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Wiener Kirchenmusik

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Sie sind vorhanden, machen sich fühlbar, oft sehr drückend, aber sie werden, überwunden. An ihnen wächst die Kraft aller, die Träger der Wiener Kirchenmusik sind, und der Beweis, daß mit der Größe einer Aufgabe auch die Energie wächst, wird an verschiedenen Pflegestätten der Kirchenmusik in unserer Stadt deutlich sichtbar. Daher sollen die nachfolgenden Zeilen keine Klage, keine Beschwerde, noch weniger eine Beschönigung 'sein für Dinge, die nicht so ind, •wie sie sein sollten, sondern einfach eine Feststellung. Wenn auch Kritik und Eifer -am Neubau unseres kulturellen Lebens — und diesem gehört unsere Wiener Kirchenmusik als ein nicht wegzudenkender Faktor an — manches tadelnswert findet, so verlangt die Gerechtigkeit, auch einmal wenigstens an einigen Beispielen die Schwierigkeiten aufzuzeigen, unter denen heute die Musik in den Wiener Kirchen zustande kommt.

Da sind vor allem jene Kirchen zu nennen, die, bombenbeschädigt oder überhaupt unbrauchbar geworden, den Kirchenchor in vollkommen neue Verhältnisse gestellt haben: etwa die Pfarre Neumargareten. Ein größeres Lokal im Reumann-Hof, halb unter der Erde liegend, wurde samt seinen Nebenräumen in eine sakrale Stätte verwandelt. Geschmackvoll ausgeziert, umfängt sie den Besucher mit weihevoller Ruhe. Eines fehlt natürlich: der Raum für den Kirchenchor. An. der Evangelienseite, rückwärts, steht eine kleine Orgel, aber sonst ist kein Anzeichen dafür da, daß die Notkirche, die bei größeren Feierlichkeiten bei weitem nicht die ganze Menge fassen kann, einen besonderen Platz für den Kirchenchor hätte. Dieser ist sozusagen heimatlos, muß sehen, wie er sich zurechtfindet — und er findet sich zurecht. Nicht nur, daß er den Platz in räumlicher Hinsicht fand, er eroberte sich ihn auch im musikalischen Leben Wiens; der Leiter, Prof. Viktor G o m b o z, kann bereits auf einige ausgezeichnet gelungene Aufführungen großer Messen (Haydns Nelson-Messe, Bruckners e-moll,Messe) hinweisen. Jedem Einsichtigen ist klar, daß damit eine besondere Tat gesetzt wurde. Das Studium mit dem Chor, die Führung des Orchesters sind an sich schon eine Leistung. Aber diese hier erfolgt unter ganz außergewöhnlichen Verhältnissen.

Hier ist es nicht so wie sonst, daß eine geräumige Musikempore Platz gibt für stufenweise ansteigende Aufstellung von Chor und Orchester, hier stehen die Ausführenden frei, jedem sichtbar, vor den Augen der Öffentlichkeit. Das hat seine Vor-und Nachteile. Musik, auch geistliche Musik ist rhythmisch lebendig und verlangt solcherart, besonders vom Instrumentalisten, körperliche Bewegungen. Damit kommt von selbst einige Unruhe in den Gottesdienst. Vollends die Gesten des Dirigenten können störend wirken. Aber was soll er tun? Er muß ja seinen Klangkörper mitreißen, ihn mit suggestiver Kraft zu dem vom Kunstwerk geforderten Ausdruck führen. Weiter machen sich durch die Anwesenheit vieler Menschen in einem verhältnismäßig kleinen Raum und die damit zunehmende Temperatur Schwankungen in der Intonation, vor allem bei Streichern, Holzbläsern und an der Orgel bemerkbar. Die Reinheit einer Aufführung kann dadurch leiden, sie muß aber hier mit in Kauf genommen werden. Das enge Zusammengedrängtsein der Ausführenden macht vor allem auch eine Revision der sonst gewohnten dynamischen Unterschiede notwendig. Die einzelnen Klanggruppen, im besonderen Blechbläser und Pauken, müssen anders, zarter und sorgsamer behandelt werden. Da ist es Sache des Dirigenten, auf solche Verhältnisse umzulernen und andere Schattierungen zu erreichen. Zugleich mit dem Wechsel des Raumes hat sich auch die Aufführungspraxis geändert.

