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Wie Künstler helfen

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Rasche und möglichst effiziente Maßnahmen zur Besserung sozialer Mißstände sind das Ziel der von Wolfgang Zinggl geleiteten Künstlergruppe „Wochenklausur". Es handelt sich um Kunst, die sich durch ihre Funktion definiert. Sie ist nicht gegenständlich und kann auch nicht an Ereignissen gemessen werden, sondern am Prozeß einer kleinen, aber konkreten Veränderung der Lebensbedingungen einer Gruppe, die Probleme hat, ihre Bedürfnisse hörbar zu artikulieren.

„Wochenklausur" ist ein Projekt, das bewußt kulturelle Einrichtungen als Werkzeuge einsetzt. So wurden seit 1993 in sehr begrenzten Zeiträumen beachtliche Erfolge erzielt: von der Wiener Secession aus wurde in elf Wochen ein medizinischer Betreuungsbus für Obdachlose organisiert, wo Personen kostenlos und ohne Krankenschein behandelt wurden. Nach Ablauf des Projektes wurde der Betrieb von der Caritas übernommen - in den drei Jahren seines Bestehens ist der Bus eine nicht mehr wegzudenkende Anlaufstelle für Obdachlose geworden. Außerdem wurden Aufbewahrungs-möglichkeiten für ihre Habseligkeiten geschaffen und ein Delogierungs-frühwarnsystem theoretisch erarbeitet. In Zürich wurden, von der Shed-halle aus, in acht Wochen die Eröff-. nung einer Pension für drogenabhängige Prostituierte eingeleitet und Gespräche von Politikern, Ärzten, Journalisten, Sozialarbeitern, Drogenabhängigen und deren Eltern, unter Ausschluß der Öffentlichkeit und des medialen Drucks organisiert. In der italienischen Kleinstadt Civitella d'Aglia-no wurden, im Rahmen eines jedes Jahr stattfindenden Künstlerprojekts, der Ausbau eines Vereinslokals für Senioren, die ein Drittel der Bewohner ausmachen, organisiert und ein seit Jahren brachliegender Bocciaplatz reaktiviert. Auf Einladung der Hochschule für Angewandte Kunst wurden zusammen mit Schülern, Lehrern und Eltern zwei Klassenräume des Gymnasiums in der Stubenbastei in zwölf

Wochen benutzungsgerecht umgebaut (furche 11/96). Schon lange gibt es Gruppierungen, wie die russischen Konstruktivisten, Pop-Art, Zero oder Neo-Dada, die sich zu einer Einheit von Kunst und Leben bekennen. Die Guerilla Art Action Group verweigerte 1970 jede Herstellung von Kunstobjekten mit der Begründung, daß es Kunst auch „ohne Ware, ohne Markt, ohne Perversion des Geschäftes" geben müsse. Vor über zwanzig Jahren fanden die Forderungen nach sozialpolitischer Relevanz und die Abkehr von der Verehrung des Materiellen in der Aktionskunst zusammen. „Wochenklausur" schließt an die Bemühungen von Künstlern der siebziger Jahre wie Hans Haacke, Ulrike Rosenbach und The Artist Placement

Group an und greift direkt ins gesellschaftliche Leben ein.

Durch seine Bemühungen steht Wolfgang Zinggl oft im Kreuzfeuer der Kritik von Politik und Kunst. „In der Tat", so Zinggl, „gibt es keinen Grund, warum Künstler bessere Ideen und Lösungsstrategien haben sollen. Umgekehrt gibt es nicht viele Gründe dafür, warum sozialpolitische Fingriffe von Künstlern - wie von anderen Menschen auch - nicht durchgeführt werden dürfen, solange sie effizient sind." Die Künstlergruppe greift meistens Mißstände auf, deren Besserung durch politische Interessen oder büro-

kratische Probleme ins Stocken geraten ist. „Wochenklausur" experimentiert mit für die Kunst neuen Kooperationsmodellen. Sie nutzt Kultursponsoring für soziale Zwecke. Vorhandene Spielräume werden pragmatisch genutzt. Wenn nötig, setzt die Gruppe die mediale Präsenz der Kunst ein, um langwierige Amtswege und EntScheidungsprozesse zu umgehen oder Finanzierungen zu sichern. Sie hat bewiesen, daß Künstler auch die Möglichkeit haben, schnelle und effiziente soziale Arbeit zu leisten. Nicht zuletzt deshalb, weil „Wochenklausur" nie ihre Möglichkeiten überschätzt hat und jeder Selbstdarstellung fern ist. Auch wenn die Arbeit dieser Künstler nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, so zeigt sie

doch einen gangbaren Weg und viele Tropfen löschen bekanntlich ein Feuer. Natürlich kann konstruktive Kunst viele Formen annehmen und auch Veränderung bewirken, wenn sie sich mit der Darstellung mißlicher Verhältnisse begnügt. Aber in einer Gesellschaft der Zwreckgebundenheit und Effizienz muß auch die Kunst sich neu, mehr nach ihrer Funktion definieren und innerhalb ihres Rahmens auch Möglichkeit zu effizienter, lebensnaher Arbeit schaffen. Derzeit arbeitet „Wochenklausur" in der Kunsthalle Salzburg an der Besserung der Situation der Schubhäftlinge.

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