Wo Dörchläuchting lebte

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Schlösser und Seen - Kultur und Natur in Mecklenburg.

Waren Sie schon in Waren?" fragte der Tourismus-Berater den Unentschlossenen. Waren liegt mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte. Wer sich die Landkarte ansieht, erkennt, dass von hier aus Sternfahrten in alle Richtungen leicht machbar sind. Der Luftkurort Waren (22.000 Einwohner) an der Müritz, dem größten Binnensee Deutschlands, ist gewiss ein idealer Ferienort. Kriegsschäden und Bausünden der DDR sind großteils verschwunden, Alt und Neu vertragen sich gut. Der Neue Markt hat viel Atmosphäre der seit dem 13. Jahrhundert gewachsenen Stadt bewahrt.

Als Stützpunkt für unsere Ausflüge wählten wir aber doch Neustrehlitz, die alte Residenz der Herzöge (seit dem Wiener Kongress 1815 Großherzöge) von Mecklenburg-Strehlitz, die bis 1918 ein Ländchen regierten, das sie in wenigen Tagesausflügen mit der Kutsche inspizieren konnten. Aus diesem Hause stammte Königin Luise von Preußen (1776-1810), die hier mindestens ebenso sehr Kultstatus genießt, wie anderswo Kaiserin Sisi. Auch wenn man die sommerlichen Aufführungen im Schlosspark versäumt hat, wo die Operette "Luise - Königin der Herzen" mit Musik von Walter Kollo, Jacques Offenbach und Johann Strauß gespielt wurde, kann man dem Andenken an diese bedeutende, tragische Frau nicht entgehen: Luise-Stuben, Luisen-Park, -Straße, -Torte etc.

Preußische Madonna

Als Braut des künftigen Königs Friedrich Wilhelm III. zog sie 1793 in Berlin ein und eroberte tatsächlich die Herzen aller Volksschichten, war ihrem etwas gehemmten Gemahl eine bald unentbehrliche Stütze und musste sich in schweren Kriegszeiten bewähren. Die Begegnung mit Kaiser Napoleon in Tilsit, wo sie 1807 versuchte, die Kriegslasten für Preußen zu mildern, blieb freilich ohne nennenswertes Ergebnis. Als sie schon 1810 einem Lungenleiden erlag, war die Befreiung Europas von der Herrschaft des Korsen noch nicht absehbar. Ihr Mausoleum im Schlosspark von Charlottenburg wurde für Neustrehlitz kopiert. Hier ist zwar das große Schloss verschwunden, aber der Park mit vielen Statuen und die Orangerie lassen noch die Atmosphäre der kleinen Residenz ahnen.

Gestorben ist Luise einige Kilometer von Neustrehlitz entfernt, im Schloss Hohenzieritz. Dort fand sich nach 1945, nach den Plünderungen durch die Sowjetarmee, nicht viel mehr als eine geköpfte Büste der Königin. Heute ist in dem Gebäude die Verwaltung des großen Naturschutzgebietes. Zwei Gedenkräume vor dem eigentlichen Sterbezimmer wurden wieder als kleines Museum hergerichtet. Wunderbarerweise fanden sich der abgeschlagene Kopf und andere Reliquien in der Umgebung wieder. Ein Förderverein hat sich mit größtem Eifer um die Würde des Ortes und genügend Informationsmaterial bemüht. Erst im vorigen Jahr konnte ein Abguss der Bronzestatuette "Preußische Madonna" von Schaper (1910) aufgestellt werden: Luise mit ihrem Sohn Wilhelm, dem späteren deutschen Kaiser Wilhelm I.

Das Haus Mecklenburg-Strehlitz hat noch eine zweite Königin hervorgebracht: Prinzessin Sophie Charlotte heiratete 1761 den britischen König Georg III. Sie förderte den Töpfer Wedgewood ebenso, wie sie sich den königlichen Gärten in Kew widmete. Der Direktor der "Royal Botanic Gardens" hatte damals gerade eine besonders schöne Blume aus Südafrika bekommen. Zu Ehren der Königin nannte er sie Strelitzie. Die Blüte, die an einen Paradiesvogel erinnert, ist so etwas wie das inoffizielle Wappen von Neustrehlitz geworden.

