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Wiener Form — Form in Wien

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Beziehungen zwischen Ausstellung und Exponat“ und Dipl.-Ing. Architekt Carl Auböck über „Produktenentwicklung in der Gegenwart“, am 3. Juni um 18 Uhr Professor Architekt Dr. Roland Rainer über „Gestaltung der Umwelt im nachindustriellen Zeitalter“, am 8. Juni um 19 Uhr Otto Groh über „Umsatzsteigerung durch gute Form, Farbe und Qualität“ und am 15. Juni um 18 Uhr Professor Karl Dittert über „Produktgestaltung ist Forschungsarbeit“. Dieses Vortragsprogramm wird unterstützt von Diaprojektionen aus parallel geschalteten Projektoren und

einem akustischen Programm, die gleichfalls im Ausstellungsverband stattfinden.

Obwohl dieses ganze Unterfangen von langer Sicht vorbereitet worden ist, rechnen wir nicht mit einem augenblicklichen Erfolg, sondern wünschen nur eines, daß mit dieser Aktion, die das Wirtschaftsförderungsinstitut der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien ins Leben gerufen hat, allmählich eine Wiederbelebung und Erneuerung stattfindet, die die „Wiener Form“ wieder zu der Weltgeltung bringen, die sie schon um das Jahr 1910 besessen hat.

Die Festwochenausstellung des Wirtschafts-förderungsinstitutes im Messepalast „Wiener Form 65“ ist als Fortsetzung der vorjährigen Schau „Wiener Geschmack — Wiener Form“ gedacht; und im Vergleich der beiden Ausstellungen zeigt sich erst, daß die Wiederholung einen deutlichen Fortschritt brachte. Die Ausstellung des Vorjahres dokumentierte zwar beträchtlichen Mut und sehr viel guten Willen, sich auf einem äußerst heiklen Gebiet mit Niveau zurechtzufinden. Wie bei jedem erstmaligen Versuch war es zunächst ein Abtasten der Möglichkeiten, manche Unsicherheit und unrichtige Gewiohtsverteilung war nicht zu vermeiden. „Wiener Form 65“ ist dagegen lockerer, einheitlicher und irgendwie unbekümmerter geworden — sie verdient den Titel mit der Betonung auf Wien viel mehr als ihre Vorgängerin, und das im besten Sinne.

Gestaltung und Auswahl

Die Festwochenausstellung im Jahre 1964 war gekennzeichnet durch das Bemühen, möglichst viel an guter Form aus allen Gebieten zu zeigen, und sie wurde eigentlich nur durch die sehr strenge — und deshalb auch vielseitig angegriffene — Gestaltung durch Architekt Dipl.-Ing. Krawina zusammengehalten. Der Rahmen beziehungsweise die flexiblen Vitrinen aus Holz und Plexiglas sind geblieben, aber das Arrangement ist übersichtlicher geworden. Die den Wienern so anstößig erscheinenden, am Boden ausgelegten Kieselsteine sind durch eine Art Holzstöckelmosaik, das lokal sicherlich mehr Anklang finden wird, ersetzt worden, und die etwas nordisch wirkenden Holzscheite

durch ein sehr reizvolles „Relief“ von Rebwurzeln.

Bei der Auswahl der Exponate hat man sich sehr weise eingeschränkt. Statt aus jedem Gebiet etwas, und dieses von sehr unterschiedlicher Qualität, zu zeigen, wurden einige Gebiete hervorgehoben, die sowohl durch die gute Formgebung als auch durch ihre besondere Beziehung zum Wiener Gewerbe ihre Bedeutung erhalten: Sportgeräte, Lederwaren, Schmuck und Bijouterieerzeugnisse, Modeaccessoirs und andere Dinge des sehr persönlichen Gebrauches. Dadurch war es möglich, mindestens auf einigen Gebieten absolute Spitzenerzeugnisse auszustellen. Die Segel- und Ruderboote, das Reitzeug, Ausrüstungsgegenstände für den Skisport und die dazu passende Kleidung sind tatsächlich Beispiele allerhöchster Qualität. Beim Schmuck zeigt es sich, daß weniger mehr sein kann und daß eine strengere Auswahl die geringere Menge durchaus rechtfertigt. Die Modeaccessoirs wurden sehr vorsichtig gehandhabt, nicht das absolut Modische, sondern die Qualität der Ausarbeitung steht bei den Hüten, Schuhen, Lederwaren in der ersten Reihe. Hier bietet die anschließende Modeschau eine sehr reizvolle und vor allem lebendige Ergänzung. Als wohltuend empfindet man, daß die Veranstalter den Mut hatten, die gute Form von Gläsern und Bestecken nur an einigen wenigen Beispielen zu zeigen, weil diese Gegenstände wohl schon

