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Wilderer in Tirols Kulturszene

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In Tirol ist es traurige Mode geworden, unverstandene Kulturinitiativen oder als „unschön" empfundene Kunstwerke einfach anzuzünden: Der Brandanschlag auf das „Goaße-Haus", den zukünftigen Sitz des Villgrater Heimatpflegevereins und der „Villgrater Kulturwiese" in Osttirol, rief großes nationales Medienecho hervor. Kurz danach wurden Kunstwerke des Projektes „Temporäre Stadteingriffe" in Hall in Tirol in Flammen gesetzt.

Die „Villgrater Kulturwiese" ist ein Musik-, Theater- und Kunstfestival, das seit 1992 im Osttiroler Innervillgraten stattfindet. Ihre inhaltliche Basis bezieht die „Kulturwiese" aus dem kulturellen Reichtum des Dorfes trotz seiner ländlichen Abgeschiedenheit. Im Ort Vorhandenes wird aufgenommen und mit Hereingebrachtem verknüpft. Internationale Beachtung fand das Festival durch Beiträge wie einer Komposition des in Wien lebenden Osttirolers Wolfgang Mitte-rer. Der für seine außergewöhnlichen Einfälle bekannte Komponist benützte den Sägebetrieb im Dorf als Instrument und Aufführungsort eines Werkes. 1995 ist das Auftragswerk für den „genius loci" mitsamt seinen kreischenden Sägegeräuschen dann auch auf CD (Extraplatte) veröffentlicht worden.

Der erst 24jährige Initiator des Festivals, Andreas Schett, zählt zu den engagiertesten Tirolern am Kultur-sektor. Er ist Trompeter und rief die Gruppe „Franul" ins Leben, um zu zeigen, daß „moderne" Tiroler Musik nicht traditionalistisch, sondern wirklich modern klingen kann. Dann gründete er die Kulturzeitschrift „Feldforschung Tirol", in der das vorhandene Tirol und das als typisch tirolerisch betrachtete Kulturgut „ethnologisch" untersucht wird.

Alle Aktivitäten Schetts beruhen auf einem Empfinden, das er mit vielen jungen Tirolern teilt, nämlich einer tiefen Verbundenheit mit seiner Heimat. Schett, seine Freunde und seine Teams unterscheiden sich aber von vielen ihrer Zeitgenossen darin, daß sie auf ihr hartnäckiges Fragen nach dem Wesen der Heimat, auch vielfältige Antworten finden. Er selbst bezeichnet sich als jemand, dem es ein Anliegen ist, in seinem Geburtsort „Denkgewerbe" anzusiedeln, das jedoch in jeder Gesellschaft Gültigkeit besitzt. Schetts Charakter und seine Projekte zeugen von großem Humor. Zwar hat er sich erlaubt, manchmal einen zynisch-pro-vokativen Blick auf die eigene Tiroler Umgebung zu werfen, was ihm aber oft genug Kritik einbrachte. Denn im Umgang mit Kunst und Kultur in Tirol muß man stets eines bedenken: So skurrile Begebenheiten es in Tirol auch geben mag, der echte Tiroler lacht nie über sich selbst - Tirol ist eben nicht Großbritannien.

Das bedeutendste Projekt im Rahmen der „Villgrater Kulturwiese" fand im Sommer 1995 unter dem Titel „Alpenrosenasphalt" statt. An einem Samstag im August öffnete der ORF ein „Sendefenster" in Innervillgraten, um das Leben im Dorf an alle Haushalte im Ort live zu übertragen. Die Musik zur Sendung war eine a-ca-pella-Komposition für sieben Villgrater Sänger von Haimo Wisser, deren Uraufführung ebenfalls in Echtzeit zugespielt wurde. Das beste an der technisch enorm aufwendigen Produktion war, daß man noch nie zuvor die Bewohner eines Dorfes das Dorfleben proben gesehen hat.

