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Wiener Jugendkunst

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Angesichts von Kindermalereien sprach einmal Gustav Klimt zu Künstlerkolkgen das bekannte Wort: „Leutln, geben wir das Malen auf; die Kinder können's besser als wir ...“

In diesem humorvollen Ausspruch eines großen Künstlers liegt manches Wahre. Das Kind — jedes Kind — ist von Natur aus ein Künstler, seine Seele ist angefüllt mit den Bildvorstellungen vieler Jahrtausende, und um sie in eine Zeichnung oder eine Schnitzerei umzusetzen, braucht es nicht die in Jahrhunderten mühsamer Arbeit erworbenen Hilfsmittel der „Großen Kunst“, wie Raunivorstellung, Perspektive oder Proportionsgesetze. Die einfachsten, primären Ausdrucksmittel der Verbildlichung, Linie, Fläche und Farbe, genügen dem Kind vollständig, um alles, aber auch alles darzustellen und bildhaft machen zu können. Probleme, die der Kunst unvorstellbare Schwierigkeiten bereitet haben, sind für das Kind überhaupt nicht vorhanden.

Es ist dem Kind völlig gleichgültig, daß ein Wagen, wenn er aus der Vogelschau gesehen wird, scheinbar keine Räder hat; für das Kind hat ein Wagen eben vier Räder zu haben, der Standpunkt des Beschauers spielt dabei nicht die geringste Rolle. Das, was dargestellt werden soll, wird mit möglichster Deutlichkeit bildhaft gemacht, der Sdiein ist nicht von Wichtigkeit. Eine Frau hat lange Haare, also reichen sie auf dem Bild bis zum Boden, um nur ja keinen Zweifel über das Wesen der Dargestellten entstehen zu lassen. Aus demselben Grund — dem Streben nach Verdeutlichung — der die einfachsten Proportionsgesetze so außer Betracht läßt, wird auch die Perspektive ausgeschaltet. Deshalb wird beispielsweise eine Stadt gewissermaßen einfach aufgeklappt, damit es möglich ist, viele Häuser zu zeigen, die für das Kind mit dem Begriff „Stadt“ untrennbar verbunden sind.

Die Gesetze der Kinderkunst

Um die Einzelheiten der Darstellungen zu einem Bildganzen verbinden zu können, bedient sidi das Kind des einfachsten und ursprünglichsten Kompositionsgesetzes, der rhythmischen Reihung, also einer nach dekorativen Gesetzen symmetrisch aneinanderreihenden Flächenfüllung.

Mit all dem ist bereits der Grundcharakter der kindlichen Kunst bezeichnet: Er ist Stilisierung. Das heißt, daß Unwesentliches ausgelassen, Wesentliches aber hervorgehoben wird. Also ein Wesenszug audi der „Großkunst“.

Um sich die Eindeutigkeit dieser kindlichen Stilisierung klar zu machen, muß man einen Augenblick an eine Kunstrichtung unserer Tage, nämlich an den Expressionismus denken. Der Expressionismus schöpfte gerade aus der Kinderkunstv viele Anregungen, ja er nahm sie sich bisweilen geradezu als Vorbild. Im Prinzip wollte er nichts anderes, als die Wirkungen der sogenannten „primitiven Kunst“ durch Verzicht auf alle mühsam erworbene Perspektiv- und Proportionskenntnisse erreichen.

Aber schon in dem Wort „Verzicht“ drückt sich ein Unterschied aus: Das, was der Expressionismus durch bewußte Reduktion schließlich tatsächlich erreicht, ist nicht Stilisierung, sondern Abstraktion, die durch einen intellektuellen Vorgang erzielt wird.

Dieser Unterschied ist für die Trennung zwisdien

„Großkunst“ und „Kinderkunst“

entscheidend. Der Künstler schafft in einem großen Teil bewußt, intellektuelle Erwägungen sind an der Entstehung des Kunstwerkes maßgeblich beteiligt. Das Kind dagegen sdiafft unbewußt, die Aufnahme des Objekts erfolgt zwar durch einen Denkvorgang, die Umsetzung ins Bild jedoch „gedankenlos“ und ohne äußeres Dazutun. Daß dies eine Tatsache ist, wird durch den Umstand bewiesen, daß die selbstverständlich anmutende künstlerische Begabung des Kindes in dem Augenblick erlischt, in dem es selbständig zu denken beginnt, das heißt, wenn es das Alter von etwa 14 Jahren erreicht hat.