hinlänglich international bekannt sein dürften. Einige tragbare Radiogeräte, Photoapparate und technische Zusatzteile ließen das „Industrial Design“ im eigentlichen Sinn zu Worte kommen, ohne jedoch die Sphäre des Persönlichen zu durchbrechen. Puppen und Spielwaren beweisen, daß es erstaunlicherweise auch in Österreich gute Dinge dieser Art gibt. Die kunsthandwerkliche Keramik ist heuer zwar besser als im Vorjahr, aber noch immer nicht ganz glücklich placiert. Über die Berechtigung, Musikinstrumente zu zeigen, läßt sich natürlich streiten; zweifellos sind diese Erzeugnisse in ihrer Art aber einzigartig, ihre Form ist zwar nicht neu, aber im wesentlichen notwendig, funktionell und schön und es besteht kein Zweifel, daß diese Erzeugnisse kennzeichnend für Wien sind. Aber über das Wienerische wird noch später zu sprechen sein.

Zunächst noch einmal zurück zur Ausstellungsgestaltung: Die Graphik (Georg Schmid) bemüht sich mit ausgezeichneten Photos und Zitaten aus wichtigen Schriften um das allgemeine Verständnis für Form und Gestaltungsfragen. Den gleichen Zweck verfolgen die Projektionen, die laufend im Vortragssaal, der sehr geschickt zwischen den Ausstellungsräumen angelegt ist, gezeigt werden. Die Praxis wird erweisen, ob die Besucher von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Und da die Veranstalter kein Mittel unversucht lassen wollten, haben sie auch ein Tonband mit alten und neuen Musikstücken und Loos-Zitaten hergestellt, das den Besucher vom Unterbewußtsein her in die richtige Aufnahmefähigkeit versetzen soll.

Die „Wiener Note“

Sie wird immer wieder, und sehr oft vom Ausland her, verlangt, diese österreichische oder Wiener Note, und leider versteht man darunter allzuoft billige Nachahmung historischer Formen oder schlechthin jenen Kitsch, den die Souvenirindustrie auf der ganzen Welt liefert und der bei uns eben neubarocke Anklänge hat. Schon aus dieser Tatsache allein läßt sich ermessen, wieviel und welche Gefahren einem Unternehmen wie dieser Ausstellung drohen. Nun hat es-die „Wiener Form 65“ glücklicherweise vermieden, sich als Sammelschau zeitgemäßer Form schlechthin zu präsentieren. Warum auch nicht — schließlich soll sie zur Festwochenzeit den Gästen und auch den Wienern Form und Geschmack bieten, aber nicht unbedingt einen Uberblick über die Gesamtleistung der österreichischen Wirtschaft. Diese Aufgaben können anderswo wahrgenommen werden, nicht zuletzt in dem ab Herbst 1965 geplanten „Zentrum Produktform“. Dafür ist den Veranstaltern etwas ganz anderes gelungen: Sie haben den sturen Ernst, der den echten „Designern“ manchmal schon beim Hals heraushängt, durchbrochen und sie haben, wenn auch nur in einzelnen Akzenten, Witz und Humor in die Ausstellung gebracht. Da ist etwa die Vitrine mit den Demelschau-stücken, den unnachahmlichen Aufsätzen, Bonbons und Verpackungen oder die Keramikeier mit den bunten Glasuren. Es sind dies Dinge, die der Wiener als „Gschnas“ bezeichnet und damit sprachlich jenen haarscharfen Trennungsstrich zwischen dem Unnötigen und dem Überflüssigen zieht. Es ist viel schwerer „Gschnas“ vom Kitsch zu unterscheiden, als durch bloßes Weglassen ein modernes Mittelmaß zu erreichen; es ist aber wahrscheinlich auch viel fruchtbarer.