Es gibt dabei aber auch Vorteile. Der wichtigste unter ihnen: die große Trennung von Altar und Musikchor ist aufgehoben, Sinnenfällig gehören beide nun zusammen, ergänzen sich im Respondieren und in allen jenen Dingen, die aus liturgischen Erfordernissen heraus seit eh und je zusammengehört haben. Die Kirchenmusik ist damit wieder dem Altar tatsächlich nähergekommen und spürt sichtlich, daß sie ein wesentlicher Teil der daran stattfindenden Handlung, des heiligen Meßopfers, geworden ist, so wie dies in den ersten christlichen Jahrhunderten der Fall war. Es muß gesagt werden: dieses Zugehörigkeitsgefühl ist so manchem Kirchenchor schon seit Jahren abhanden gekommen,sehr zum Schaden der instrumentalen Kirchenmusik, die man für diese Nachlässigkeit verantwortlich gemacht hat. So aber steht die Musik unmittelbar neben den Gläubigen im Raum, wird von ihnen nicht nur gehört, sondern auch gesehen und beobachtet. Sie muß alle Untugenden ihrer Ausführenden unterlassen, die sonst unter dem Schutz einer hochgelegenen Orgelbrüstung begangen werden. Es sind leicht verzeihliche menschliche Nachlässigkeiten, die da gewohnterweise die Konzentration auf Liturgie und musikalisches Kunstwerk, vor allem aber auf die Liturgie, beeinträchtigen. Hier unten sind sie unmöglich und so stellt sich ganz von selbst, ungewollt geradezu, ruhige Geschlossenheit bei den Ausführenden ein, wodurch wiederum die Intensität musikalischer Leistungen gesteigert und die liturgische Ehrfurcht nicht nur bei den Gläubigen, sondern auch bei den Musikern sichtbar wird. Das ist vielleicht der größte Vorteil, der sich aus solchen Notverhältnissen für die Kirchenmusik ergibt. Damit wächst aber auch wieder das Verständnis für Liturgie — und so wird Not zum Segen, aus sichtbarer Bedrängnis geistige religiöse Weite, die ungemein befruchtend auf alle Zweige der musica sacra wirken wird.

Ganz ähnliche Verhältnisse hatte der Chor der Franziskanerkirche zu erleiden. Die kleine Antoniuskapelle bot nur einem Orgelharmonium und einem kleinen Chor Platz, so daß sogar auf den echten Orgelklang verzichtet werden mußte. Wiederum ein nach anderer Seite hin klangliches Umdenken, ein Gewöhnen an Unzulänglichkeiten, die einen Musiker gelegentlich unglücklich machen können, weil er den Absichten des Kunstwerkes einfach nicht gerecht werden kann. Hier hat die Not glücklicherweise schon ein Ende. Vergangenen Sonntag wurde der Gottesdienst zum erstenmal wieder in der inzwischen hergestellten Kirche gefeiert. Mit Mozarts C-Dur-Messe (K. V. 262), einem der seltener gehörten Werke des Meisters, vom Chor der kirchenmusikalischen Abteilung der Hochschule für Musik und darstellende Kunst unter der Leitung von Prof. Dr. Reinhold Schmid ausgeführt, wurden die musikalischen Hochämter dieser Institution an gewohntem Ort wieder aufgenommen. Kriegsbedingte Schwierigkeiten wurden mit Geduld überwunden und man darf mit Recht die Hoffnung aussprechen, daß hier eine mustergültige Pflegestätte für Kirchenmusik neu erstanden ist.

