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Wird Mauritius ein Waisenkind?

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Die Insel des Prinzen Moritz (Maurits) von Oranien hieß unter der Tricolore Maurice. 1810 wurde sie britisch; so ist der Name ebenfalls englisch geworden: Mauritius.

Am 12. März dieses Jahres wird die Insel ein unabhängiger Staat. Die Freiheit ist nahe. Doch man hat dort ein gemischtes Gefühl, wie es auch auf Malta und Singapur der Fall war — Freude am Ende der politischen Abhängigkeit und Angst vor dem Anfang der wirtschaftlichen Unabhängigkeit.

Schon 1961 bekam die Insel ihre innere Autonomie, Im September 1965 hat das Volk seinen Wunsch durch ein Flebiszit geäußert, Bürger eines selbständigen Staates sein zu wollen. Darnach wurde ein Abkommen zwischen den Delegierten von London und Port Louis bei der Londoner Verhandlung abgeschlossen; Downing Street Nr. 10 hat dem Beschluß des maunitianischen Volkes zugestimmt. Das Prinzip der neuen Verfassung wurde sogleich ausgearbeitet. Nach der Unabhängigkeit yyird Mauritius möglicherweise eine Regierungsform wie die Australiens und Kanadas haben und zweifellos weiterhin im Commonwealth, bleiben. Eigentlich gehören die Rodriguez- und Tschagos-Inseln sowie die Agalega-Atolle als Dependenzen der Kolonie Mauritius an. Doch die letzteren zwei Gruppen werden nach der Unabhängigkeit Mauritius’ höchstwahrscheinlich wegen der weiten Entfernung nicht mehr dem neuen Staatsgebilde unterstellt sein.

Religionen und Sprachen

So wird der neue Staat Mauritius nur eine Gesamtfläche von 1977 Quadratkilometer und eine Gesamtbevölkerung von zirka 750.000 Personen haben. Auf den zwei Inseln leben viele RaSsen nebeneinander: Inder, Pakistaner, Neger, Chinesen, Malaien, Franzosen, Mulatten und Araber. Hinduismus, Islam und Katholizismus sind drei große Religionen. Obwohl die Insel seit längerer Zeit britisch ist, wollte das Volk die französische Sprache nicht aufgeben. Jetzt sind Englisch, Französisch und Kreolisch die drei Hauptsprachen. Außerdem werden natürlich auch verschiedene indische und chinesische Dialekte gesprochen. Das Kreolische könnte sich in Zukunft zur Nationalsprache entwickeln. Der derzeitige Konflikt zwischen den verschiedenen Rassen und Religionen bringt der Insel zwar gewisse Schwierigkeiten, aber das ist eine allgemeine Übergangserscheinung in solchen neuen Vielrassenstaaten. Es wird einige Zeit dauern, bis die Engstirnigkeit entgültig verschwindet und ein „Mauritianer-Gefühl” entsteht, worum sieh die Mehrzahl der Inselbevölkerung auch bemüht.

Zur Zeit hat die französische Sprache auf Mauritius noch eine starke Position. Die französischsprachigen Zeitungen können täglich 25.000 Exemplare verkaufen. ,,L’Advance” von der Hauptstadt Port Louis zum Beispiel ist die größte Zeitung der Insel. Sie ist auch das Organ der Regierungspartei The Labour Party. Warum nicht englisch? So antwortete Marcel Cabon, der Chefredakteur von ,,L’Advance”: „Wozu denn? Das Volk kann die englischen Zeitungen doch nicht lesen.” Auch die geographische Lage Mauritius’ hat das Französisch verstärkt. Es liegt nämlich nicht weit von der Insel Reunion, einem sogenannten „Überseedepartement” Frankreichs, entfernt.

Bemerkenswert ist auch die Tat sache, daß die Chinesen, obwohl sie nur 90.000 und 13 Prozent ausmachen, ziemlich großen Einfluß ausüben können. Sie haben nicht nur die Wirtschaftsmacht inne, sondern sind auch kulturell nicht zu unterschätzen. Auf Mauritius gibt es insgesamt elf Zeitungen, davon sind vier chinesisch. Heute sind die Inder hier der Zahl wegen an der Macht; der Premierminister Ramgoolam ist ein Inder. Die politische Situation Mau? ritius’ von heute ähnelt sehr der Guayanas, wo die Inder ebenfalls die Staatsgewalt in der Hand haben.

