7129080-1997_17_18.jpg
Digital In Arbeit

Wir alle sind Wanderer'6

Werbung
Werbung
Werbung

Wir Werschetzer haben mehrere ,Winterreisen' gehabt und durchgestanden. Schubert würde uns gut verstehen ", schrieb Robert Hammerstiel als persönliche Widmung in sein neuestes Werk „Franz Schubert - Winterreise".

Musik, und speziell jene Schuberts, war für Hammerstiel seit je „der Zwillingsbruder" der bildenden Kunst, die sein Leben erfüllt. Wenn er im Garten seiner Eltern im heimatlichen Werschetz, dem heutigen Vrsac im jugoslawischen Banat, Musik aus einem krächzenden Grammophon hörte - erzählt er heute - zeichnete er dazu oder formte Figuren aus Lehm. Volkslieder der Serben, Ungarn, Rumänen, deutsche und österreichische, wurden zu Zeichnungen barfüßiger Taglöhner und große Hüte tragender Frauen. „Die Musik regte mich dazu an, sie alle zu zeichnen, mich mit den Liedertexten und mit der Melodie zu identifizieren."

Der Vater war Räcker, der als Hobby I konen restaurierte. Die Eltern lebten im serbischen Viertel der mehrheitlich deutschen Stadt. Damit kam Robert schon früh mit Leben und Geist der orthodoxen Christen in Berührung. „Von Ikonen und Batten" handelte sein erster Graphik-Zyklus, der, 1966 begonnen und erst 1980 abgeschlossen, die Erinnerungen an die Jugend festhielt.

Als Elfjähriger geriet Hammerstiel in den Strudel des Kriegsendes, verbrachte drei Jahre im Vernichtungslager der Titopartisanen. 1947 konnte er mit Mutter und Bruder aus dem Lager fliehen und sich nach Osterreich durchschlagen, wo der Vater bereits nach der Entlassung aus der Wehrmacht Zuflucht gefunden hatte. Die Erlebnisse im Lager prägten durch Jahre sein künstlerisches Schaffen.

Der Vater gab dem inzwischen Siebzehnjährigen erste Anleitung. Mit einem Förderungspreis des Gewerkschaftsbundes konnte er 1959, mit 26 Jahren, sein Studium bei Gerda Matejka-Felden aufnehmen, es folgten Studien bei Robert Schmitt, Gerhard und August Sowoboda. Mit dem Kunstsymposion Recklinghausen begann 1968 der Weg zur internationalen Anerkennung.

Holzschnitt, Zeichnung, erst später größerflächige Bilder - die Farben, soweit überhaupt jenseits von schwarz-weiß, blieben gedeckt, verhalten. Die Darstellung mehr angedeutet, als ausgeführt. Zwei Themen-kreise standen stets im Mittelpunkt des Schaffens — die Leiden im Lager, die „Wanderung" und die Bibel. Den Aussagen der Evangelien ist auch der Zyklus von Ölbildern gewidmet, der, erstmals komplett, bis zum 7. Mai in der Kunsthandlung Schrammel in der Wiener Sonnenfelsgasse zu sehen ist.

Von den Hirten auf dem Felde bis zu den Frauen am Grab Jesu - und im -mer wieder Christus als Helfer: Er erweckt die Tochter des Jairus und den Jüngling von Nain, er heilt den Blinden, den Lahmen, den Besessenen. Von ihm wendet sich Judas ab beim Letzten Abendmahl. Und auch immer wieder die Mutter als Beschul* zende. „Früher war die Unruhe in der Form, jetzt ist sie in der Farbe", sagt Hammerstiel - grellbunt in Bot, Grün, Blau. Erst nach einer Amerikareise kam der Durchbruch zur Farbe, zur Vollendung.

Und nun auch wieder die Integration von Musik und Zeichnung. Vor 20 Jahren schuf Bobert Hammerstiel Holzschnittporträts von Bach, Schubert, Bachmaninow, Bartök. Franz Schubert empfindet er als „größtes Genie der Musik weit", weil er sein ganzes Schaffen vor seinem einunddreißigsten Lebensjahr vollenden mußte.

Zu seinem 200. Geburtstag schuf Bobert Hammerstiel nun den Zyklus von Bleistiftzeichnungen zur „Winterreise", zu den Liedern nach Texten von Wilhelm Müller, die Schubert im vorletzten Jahr seines I-iebens vertonte. „Schubert war ein ,Wanderer"', schreibt Hammerstiel dazu, „im wahrsten Sinn ein Getriebener. Hierin ist er ein Kind des frühen 19. Jahrhunderts und des Vormärz ... Aber ist es heute viel anders geworden? Heute, in unserem ruhelosen, von fortwährenden Kriegen und Vertreibungen heimgesuchten 20. Jahrhundert?"

Auch die von Hammerstiel so geschätzten Komponisten unseres Jahrhunderts - Bachmaninow, Bartök, Schönberg, Martinu - waren „Wanderer", Vertriebene ...

Der ruhelose Wanderer, bärtig, in Mantel und Pelzmütze gehüllt, ruhe-und hoffnungslos vor den geschlossenen Häusern der Menschen, dominiert 24 der 25 Zeichnungen, die nun als Buch erschienen sind. Der Künstler selbst?

„Auch ich habe sehr unter den Verheerungen und Tragödien unseres Jahrhunderts gelitten und habe ungeheures Entsetzen empfunden und schreckliche Brutalitäten erdulden müssen, vor allem in meiner Kindheit und Jugend", erinnert sich Hammerstiel. „Auch ich bin ein Wanderer gewesen und habe noch immer die Unruhe des fortwährenden Umherziehens in mir. Ich kenne das Vertriebenwerden und das Ausgesetztsein, das Irren in einem Winter."

FRANZ SCHUBERT- WINTERREISE

Von Robert Hammerstiel 25 Reproduktionen nach Originalzeichnungen. Mit einem Vorwort von Hans Hotter, Textbeiträgen von Gitta Deutsch und Robert Hammerstiel Verlag Christian Brandstätter, Wien 1997, öS 398,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung