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Wundersdiönes Land

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Spanien. Von Rudolf Pestalozzi. Ein Bildbuch mit 278 photographischen Aufnahmen. Fretz- und Wasmuth-Verlag AG., Zürich. — Spanien, Vorposten des Abendlandes. Von Bruno G enter. B.-Kühlen-Verlag, M.-GIadbach. 120 Seiten, 115 Abbildungen. Preis 13.80 DM. — Spanische Reise. Von H. V. Morton. 384 Seiten mit 4 farbigen und 16 einfarbigen Bildtafeln. Verlag Ullstein, Wien. Preis 125 S. — Spanisches Erbe und Revolution. Von P. Joachim Fernandez OFMCap. Die Staats- und Gesellschaftsauffassung der spanischen Traditionalisten im 19. Jahrhundert. Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, Münster, Westfalen. 128 Seiten.

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Spanien. Von Rudolf Pestalozzi. Ein Bildbuch mit 278 photographischen Aufnahmen. Fretz- und Wasmuth-Verlag AG., Zürich. — Spanien, Vorposten des Abendlandes. Von Bruno G enter. B.-Kühlen-Verlag, M.-GIadbach. 120 Seiten, 115 Abbildungen. Preis 13.80 DM. — Spanische Reise. Von H. V. Morton. 384 Seiten mit 4 farbigen und 16 einfarbigen Bildtafeln. Verlag Ullstein, Wien. Preis 125 S. — Spanisches Erbe und Revolution. Von P. Joachim Fernandez OFMCap. Die Staats- und Gesellschaftsauffassung der spanischen Traditionalisten im 19. Jahrhundert. Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, Münster, Westfalen. 128 Seiten.

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Spanien ist in den ersten Nachkriegsjahren zunächst für die Schweizer, dann für die Deutschen zu einem bevorzugten Reiseland geworden. Diese Tatsache allein rechtfertigt die steigende Zahl von Bildbänden und Büchern des deutschen Sprach- raumes. die sich Spanien zuwenden, das heute für viele an die Stelle Italiens im 19. Jahrhundert getreten ist: als ein Land der Seele und Sehnsucht, relativer Unberührtheit, das man noch möglichst schnell besuchen möchte, ehe die Zangen der Neonlichterzivilisation und des Sozialtourismus sich geschlossen um die Küsten legen und sie verschlingen, von San Sebastian bis La Coruna, von Port Bou bis vor Gibraltar.

„Mögen andere Länder größeren Liebreiz haben und auf manche Weise uns vertrauter sein, so erregend schön in seiner Herbheit, Weite und Unberührtheit ist nur Spanien. An diese stille und feierliche Größe werden wir in der eng begrenzten und lärmigen Vielbewohntheit der eigenen Heimat — auch wenn wir sie als Heimat mit keinem anderen Land der Erde vertauschen möchten — immer wieder mit neu erwachender Reiselust zurückdenken.’ So der Schweizer Pestalozzi in der Einleitung zu seinem Bildbuch „Spanien”, das ganz abgestellt ist darauf, Schaufreude und Reisefreude zu wecken. Es ist das Land, das vielgesichtige Land, seine Landschaften, es ist das Pittoreske, „Malerische”, das hier in diesen Bildern ganz im Vordergrund steht. Vorzügliche Leica-Aufnahmen, in gepflegter Wiedergabe (hier ist dieser Band dem Werk Geuters überlegen), lassen Land und Leute ausgiebig zu Gesicht kommen. Kunst und Kultur in engerem Sinne treten ganz zurück. Hier springt Geuters Spanien-Band ein. Während Pestalozzi keinen Textteil enthält, nur durch einen Einlegekarton Namen der Orte und Landschaften notiert, ist Geuter ehrgeizig bemüht, in Geschichte und Kultur Spaniens einzuführen und, in drei Abschnitten, „das schöne Spanien”, „das kämpferische Spanien” und „das gläubige Spanien” vorzustellen: eine kleine Spanienkunde, verfaßt vor allem, so scheint es, für die Bildungsarbeit in deutschen katholischen Jugendgruppen, wie eine Schlußnotiz S. 119 und der etwas allzu vereinfachende Stil der , gespjtichtlicheq Darstellung ,andeutet. (Jitwas grotesk, unter anderen, nimmt sich, für den.,Kenner spanischer Geschichte die Darstellung des spanischen Humanismus, S. 104, aus.) Wenn man sich aber einmal mit dieser Art abgefunden hat, wird man im Bildteil und auch in weiten Strecken des Textes viel Informierendes und Anregendes finden.