Das Hauptprodukt Mauritius’ is1 Rohrzucker. Die Löhne sind sehr niedrig, die Verarbeitung vom Rohmaterial auf der Insel steht in voller Blüte. Die „kapitalistischen” Länder importieren Rohmaterial nach Mauritius und exportieren die nach der Verarbeitung durch die billige Arbeitskraft zu Konsumgütern gewordenen Waren relativ teuer wieder in die Industrieländer. Dies zeigit deutlich, daß die Wirtschaft der Insel typisch kolonial ist — aber was kann Mauritius sonst tun, solange es selbst nicht über Industrie verfügt und exportieren kann? Die Finanzlage der Insel ist infolge der abhängigen Wirtschaft vom Westen stets sehr schlecht gewesen. Streiks sind an der Tagesordnung. Früher mußte alles auf Mauritius nach Londons Willen gemacht werden. Man fühlte sich gebunden und unfrei. So entstand eben der Wille zur Unabhängigkeit. Man hofft auf die engeren direkten diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland nach der Unabhängigkeit. Die Mauritianer sind bereit, Hilfe von allen Ländern anzunehmen. Aber auf Großbritannien hofft kein Mauritianer mehr. Dieser kranke John Bull kann Mauritius weder militärisch beschützen oder politisch beeinflussen noch wirt schaftlich helfen oder finanziell beistehen. Der Indische Ozean ist ein Vakuium geworden; weil er östlich von Suez und westlich von Vietnam liegt. Washington möchte zwar die Aufgabe Londons in diesem Raum übernehmen — zum Beispiel wollen die USA Militärbasen auf den Tschagos-Inseln errichten —, doch sie stecken zur Zeit im Sumpf Vietnams. Bis sie anfangen, ihre Stellung hier aufzubauen, sind vielleicht schon andere Großmächte dal Nur noch Australien und Japan kommen in Frage, um den Amerikanern in diesem Vakuum vorläufig auszuhelfen. Es gibt nun im Indischen Ozean drei unabhängige Staaten; die Malediven, die Repoblika Malagasy (Madagaskar) und Mauritius. Diese drei ,,M” stellen neben den zahlreichen Inseln und Atollen verlockende Leckerbissen für die feinschmeckerischen Großmächte dar.

Peking hat großes Interesse in Ostafrika; der Plan zum Bau einer Eisenbahn von Tansanien nach Sam- bien zeigt, daß es trotz des Rück schlags imstande ist, in diesem Raum in absehbarer Zeit noch festen Fuß 7U fassen. Ostafrika, Malagasy, Mauritius und Malediven liegen genau auf der Linie einer der Voretoßpfeile Pekings. Den Russen lief das Mundwasser dieses Raumes seit langem zusammen. Bereits vor dem russischjapanischen Krieg 1905 wollte der Zar Madagaskar russisch machen. Nach dem Junikrieg 1967 ist es ihnen gelungen, vom Roten Meer aus in diese Richtung vorzustoßen. Der Indische Ozean war seit jeher für den „Westen” unbedeutend.

Das atlantische Zeitalter ist vorbei. Jetzt befindet sich die Welt im pazifischen Zeitalter. Doch nach einigen Jahrzehnten wird sicher das Zeitalter des Indischen Ozeans anbrechen. Sukarno hat einst diesen Ozean in „Indonesischen Ozean” umbenannt. Obwohl seine Herrlichkeit endgültig dahin ist, wird dieser Raum später doch keine Ruhe mehr erleben. Bereits 1944 hat ejn linksgerichteter chinesischer Schriftsteller in Indonesien namens Sabin einen Roman mit dem Titel „Die jungen Marineflieger” geschrieben, in dem er die zukünftigen Eroberungen Chinas in diesem Raum beschreibt. Ob Mauritius, diese süße Insel, ein Kuba im Indischen Ozean sein wird?

Haschisch wird von vielen Arabern traditionell als Quelle der Männlichkeit betrachtet. Sie nehmen es ausschließlich aus sexuellen Motiven. Europäische Beobachter könnten sich dadurch leicht verleiten lassen, zu glauben, Araber seien weniger männlich als andere Männer. Dąs Gegenteil ist der Fall. In Wirklichkeit handel t es sich um die katastrophale Folge eines religiösen Wahns. Islamische Traditionen schreiben nämlich nicht nur die Beschneidung der Knaben, sondern auch der Mädchen vor. Folglich erreichen die so verstümmelten Frauen nie den sexuellen Höhepunkt. Die Männer bekommen Minderwertigkeitskomplexe und greifen zum Haschisch. Solange die ehrwürdigen „Al- Azhar”-Scheichs sich nicht herbeilassen, die Unsitte der weiblichen Exzission zu verbieten und zu bestrafen, muß daher auch ihre Antirauschgift- „Fatwa” wirkungslos bleiben. Mit anderen Worten: Die islamischen arabischen Staaten brauchen eine zeitgemäße Sexualmoral, und die Rauschgiftsucht ist kein sexuelles, sondern ein religiöses Problem!

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