darauf an, daß die Gruppe die legitime Nachkommenschaft der ursprünglichen Besitzer darstellt.

Jüngste Äußerungen Bundespräsident Klestils und des Rektors der 1 lochschule für angewandte Kunst in Wien, Rudolf Burger, haben Diskussionen ausgelöst, den berühmten aztekischen Federkopfschmuck aus dem Wiener Völkerkundemuseum an das staatliche anthropologische Museum in Mexiko City zu übertragen. Wie stellt sich diese Übertragung im Lichte der neuen Standards zu indigenen Kulturgütern dar?

Das Museum in Mexiko ist keineswegs legitimer Nachfolger der ursprünglichen Besitzer der Federkrone. Die Politik des mexikanischen Staates war seit jeher auf die Zerstörung der Eigenheiten der indianischen Völker ausgerichtet, wobei dadurch die einzelnen Angehörigen dieser Völker in die untersten sozialen Schichten der „mo-dern”-mexikanischen Gesellschaft hineinkatapultiert wurden. Nachdem die Indiovölker jahrhundertelang einer sprachlichen Assimilie-rungspolitik unterworfen waren, nachdem die eigenständigen politischen und juristischen Strukturen dieser Indiovölker keine Anerkennung fanden, hat diese Politik seit 1992 einen neuen Höhepunkt erreicht: Der Staat hat die bislang bestehenden gesetzlichen Garantien für die kommunalen indianischen Gemeindeländer aufgehoben. Die Indianer sind einem noch nicht dagewesenen wirtschaftlichen Assimilationsdruck ausgesetzt. Nach offizieH-mexikani-scher I^esart ist die heutige mexikanische Nation ein Produkt „historischer Verschmelzung” europäisch-spanischer Eroberer und amerikanischer Ureinwohner. Indianervölker haben dieser ideologischen Geschichtsschreibung zufolge ihre historische Bestimmung - die Integration in die Nation Mexiko - bislang verfehlt.

Die Verschmelzungsthese ist das

Selbstverständnis Mexikos und wird von der sogenannten Wirtschaftsund Bildungselite im Lande geteilt. Sie bildet zugleich den Hintergrund für die große Bewunderung, die die Azteken des 16. Jahrhunderts im heutigen Mexiko erfahren, durch die sich der Besucher aus Europa aber leicht über die in Wahrheit herrschende Verachtung alles real-Indianischen hinwegtäuschen läßt.

Burger hatte Becht, als er am 8. Juli in der ORF-Sendung „Treffpunkt Kultur” davon sprach, daß die Federkrone im Wiener Völkerkundemuseum ein identitätsstiftendes Objekt der nicht-indianischen Mexikaner sei. Sie stiftet in der Tat die Identität für eine neo-koloniale, indianerfeindliche Gesellschaft. Diese kann auf ihre „Verschmelzungsrhetorik ” zurückgreifen, um zu legitimieren, warum den heutigen Indiovölkern ihre politischen, kulturellen und Territorialrechte verweigert werden.

Angesichts des allgemeinen Befun-des überrascht es nicht, wenn die Institutionen Mexikos, in deren Händen heute die archäologischen und ethnographischen Schätze indianischer Herkunft liegen, keineswegs bereit sind, die Nachkommen der Schöpfer dieser Kunstwerke in deren Verwaltung einzubeziehen. Das Anthropologische Museum mit seinen zahlreichen archäologischen Außenstätten ist keine Ausnahme. In ganz Mexiko kämpfen heute indianische Völker um das Recht, religiöse Zeremonien an heiligen Orten abzuhalten, die von der staatlichen Verwaltung als Trampelpfade für Touristen mißbraucht werden.

Es besteht keine Veranlassung, das Museum durch die Übergabe des Kopfschmuckes aufzuwerten. Indianische Organisationen haben sich deshalb auch dafür ausgesprochen, unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen keineswegs indianisches Kulturgut an das Museum in Mexiko zu übergeben.

Das Wiener Völkerkundemuseum könnte jedoch einen positiven Reitrag zum Kampf der heutigen mexikanischen Indianervölker leisten. Nach wie vor leben in Mexiko zirka eine halbe Million Nahuatl-sprachige Indianer. Sie sind die einzigen legitimen Nachkommen der Azteken des 16. Jahrhunderts, die sich heute von der Assimilationsideologie der hispano-mexikanischen Gesellschaft abwenden. Anstatt die Federkrone von einem Museum des weißen Mannes in ein anderes Museum des weißen Mannes zu verbringen, sollte das Wiener Museum ausfindig machen, welche kulturelle Bedeutung aztekische Stücke aus dem 16. Jahrhundert für die heutigen Nahuat spielen und gemeinsam mit diesen Vorstellungen über die museale Präsentation ihres Kulturerbes umsetzen. Völkerkundliche Museen, die die lebende Welt in-digener Völker in die Präsentation ihrer Sammlungen einbeziehen, können davon museal enorm profitieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung