"Wie ein Stachel im Fleisch"

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Bernhard Böhler, Direktor des Wiener Dommuseums und Otto-Mauer-Biograf, über seine "Begegnungen" mit Mauer und seiner Kunstsammlung.

Seit Anfang des Jahres leitet Bernhard Böhler das Erzbischöfliche Dom-und Diözesamuseum in Wien, das auch die Sammlung Otto Mauer verwaltet. 1999 kuratierte der Kunsthistoriker die erste große Ausstellung mit Exponaten daraus, 2003 verfasste Böhler eine große Mauer-Biografie (Monsignore Otto Mauer - Ein Leben für Kirche und Kunst. Triton Verlag, Wien 2003). Die Schau Happy Birthday Monsignore! zum hundertsten Geburtstag Mauers ist die erste Sonderausstellung der Direktion Böhler (vgl. Info-Kasten, unten).

Die Furche: Wie sind Sie auf Otto Mauer gestoßen?

Bernhard Böhler: Ich bin Jahrgang 1972 und habe Anfang der neunziger Jahre in Wien Kunstgeschichte studiert. In der ganzen Lehre kam Mauer nicht und die Avantgarde nur marginal vor. So bin ich auf ihn erst 1998 aufmerksam geworden, als ich in der Erzdiözese Wien tätig wurde und hier im Museum vor dieser grandiosen Sammlung Otto Mauer stand, die in Wien so gut wie unbekannt war. 1999 haben wir dann die Ausstellung Reflexionen mit den Hauptwerken aus der Sammlung gezeigt. 2003, zum 30. Todestag, gab es eine weitere Schau. Jetzt zum 100. Geburtstag stellen wir in der Ausstellung Happy Birthday Monsignore! die Geschichte von Mauers Förderungstätigkeit auf Basis der Galerie St. Stephan vor. Wir beginnen bei Herbert Boeckl 1954 und enden bei Wolfgang Ernst, der letzten Ausstellung, die unter Mauers Ägide 1973 stattfand.

Die Furche: Otto Mauer wurde aber nicht nur in der Kunstgeschichte nicht wahrgenommen, sondern auch in der Kirche überhaupt.

Böhler: Er bekommt mit Sicherheit nicht jene Anerkennung, die ihm aufgrund seiner unglaublich breiten Aktivitäten zustünde. Das betrifft den kirchlichen Sektor ebenso wie die Kunst. Schon zu Lebzeiten ließ die kirchliche Anerkennung Mauers zu wünschen übrig.

Und das, obwohl die kirchlichen Anfänge Mauers viel versprechend waren. Kardinal Innitzer, der den trefflichen Ausspruch getan hat: "Sie sollten nicht Mauer, sondern Feuer heißen", hat zu seinen bedeutendsten Protektoren gehört. Hätte Innitzer nicht seine schützende Hand über ihn - vor allem in der Nazizeit - gehalten, wäre Mauer bestimmt einen Kopf kürzer gemacht worden.

Die Furche: Was hat Otto Mauer für die Künstlergeneration der so genannten Avantgarde bedeutet?

Böhler: Sie verdankt ihm, schlichtweg gesagt, den erfolgreichen Beginn ihrer Karriere. Man muss sich die Situation in Österreich nach dem Krieg vorstellen: eine kulturelle Wüste, es gab auf dem Kultursektor kein funktionierendes Netzwerk, keine Räumlichkeiten, wo junge Künstler sich hätten präsentieren können. Ein Museum moderner Kunst, das 20er Haus, wurde erst 1962 geschaffen!

Davor gab es nur die Neue Galerie und die Galerie Würthle, letztere unter Fritz Wotruba, der dort aber vor allem die internationale Entwicklung, kaum die aktuellste österreichischen Kunst zeigte. Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre war die Abstraktion in Österreich außerdem überhaupt nicht salonfähig. Kubin, Fronius, Boeckl - das waren keine abstrakten Künstler. Allein Boeckl hat zu einer Art Erfahrungsabstraktion gefunden. Nicht von ungefähr ist die erste Ausstellung der Galerie St. Stephan dann auch Boeckl gewidmet.

Mauer hat in seiner Kunsttheorie einen ganz ähnlichen Entwicklungsweg durchgemacht, indem er sich von der figürlichen, expressionistischen Kunst etwa eines Hans Fronius abwandte und konsequent an der abstrakten Malerei orientierte. Und die wurde damals paradigmatisch verkörpert durch die vier "Hausmaler" der Galerie St. Stephan: Rainer, Mikl, Hollegha, Prachensky. Ohne dieses gruppenbildende Gehäuse, das die Galerie für die vier dargestellt hat, hätten sie diesen Erfolg nie erreichen können.