Populärer als Sophie Charlotte ist in der Heimat nur ihr Bruder geblieben, der als Herzog Adolf Friedrich IV. von 1752 bis 1794 das kleine Land regierte. Populär vor allem durch den Poeten Mecklenburgs, Fritz Reuter. "Dörchläuchting" nannte er die Durchlaucht in seinem 1866 erschienen plattdeutschen Roman. Wenn wir nun nach Mirow fahren, wo sich schon 1227 die Johanniter niedergelassen haben, finden wir nicht nur ein schlichtes Barockschloss, sondern in der alten Kirche auch eine Fürstengruft, wo neben anderen Familienmitgliedern Adolf Friedrich bestattet ist. Damit man ihn besser erkennt, wird er dem andächtigen Besucher als "Fritz Reuters Dörchläuchting" vorgestellt. Ein Jugendstil-Steg führt zur verträumten "Liebesinsel", wo unter hohen Bäumen der letzte Großherzog Adolf Friedrich IV. begraben liegt. Bis heute weiß man nicht genau, warum er im Frühjahr 1918 freiwillig aus dem Leben schied.

Neubrandenburg liegt nicht in Branden-, sondern in Mecklenburg. Der Krieg und nachher noch sowjetische Zerstörungswut haben nicht viel verschont. Aber es wurde fleißig aufgebaut. Die prächtigen Stadttore in Backsteingotik haben überdauert. Entlang der Stadtmauer von Neubrandenburg findet man die "Wiekhäuser": Fachwerk-Einsprengsel in den festen Feldstein, drei bis vier Meter breit, früher Stützpunkte zur Verteidigung, heute Wohn-, Gast- oder Bürohäuser. Besonders stolz sind die Neubrandenburger darauf, wie sie mit ihrer 700-jährigen Marienkirche zurechtgekommen sind. Im April 1945 ausgebrannt, hat man sie seit 1996 zu einem modernen Konzertsaal ausgebaut und im Juli 2001 eröffnet: Außen Backstein, innen sanft ansteigende Sitzreihen, geräumiges Podium, viele technisch-elektronische Einbauten und doch eine ästhetisch befriedigende Sehenswürdigkeit.

Unter den Wahl-Mecklenburgern nimmt natürlich Ernst Barlach einen besonderen Rang ein. 1870 in Wedel (Holstein) geboren, 1938 in Rostock gestorben, hat der Bildhauer, Maler und Dichter doch fast dreißig Jahre in Güstrow verbracht. Man kann sein Atelier besuchen und die Gedenkstätte in der Gertruden-Kapelle, wo auch die Ernst Barlach Stiftung sitzt. Die meiste Aufmerksamkeit findet die Gestalt des "Schwebenden" im Dom. Das Schicksal dieser erschütternden Plastik des jahrelang als "entartet" verfemten Künstlers ist eine Geschichte für sich.

Papiermaché statt Stuck

Optisch beherrscht das angeblich größte Renaissance-Schloss Norddeutschlands die Stadt Güstrow. Im 16. Jahrhundert wurde es hauptsächlich von Italienern für Herzog Ulrich von Mecklenburg erbaut, im 17. Jahrhundert vom Kaiser seinem Feldherrn und Gläubiger Wallenstein überlassen, der tiefgreifende Umbauten vornahm, aber nicht allzu lange abseits von seinem Dreißigjährigen Krieg dort residieren konnte. Viele Schicksale hat das Schloss seither erlebt, bevor man 1972 begann, aus dem Altersheim schrittweise das heute prächtige Museum mit gepflegtem Renaissance-Park zu machen.

Die mehrfachen Teilungen Mecklenburgs brachten auch mehrere Residenzen mit sich. So sollte in Ludwigslust ein mecklenburgisches Versailles entstehen. Der sparsame Friedrich von Mecklenburg-Schwerin ließ im späten 18. Jahrhundert für die Innenausstattung statt Stuck und Holz Papiermaché verwenden, das täuschend mit Blattgold belegt wurde. Eine eigene Manufaktur stellte "Ludwigsluster Carton" her und konnte dabei auch noch viele alte Akten recyclen ...

Als später die Hofhaltung wieder nach Schwerin zog, stellte sich heraus, dass dort das alte Schloss am Rand der Stadt nicht mehr zeitgemäß war. Auf dem Platz, wo schon im 10. Jahrhundert eine Burg gestanden war, wurde nun im Stil der französischen Renaissance ein Prachtstück des Historismus errichtet. Der Schinkel-Schüler Georg Adolph Demmler brauchte offenbar nicht zu sparen. Zur Einweihung 1857 schrieb Flotow eigens eine Oper. 1913 zerstörte ein Brand ein Drittel des Baus. Seitdem wird immer wieder restauriert, umgebaut - je nach Zweckbestimmung. 1948 tagte hier der Landtag, der vier Jahre später abgeschafft wurde, 1990 zog er wieder ein. Der größere Teil des Schlosses ist aber zu besichtigen. Der fünfeckige Bau liegt in diesem seenreichen Land inmitten prächtiger Gartenanlagen auf einer Insel. Wer aber anhand der vielen Porträts in den Prunkräumen die Genealogie der Mecklenburger Fürsten ergründen will, wird lange brauchen.

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