Ein Werk eigener Art ist H.V. Mortons „Spanische Reise”. Jeannie Ebner hat dieses Buch eines Engländers in ein flüssiges, gut lesbares Deutsch übertragen. Eigenständiges Urteil, Distanz und Sympathie, wache Aufmerksamkeit für kleinste Details und Besonderungen, eine lebhafte Darstellungsweise machen Mortons Reisebericht zu einer genußreichen Lektüre. Morton verbindet geschichtliche Kenntnis und unbefangene, amüsante eigene Bemerkungen über Spaniens geschichtliche Eigenart, wobei er gerne auf anglo-spanische Beziehungen zu sprechen kommt, diese aber in so scharmanter Form vorbringt, daß man sie ihm nicht verdenkt. Offen für alle Eindrücke, auch hier, bemerkt er dabei: „Spanien schuldet Frankreich und Deutschland unendlich viel” (S. 274). Dome und religiöse Kunstwerke wurden oft von deutschen Baumeistern, Künstlern und Handwerkern erbaut… — Morton übersieht nicht die Tragödien, die an Land und Geschichte hier überall geknüpft sind, er bemüht sich, mit vielerlei Volk und Vertretern sehr verschiedener Stände und Weltanschauungen ins Gespräch zu kommen und weiß anziehend davon zu berichten. Er schließt sein Werk mit einem Besuch bei der Muttergottes in Montserrat, und da klingt, in seinem letzten Satz, eines der größten Motive, Leidmotive und Leitmotive, Spaniens auf: „Ich trete hinaus in die Dämmerung und empfinde tief, daß es noch Orte gibt, wo der Haß, diese furchtbare Geißel unserer Zeit, keine Heimstatt hat.” Spaniens Geschichte ist ein Versuch, einen unbändigen Haß der hier zusammen hausenden sehr verschiedenen Rassen und Menschen zu überwinden, und Friedensräume für den Menschen, um ihn zu hegen in seiner Freiheit und Würde, zu schaffen. Der ungeheure Emst spanischer Denker und Beter stammt von diesem ihren Wissen um Spaniens intimste Gefährdung, immer wieder in Haß und Selbstzerfleischung zu zerfallen, und um den hohen Preis, der für deren Ueberwindung bezahlt werden muß.

Die Erhellung der spanischen Geschichte ist ein Ruhmesblatt der deutschen Forschung. Die spanischen Arbeiten der Görres-Gesellschaft, die Ausbildung führender spanischer Forscher an deutschen hohen Schulen und bei deutschen Meistern finden in der Gegenwart eine vielfältige Neuaufnahme und Fortsetzung. Joseph Höffner, der bekannte Soziologe und Theologe der Universität Münster, selbst Autor eines bedeutenden Werkes über das „Anliegen der spanischen Kolonialethik im Goldenen Zeitalter”, hat nun in die Reihe der von ihm edierten Schriften des Instituts für christliche Sozialwissm- schaften an der Universität Münster die wohl von ihm angeregte ausgezeichnete Studie des spanischen Kapuziners Joachim Fernandez über den spani hen Traditionalismus des 19. Jahrhunderts aufgenommen. Wer das Spanien von heute, und gerade von 1957, mit seinem entschiedenen Versuch, von der Diktatur zu einem Rechtsstaat zu gelangen, verstehen will, muß diese Arbeit zur Hand nehmen. Im Traditionalismus des spanischen 19. Jahrhunderts sind wesentliche Elemente des politischen, religiösen und kulturellen Bemühens der Gegenwart zu finden: katholisch-konservativ, freiheitlich-personalistisch (auf spanische Art), sozial-fortschrittlich stehen die aktivsten Männer des heutigen politischen und spirituellen Lebens Spaniens in der Schule des spanischen Traditionalismus des 19. Jahrhunderts. Dieser vereinigt Elemente der deutschen und französischen Romantik und Restauration mit alten spanischen Traditionen in seinem Kampf gegen den radikalen „Liberalismus”, gegen den Säkularisnrus des spanischen 19 Jahrhunderts. Der Kapuziner Fernandez ist bei all seiner Sympathie für das Denken und politische Wollen der Männer um Aparisi und Baimes, um Donoso Cortes und Vazquez de Mella klug, wissenschaftlich gebildet und spirituell offen genug, um neben ihrer Größe auch ihre Grenze kritisch zu sehen, ja zu beobachten, wie genau oft Schwäche und Stärke dieser Köpfe aneinander gebunden sind. Ihre größte Schwäche bestand nicht selten darin, daß sie sich durch ihren zeitlichen Gegner allzustark faszinieren und innerlich bannen ließen. Nur wenige rangen sich innerlich zu der wahrhaft befreienden Formel des Baimes durch: „Reformieren, um zu versöhnenI” Fernandez bemerkt auch: „Es geht nicht an, den Wert des Traditionalismus an den Mißerfolgen des Liberalismus zu messen.” — Diese wichtige Arbeit stellt ein Zeugnis dar für einen Prozeß, der seit langem im Gange ist und gegenwärtig in eine neue entscheidende Phase tritt: die Selbstfindung des spanischen Geistes, seine Selbsterhellung und Entkrampfung durch die Begegnung mit dem europäischen Geist (hier vertreten durch die deutsche Forschung und ihr Ethos). Spanien ist nicht Europa, ist nicht Afrika, wohl aber gehört es beiden Kontinenten zu, und kann heute in eine neue Stunde geschichtlicher Wirkmacht eintreten, wenn es, als Brücke, beide zu verbinden weiß und sich aus alter Verstarrung löst. Fast alle Spanien-Bücher unserer Tage sind deshalb zu begrüßen, weil sie bemüht sind, hüben und drüben Verständnis zu wecken sowohl für die unabdingbar eigenen Wege, die dieses Land geht, wie auch für viele, oft überraschende Kommunikationen mit den Lebensfragen der europäischen Völker.

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