Hier liegt die echte Chance dieser Ausstellung, sollte sie in den nächsten Jahren wiederholt werden, jenes Verspielte, aber auf höchstem Niveau Verspielte zu zeigen, das über die bloße Funktion hinaus eben dadurch wieder eine Funktion erhält, daß es eine persönliche Beziehung zum Benutzer oder Besitzer herstellt. Die Ausstellung könnte eine ganz einmalige Aufgabe erfüllen dadurch, daß sie anregend wirkt, denn diese Möglichkeiten sind, wenngleich verschüttet und zum Teil mißverstanden, gerade beim Kunsthandwerk oder bei jenen kleineren Betrieben zu suchen, die nicht durch die Notwendigkeiten der Serienproduktion gezwungen sind, auf Sonderentwicklungen zu verzichten. Der eigentliche Zauber dieser Dinge liegt darin, daß sie eine gute Portion Selbstkritik und Ironie enthalten und das, glauben wir, ist auch das eigentlich Wienerische daran. Man möge uns nicht mißverstehen: Die gute Form verdient es, ernst genommen zu werden und die Forderung nach Klarheit und Sauberkeit nicht weniger. Aus diesem Grund sind auch alle die Bemühungen, die sich nun endlich in Österreich bemerkbar machen, zu begrüßen und zu fördern. Eine spezifisch Wiener Ausstellung aber

darf und sollte es sich erlauben, dem Wesen dieser Stadt auch dort gerecht zu werden, wo es sich von der internationalen Norm entfernt, und gerade dann wird sie dem Vorwurf entgehen, nur gute, aber nicht Wiener Form gezeigt zu haben. Es ist selbstverständlich, daß es auf diesem Weg Irrtümer geben muß und daß die Ziele nicht mit einem Mal erreicht werden können — aber im Jahre 1965 ist man ein gutes Stück weitergekommen.

Auszeichnungen und Rahmenprogramm

Während der Dauer der Ausstellung wird im Vortragssaal ein Rahmenprogramm abgewickelt, das neben den schon erwähnten Modeschauen Vorträge von bekannten in- und ausländischen Fachleuten zum Thema der Gestaltung, der Produktentwicklung und der Ausstellungstechnik bringt. Überdies werden aus Anlaß der Ausstellung Staatspreise für gute Form durch das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau und Preise der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien verliehen.

Nur scheinbar zufällig wird zur gleichen Zeit eine neue Musterschau formschöner österreichischer Möbel im Bauzentrum gezeigt. Denn eigentlich ist dieses Zusammentreffen, nur ein neuerlicher Beweis dafür, daß die Bemühung um Gestaltung, um Form und Qualität auf vielen Wegen gleichzeitig Fortschritte macht und in den verschiedensten Spielarten in erfreulicher Weise bemerkbar wird. Die Ausstellungen in der Möbelhalle des Bauzentrums haben nun schon eine vierjährige Tradition und im Laufe dieser Zeit ist es gelungen, das Niveau durch Auswahl und durch Anreiz immer mehr zu heben. Auf dem Gebiet des Möbelbaues ist die Anlehnung an im Ausland erfolgreiche formale Lösungen oder Verarbeitungsmethoden noch stärker, wenngleich auch hier das Bemühen um jene Eigenständigkeit, die sich zu allererst in der Qualität äußert, merkbar wird. Die Büromöbel und die Kücheneinrichtungen sind hiebei in der Entwicklung weit voraus: Es ist dies eine überall zu beobachtende Erscheinung, die wohl damit zusammenhängt, daß diese Möbel unpersönlicher sein sollen und dürfen, und daher weniger durch Tradition und Sentiment belastet sind. Es scheint aber so, als ob man in Österreich erfolgreich darum bemüht wäre, den allgemeinen Trend zur Auflockerung der allzu schweren und starren Formen in einer typischen Art abzuwandeln, ohne dabei jedoch in formale, pseudomoderne Spielereien abzugleiten. Für den Herbst hat das österreichische Bauzentrum die Gegenüberstellung mit Spitzenprodukten ausländischer Firmen in Aussicht gestellt. Darin drückt sich nicht nur ein gesteigertes Selbstbewußtsein der österreichischen Möbelwirtschaft aus, sondern es ist auch zu erwarten, daß diese Gegenüberstellung interessante Vergleichsmöglichkeiten und einen weiteren Ansporn zu einem gesunden Konkurrenzkampf der heimischen Erzeugung bringt.

