Wunderbare Bildvermehrung

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Die unterschätzte Kunst der Grafik im Wiener Künstlerhaus: faszinierende Beispiele in einer missglückten Ausstellung.

Es war eine Sensation und ein kulturhistorischer Meilenstein, als um 1400 die ersten Einblattholzschnitte in Umlauf kamen. Konnte man Bilder zuvor nur im öffentlichen Raum bewundern und etwa in Kirchen vor ihnen beten, so gab es plötzlich die Möglichkeit, sich sein privates Andachtsbildchen mit nach zu Hause zu nehmen. Die Tatsache, dass von einem "einzigen Original eine Vielzahl von Abzügen genommen werden konnte, dürfte im frühen 15. Jahrhundert so ähnlich bestaunt worden sein wie die wunderbare Brotvermehrung", mutmaßt der angesehene deutsche Grafik-Theoretiker Ernst Rebel.

Der Beginn der Geschichte der Druckgrafik in Europa zeigt, wie bedeutsam diese Disziplin in politischer, soziologischer, religiöser und künstlerischer Hinsicht war. Druckgrafik, zu der die "traditionellen" Techniken Holzschnitt, Kupferstich, Steindruck, Radierung und Siebdruck zählen, war im Unterschied zur unerschwinglichen Malerei und Bildhauerei stets ein demokratisches Medium. Ein großformatiges Rubensgemälde konnten sich nur äußerst betuchte Sammler leisten, aber einen Stich aus der arbeitsteiligen Rubens-Werkstatt konnte sich bald einer an die Wand hängen.

Demokratisches Medium …

Zugleich entpuppte sich die Grafik im Lauf ihrer Geschichte als Medium der Geschwindigkeit. Während neue Ideen und Programme erst langsam in die "hohe Kunst" ihren Eingang fanden, eignete sich die Grafik ideal zur Verbreitung von neuen künstlerischen, religiösen oder politischen Überzeugungen. Nicht zufällig fällt der Aufschwung der Karikatur mit der Erfindung des Steindrucks (Lithografie) um 1800 zusammen. Aufgrund der raschen Arbeitsweise wurde es Künstlern wie dem französischen Zeichner und überzeugten Republikaner Honoré Daumier möglich, unmittelbar auf Tagesereignisse zu reagieren und seine bissig-kritischen Kommentare tagtäglich zu publizieren.

Mehr als erstaunlich also, dass die Grafik in der breiten Öffentlichkeit bis heute nicht ein so hohes Ansehen genießt wie die Malerei oder Bildhauerei. Allzu sehr ist die Vorstellung vom einzigartigen Original im Unterschied zur reproduzierbaren Druckgrafik in unseren Köpfen verankert. Eine Ausstellung lediglich mit Druckgrafik würde keine Besuchermassen in die Albertina locken - sicherlich mit ein Grund, warum Klaus Albrecht Schröder die Akzente seines Hauses längst verlagert hat.

Anders sieht das die wissenschaftliche Fachwelt: Sie hat in den letzten Jahren besonderes Interesse an der einstigen "Griffelkunst" gewonnen: Die Druckgrafik - zu der sich mittlerweile auch Computergrafik und Internetarbeiten gesellt haben - sei Vorreiterin des "technischen Bildes", so das Urteil der Bildtheoretiker.

… mit geringem Prestige

Erfreulich, dass sich Wien im Herbst diesem ungemein spannenden Thema stellt: In Form einer Ausstellung im Künstlerhaus, begleitet von einem dreitägigen international besetzten Symposium über das "Erkundungsfeld Druckgrafik", einem Druckgrafik-Workshop und einem Filmprogramm im Künstlerhaus-Kino mit österreichischen und polnischen Experimental- und Animationsfilmen.

Begrüßenswert ist auch die Kooperation, auf der dieses Projekt beruht. Denn das Künstlerhaus tritt hier neben Oldenburg erstmals als dritter Mitveranstalter der traditionsreichen Grafik-Triennale Krakau auf, die seit 1966 zu den größten internationalen Events auf dem Gebiet der Druckgrafik gehört.

Die Ausstellung selbst, die beide Ebenen des Künstlerhauses umfasst, ist allerdings enttäuschend. Auch wenn unter den 350 Werken von über 160 Künstlern und Künstlerinnen Highlights zu finden sind. Neben den reizvollen, hyperrealistischen Farb-Holzschnitten des Koreaners Nam Kyung Bae mit Darstellungen laufender Kinder überzeugt die multimediale Computergrafik Mess_age des polnischen Teams Zasada/Szandala/Mendrek durch ihren poetischen Charakter. Zu sehen ist ein aufgeschlagenes Buch - überlagert von Baumsilhouetten. Eine Arbeit, die daran erinnert, dass Druckgrafik stets sehr eng mit Buchdruck und Schrift verbunden war.

Sowohl inhaltlich als auch technisch herausragend ist das Grafik-Relief der südafrikanischen Künstlerin Diane Victor - gefertigt in einer Mischtechnik aus Radierung, Mezzotinto und Prägung. Es zeigt einen in ein weißes Korsett gezwängten, schwarzen Männerrücken. Formal eindrucksvoll thematisiert Victor nicht nur die Geschichte der Fremdherrschaft, sondern stellt auch die eindeutige Geschlechtsidentität zur Debatte. Von den österreichischen Künstlern und Künstlerinnen bleibt besonders die aus Druckgrafik gebastelte Papierkleider-Skulptur Hoppe Hoppe Reiter von Karoline Riha im Gedächtnis, die wie ein lyrisches Denkmal an die Kindheit wirkt.

Schlecht konzipierte Schau

Ein Großteil der Exponate hätte allerdings bereits vor 20 Jahren entstanden sein können - wie eigentlich die gesamte Ausstellung, die streckenweise mehr an eine 1980er-Präsentation erinnert als an eine Gegenwartskunst-Schau. Dies liegt zum Großteil an der zu formalistischen Auswahl, zum anderen an der wenig konturierten Zusammenstellung. Auch hätte man sich gerade bei einem derart komplexen Thema eine informativere Aufbereitung gewünscht - zumindest im Katalog, der weder etwas über die einzelnen Techniken noch über die Auswahlkriterien oder die Künstlerbiografien verrät.

Bleibt zu hoffen, dass das Symposium und die Begleitveranstaltungen in Form von Galerieausstellungen die Mängel der Hauptausstellung ausgleichen.

PRINT

Internationale Grafiktriennale Krakau - Oldenburg - Wien 2007

Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien

www.k-haus.at

Bis 12.10. tägl. 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog: 208 Seiten, € 25,-

SYMPOSIUM: ERKUNDUNGSFELD DRUCKGRAFIK 21.-23. 9.

ANIMATED POETRY 20. 9. 19 Uhr

DRUCKGRAFIK WORKSHOPS

10. 9.-10. 10.

Künstlerhaus k/haus passage

FILMPROGRAMM

21. und 22. 9. jeweils 20 und 22 Uhr, 23. 9. 11 Uhr Matinee

Künstlerhaus k/haus kino

Akademiestraße 13, 1010 Wien

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