Die Frage nach dem Ursprung dieser erstaunlichen künstlerischen Befähigung des Kindes eröffnet Perspektiven, die trotz zahlreicher Arbeiten über dieses Thema bis jetzt noch nidit genügend erforscht sind. Jedem Besudier der Ausstellung der Schule Prof. Cizeks fallen angesidits gewisser Holzr Schnitzereien zehnjähriger Kinder verblüffende Ähnlichkeiten mit der Kunst primitiver Völker auf, Ähnlichkeiten, die auf gesetzmäßige Zusammenhänge schließen lassen. Eine Erklärung wird für dieses Phänomen darin gefunden, daß das Kind im Laufe seiner Entwicklung, sozusagen im Zeitraffertempo, die gesamte geistige Entwicklung der Menschheit durchmacht, also auch Kulturstationen berührt, auf denen manche Negerstämme oder die spärlichen Überreste echter Volkskunst heute noch stehen.

60 Jahre Wiener Tradition

Die Entdeckung der künstlerischen Kräfte des Kindes, die uns so tiefe Einblicke in das Wesen der Kunst und die geistige Entwick-

lung “der Menscfien tun laßt, Tst tum größten Teil einem Wiener zu danken. Prof. Cizek, der 81 Jahre alt ist, begann bereits im Jahre 1887 damit, Kinder um sich su versammeln, ihre so lange übersehenen Begabungen zu wecken und sie zu selbständiger künstlerischer Betätigung anzuregen.

Es ist weder sein Ziel, Wunderkinder zu entdecken, noch auch, aus ihnen Berufskünstler zu madien. Er will sie nur zu selbständiger Betätigung, die im weiteren Verlaufe von selbst Geschmack und Schönheitsbedürfnis entwickelt und fördert, bringen, ohne irgendwie mit Korrektionsversuchen einzugreifen.

Diese Bestrebungen Prof. Cizeks erweckten in der ganzen Welt lebhaftes Interesse, Ausstellungen in fast allen Ländern der Erde wurden zu großen Erfolgen. Man möchte wünschen, daß die jetzt vorübergehend in Wien gezeigte Ausstellung zu einer ständigen wird. Wien wäre dann, ohne daß Kosten ins Gewicht fallen würden, um eine sdiöne und anregende Sammlung reicher.

„Mundartfreunde Österreichs“ Von Lois S c h i f e r 1

Josef Weiland, der Diditer des Wcinlandes, und der volkskunstfrohe Pfarrherr von Währing, Prof. Dr. 111 e k, sammeln die „Mundartfreunde österrcidis“. Diese Werkgemeinschaft kommt aus dem „Reichsbund der österreichisdien Mundart-diditcr“ her, der 1938 in die „Wiener Anzen-grubergesellschaft“ aufging. Der Lebensboden der Mundartfreunde ist ds österreichische Volkstum, ihr Arbeitsstoff dessen stündliche Äußerung, die Volkssprache.

In nächster Zeit soll mit Vortragsabenden begonnen werden, in denen auf Wiener Boden der österreichische Hcimatlaut zu Klang kommen soll. Vom alten Reidisbund her besteht zudem noch ein ehrbarer Auftrag: Die Förderung junger Begabungen. Drei unmittelbar aus dem Bäuerlichen kommende wurden damals zur Geltung gewiesen: Josef Riesling vom Thaya-boden, Franz Podesser aus Kärnten und Franz Braumann, dieser in Erzählung und Lyrik heute einer der Gültigen Salzburgs und Österreichs..

Die Mundartfreunde stehen im Gegensatz zu jenen, die, mit unwahren Anekdoten den Bauer als Tölpel hinstellend, das ernsthafte Mundartschrifttum in Verruf bringen. Leider gibt es im Zeitalter der Heimatkunst und Dorfpflege auf Bühnen und im Rundfunk noch immer Schauspieler und Sprecher, die — damit ihre völlige Beziehungslosigkeit sich unanfechtbar dokumentiere, gleich im Bauernfunk selbst — nach Sprache und Gesinnung einen Bauer darstellen, der ein beleidigendes Ärgernis für alle ist, die wirklich Bauern oder bäuerlich bestimmte Menschen sind. Es gibt kaum ein zuverlässigeres Zeichen für Unwissenheit und Hochmut als die Verachtung der Mundart. Die Mundart ist die eigentliche Sprache unseres Volkes, sie ist unsere wirkliche Mutter-spradie, die Tracht der Herzen. Den wahrhaft Gebildete empfindet Ehrfurdit vor der Sprache des einfachen Mannes, denn er weiß, daß sie uralt und schön“ ist. Er weiß, daß in ihr die Hochsprache ruht, wie ein ins höchste Licht gebreiteter Baum auf tiefen unaussdiöpfbaren Wurzeln. Und er weiß, daß in ihr die Jahrhunderte fortleben und unsere Vorfahren mit ihren unzähligen Schicksalen, den guten und bösen. Die Mundart ist das lebendige Siegel der Vergangenheit.

Wer die Mundart liebt, geht hinter Pflügen, und wenn er Präsident oder Bischof wäre.

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