Doch dem eigenen Ort ein so

großes Abstraktionsvermögen und eine so große Distanz zur eigenen Identität zuzumuten und das hinterher auch noch lustig zu finden, dies war offensichtlich zu weit gegangen. Schon während des Festivals 1994 wurden Kunstwerke im Dorf brutal demoliert. 1995 untersagte man die Aufnahme der Toneinspielungen der Auftragskomposition Wissers in der akustisch geeigneten Villgrater Dorfkirche. Aber seit der Präsentation eines Konzeptes zur Errichtung des „Kulturgeländes Villgraten" kam es zu diesem offenen Konflikt. Das neue „Kulturgelände" sollte aus abgetra-

genen und wiederaufgestellten Bauernhöfen entstehen, in denen Vereine und Initiativen Büros, Archive und Veranstaltungsräume beziehen wollten. Schon in naher Zukunft hätte im Villgratental eine Stätte traditioneller sowie zeitgemäßer Kulturpflege ihre Arbeit aufnehmen können, die sich um die Organisation von Seminaren und der „Kulturwiese", um Aktivitäten zur Erschließung von Marktnischen für Handwerksbetriebe und vieles andere kümmern würde. Diese realisierungsbereite Vision ist aber von Teilen der Bewohner nicht akzeptiert worden. Und da in diesem idyllischen Tal so oder so ganz besondere Formen von Becht und Ordnung herrschen, ist das erste Haus des „ Kulturgeländes" gleich „aktiv abgetragen" worden, wie man das in Osttirol

nennt. Es folgte die Absage der „Villgrater Kulturwiese" 1996, der Bücktritt des Bürgermeisters und einer Gemeinderätin.

Wenige Tage später passierte es in Hall in Tirol. Hinter dem Projekt „Temporäre Stadteingriffe" verbirgt sich die Idee von Wolf gang Bauer und Heinz Weiler, Kunst im öffentlichen Raum so plazieren, daß der Unterschied zwischen „Stadtmöblierun-gen" mit Skulpturen und vertieften künstlerischen Auseinandersetzungen mit den bestehenden Stadträumen zutagetritt. Ziel der „Stadteingriffe" ist, urbanistisch sensible Stellen in Hall als wichtige Schlüsselpositionen eines späteren Stadtentwicklungskonzeptes sichtbar „freizulegen". Die erste Aktivität der „Stadtarchäologen" war eine Installation von Bänken des weltbekannten Österreichers Franz West und eines Objektes von Heimo Zobernig. In der Nacht des 20. April - vor 51 Jahren noch als-der „Geburtstag des Führers Adolf Hitler" gefeiert - sind die Polsterungen der Bänke von Franz West auf einen Haufen geworfen und verbrannt worden.

Teile der Tiroler Bevölkerung voll Aggressivität und von einer zweifelhaften politischen Einstellung „rächen" sich offensichtlich an Institutionen und Kunstwerken, die a priori für Toleranz und Gewaltlosigkeit stehen. Es scheint, als wäre man im „Herz der Alpen" (Tourismusslogan) noch nicht zur Erkenntnis vorgedrungen, daß die Beschäftigung mit Kunst und Kultur für Sinngebung und Frieden wirbt. Und es ist bis auf diesen Bo-

den auch nicht durchgesickert, daß keine Kunst je als „entartet" bezeichnet werden kann, solange ihr Befund in Form von faschistischer Lynchjustiz festgestellt wird und nicht auf der Basis eines demokratischen Verfahrens als Mittel zur Urteilsfmdung.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch von Seiten des Kulturreferenten des Landes Tirol, Fritz Astl, nicht energisch genug eingegriffen wurde. Erst am 30. April - rund ein Monat nach dem ersten Brandanschlag — forderte er in einer verschla-

fenen Presseaussendung dazu auf, darüber nachzudenken, wie primitv die terroristischen Anschläge seien, um mit dem wohl nur als lakonisch zu betrachtenden Satz zu enden: „Lethargie ist bequem, aber nur kurze Zeit."

Mag sein, daß dieses oder jenes Kunstwerk nicht jedem gefällt. Mag sein, daß diese oder jene intellektuelle oder künstlerische Aussage in einer Dorfgemeinschaft so wirkt, als würden junge „Auswanderer" aus derselben Gegend nur wiederkommen und Kultur veranstalten, um dann wieder in die Universitätsstadt Innsbruck zu

verschwinden. Aber in einem Alltag zwischen traditionellen Tiroler Bräuchen und Biten, gängigen Fernseh-und Radioangeboten, Filmen, Musik, Malerei, Architektur, Design, Skulpturen, Schauspiel und Tanz existieren so viele Möglichkeiten und Erscheinungsformen von Kultur, daß sich kein Einwohner gegen irgendeine Form der kulturellen Partizipation verschließen kann. Oder wird jetzt in Tirol auch noch das Anzünden zur Kunst?

Die Attacken gegen Kulturinitiativen und Kunstwerke sind gerade in der „Fremden"-verkehrsregion Tirol, wo im Grunde genommen jeder Gast versöhnliche Signale des „Willkommens" empfangen sollte, beschämend. Die einzige Antwort darauf lautet daher: Noch mehr Kunst!

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