Otto Mauer hat ihnen Ausstellungsmöglichkeiten nicht nur im eigenen Haus, sondern auch international - vor allem in Deutschland - vermittelt.

Die Furche: Mauers Kunstgeschmack vor dem Krieg unterschied sich fundemental von dem in der Galerie St. Stephan präsentierten.

Böhler: Mauer befand sich Zeit seines Lebens am Puls des Kunstgeschehens. Er begann bei der Kunst des Bundes Neuland, dieser katholischen Erneuerungsbewegung, die auch einen Kreis von Künstlern an sich gezogen hat - etwa Rudolf Szyszkowitz oder den jungen Max Weiler, die allesamt Otto Mauer als charismatische Figur, als Interpreten ihrer Kunst verstanden haben.

Das ist dann später ins Gegenteil verkehrt worden. Diese Zäsur ging bis ins Persönliche. Szyszkowitz und Mauer etwa waren in der Zwischenkriegszeit eng befreundet, man spielte Laientheater miteinander usw.

Es war ein Freundeskreis, wo Mauer eine Führungsrolle gespielt hat. Die waren dann, gelinde gesagt, irritiert, als Mauer sich nach dem Krieg vom Bund Neuland und dessen Künstlern abgewandt hat - er sah das als nicht mehr zeitgemäß an.

Für ihn war die abstrakte Kunst schlicht der Inbegriff der Moderne und die beste Gelegenheit, seine theologischen Reflexionen darin auszudrücken.

Die Furche: Wie stark hat französisches Denken - vor allem in der Auseinandersetzung von Kirche und Kunst - Mauer beeinflusst?

Böhler: Die Vorbildfunktion Frankreichs bei der Beschäftigung der Kirche mit der modernen Kunst war für Mauer wichtig, vor allem der Dominikaner Marie-Alain Couturier. Die Wallfahrtskirche Ronchamp war für ihn auf dem Gebiet des Kirchenbaus ein anstrebenswertes Modell. Mauer ist nicht müde geworden, moderne Architekten auch für den Kirchenbau in Österreich zu fordern.

Die Furche: Aber von einer markanten architektonischen Umsetzung dieser Ideen kann man in Österreich nicht sprechen.

Böhler: Ein Beispiel wie Ronchamp gibt es in Österreich nicht; nur beim Bau der Kirche von Salzburg-Parsch konnte Mauer das einbringen. In der Erzdiözese Wien war Mauer seit Mitte der fünfziger Jahre isoliert. Er hat 1952 den Katholikentag wesentlich mitgestaltet und ist kurz darauf "abgesägt" worden, man hat ihn als Domprediger von St. Stephan weggelobt, aber aus der federführenden Position in der Kirche entfernt. Darum ist es auch die Kunst geworden - die Galerie St. Stephan wurde ja 1954, im Jahr dieser Rochade, eröffnet -, wo Mauer seinem Intellekt und seiner Kreativität ungebremst freien Lauf lassen konnte.

Die Furche: Sie stehen dem Dommuseum vor, dass sich ja normalerweise eher nicht mit moderner Kunst auseinander setzt. Wie geht das mit der Sammlung Otto Mauer zusammen?

Böhler: Ich empfinde dieses Nebeneinander spannend. Der Wermutstropfen ist, dass bis heute keine ständige Präsentationsmöglichkeit für die Sammlung Otto Mauer besteht. Bald werden verbesserte Lagerbedingungen geschaffen, aber an Ausstellungsflächen für die Sammlung fehlt es.

Die Furche: Andere Institutionen, die so eine Sammlung hätten, würden ein Museum drum herum bauen …

Böhler: Es ist ein absolutes Desiderat, die Sammlung öffentlich zugänglich zu machen. Es gab in der Vergangenheit Interessenten, welche die Sammlung Otto Mauer erwerben wollten. Ich bin froh, dass dem nicht stattgegeben wurde. Es ist gut, dass die Sammlung in den Händen der Kirche ist: Sie hat so gewiss auch die Funktion eines "Mahnmals", das den Dialog zwischen der Kunst und der Kirche einfordert. Das ist wie ein Stachel im Fleisch.

Die Furche: Aber hat es einen Sinn, solch eine Sammlung in den Depots zu belassen?

Böhler: Das ist nicht der Idealzustand. Wir alle wünschen uns geeignete Räume, um einen größeren Teil der Sammlung permanent zugänglich zu machen. Es gibt seit geraumer Zeit Überlegungen, die daraufhin abzielen, die Raumsituation für das gesamte Museum zu verbessern. Das so etwas nicht von heute auf morgen geht, ist uns allen klar - und auch eine finanzielle Frage.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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