österreichisches Zentrum Produktform

In einer Pressekonferenz wurde gleichzeitig auf die Gründung des österreichischen Zentrums Produktform hingewiesen, das ab September 1965 in einer neu errichteten Halle im Gelände des Palais Liechtenstein eingerichtet wird. Dieses Zentrum Produktform wird eine permanente Ausstellung hervorragend gestalteter österreichischer Erzeugnisse aus allen Produktionssparten sein und somit dem Produzenten, dem Käufer und dem Händler, aber auch dem ausländischen Besucher einen aktuellen Uberblick über die Leistung der österreichischen Wirtschaft geben. Form ist hiebei nicht das einzige Kriterium, sondern nur als Ausdruck der gesamten Qualität in bezug auf Funktion, Material und Verarbeitung zu verstehen. Das österreichische Bauzentrum wird die organisatorische und administrative Betreuung dieses Zentrums Produktform übernehmen, das österreichische Institut für Formgebung die grundsätzliche und fachliche Planung. Das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau und die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft haben durch eine großzügige Förderung dieses wichtige Projekt auch finanziell ermöglicht. Im Rahmen des Zentrums Produktform wird auch eine Produktkartei eingerichtet, die eine einmalige Informationsmöglichkeit über die nach den erwähnten Grundsätzen ausgewählten Erzeugnisse bieten

wird. Ein Informationsdienst wird den Besuchern weitere Details und Kontakte mit Herstellerfirmen vermitteln. Uber die Zulassung der Produkte zur Ausstellung entscheidet eine unabhängige Jury. Die Herstellerfirmen werden eingeladen, ihre Erzeugnisse zur Aufnahme in die Produktenkartei beziehungsweise zur Jurierung für die Ausstellung vorzuschlagen. Für die Bearbeitung sowie für den beanspruchten Raum bei der Ausstellung wird eine Gebühr eingehoben, die nicht sehr hoch bemessen sein wird, so daß die Kosten in keinem Verhältnis zu dem erwarteten Erfolg stehen. Das österreichische Zentrum Produktform wird am 21. September 1965 anläßlich eines internationalen Design-Kongresses, den das österreichische Institut für Formgebung organisiert, eröffnet werden. Als erste Veranstaltung wird bis zum 10. Oktober eine internationale Ausstellung zu den Themen dieses Kongresses „Design und Öffentlichkeit“ gezeigt. Anschließend werden — abgesehen von fallweisen Sonderveranstaltungen — aus-

schließlich österreichische Erzeugnisse ausgestellt.

Mit der Einrichtung dieser permanenten Ausstellung wird nicht nur eine schon lang als schmerzlich empfundene Lücke im Wiener Wirtschafts- und Kulturleben geschlossen, sondern auch eine weitere Note jenem Akkord zugefügt, den — auf jeweils anderem Gebiet, aber mit ähnlicher Zielsetzung — das Wirtschaftsförderungsinstitut der Kammer Wien mit der Festwochenausstellung und das österreichische Bauzentrum mit seiner Schau bereits anschlug.

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