Wenn die Anzahl der Ausführenden auch klein ist, die Güte einer Aufführung braucht darunter nicht zu leiden. Das muß als Kennzeichen der wieder auflebenden Choralpflege im Wiener Schottenstift berichtet werden. Der Orden des hl. Benedikt hat als eine seiner obersten Verpflichtungen vom Stifter die Feier der Liturgie zugewiesen bekommen. Nichts darf dem Gottesdienste vorgezogen werden (Regel Kap. 43), er ist die wesentliche und wichtigste Aufgabe des Ordens. Diesem Grundsatze treu, feiert die Schottenkirche schon seit geraumer Zeit wieder ihr sonntägliches Choralamt, an dem aber auch das Volk teilnimmt. Das muß als besonderes Verdienst gebucht werden. Die größte, nach mancher Hinsicht geradezu wesentlichste Schwierigkeit liegt im Fehlen einer genügend großen Anzahl von Klerikern. Der vergangene Krieg hat der Wiener Schottenabtei schwere Verluste zugefügt, um so mehr müssen die wenigen zur Verfügung stehenden Kleriker am Werk sein. Die un-begleitete Einstimmigkeit des Chorals, seine ihm eigene Melodiegebung und die dadurch bedingte Gesangspraxis verlangen mehr als jede andere Kirchenmusik ein Plus von physischer und psychischer Hingabe. Es zu geben, bedeutet für jeden einzelnen bei der Fülle der ihm zugewiesenen Aufgaben eine starke Belastung. Das muß einmal in aller Öffentlichkeit festgestellt werden. Da der Choral aber seinerseits, wenn er richtig künstlerisch gestaltet sein soll, einen Chor von mindestens 30 bis 40 Stimmen verlangt, bedeutet es für dieses „kleine Häuflein Unverzagter“ eine besondere Leistung, dem Choral mit nur sechs oder acht Stimmen die entsprechende künstlerische Wirkung zu geben. Und sie wird ihm zuteil; Idealismus, Gehorsam und Geduld lassen hier unter schwierigsten Bedingungen ein kirchenmusikajisches Kunstwerk entstehen, dem man für die Zukunft vor allem die Vergrößerung des Klangkörpers wünschen muß. In gewisser Hinsicht wurde sie jetzt schon dadurch geschaffen, daß bei den Stücken des Ordinariums das Volk mitsingt. So sind die Gläubigen nicht nur stumme Zuschauer, sondern haben lebendigen, musikalischen Anteil am Hochamt. Es mag richtig sein, daß man für den Choralgesang immer nur einen bestimmten Teil unseres Volkes wird begeistern können, aber diesen Teil sollte man eben erfassen und zur Feier der Liturgie heranziehen. Das geschieht in der Schottenkirche, das ist ein neuerlicher Anfang nach schweren Zeiten, der seine Zukunft hat, weil dahinter der Wille zur Verherrlichung Gottes steht.

Das Wort vom Willen, der sich allen Schwierigkeiten zum Trotz seinen Weg findet, das muß in der Kirchenmusik oft verwirklicht werden. Es galt auch beim zwei-hundsrtjährigen Jubiläum der Schön-brunner Schloßkapelle, zu deren Feier die Nelson-Messe Josef Haydns erklang. Trotz der Enge des Raumes, Chor und Orchester konnten auf der Orgeltempore nicht Platz finden, sondern mußten auf dem einen Stock höher gelegenen Oratorium Aufstellung nehmen, erreichte die Aufführung unter der Leitung von Dr. Josef Jernek seltene Vollendung. Man vermißte nicht einmal das sonst unerläßlich notwendige Mitspielen der Orgel bei den großartigen Chorsätzen, sosehr waren Orchester, Chor und Solisten zu einem Ganzen geworden. War die Raumknappheit in den früher angeführten Beispielen kriegsbedingt, hier ,von jeher durch den Bau gegeben, die Leistungen zeigten überall erfreuliche Güte: sie sind Beweise für die ungebrochene Kraft der Wiener Kirchenmusik, die trotz aller Schwierigkeiten ihre Aufgaben meistert und damit ein wertvoller Zeuge für Österreichs Lebenswillen ist.

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