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ZEITEN UND BILDER

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JEDE ZEIT HAT IHR BILD und ihre Bilder; und alle Bilder haben ihre Zeit. Einige Bilder aber haben Zeit und haben immer Zeit, weil in ihnen noch soviel unverbrauchte Zukunft ist, von der sie leben. Das sind dann Bilder, die von den Zeitgenossen ihrer Entstehung nicht verstanden und von den Nachfahren als große Kunst verehrt werden. Sie sind das, was bleibt, weil sie so tief in die Zeit drangen, daß sie die Wurzel aller Zeit erreichten.

IN DER ÖSTERREICHISCHEN GALERIE des 19. und 20. Jahrhunderts im Oberen Belvedere sind wieder beide Stockwerke allgemein zugänglich. Aus dem zweiten Stock sind einige Namen verschwunden, was kein Verlust ist. Viele Bilder scheinen jetzt lockerer und günstigerer gehängt als früher. Verstummt ist nun auch die Diskussion, ob eine eigene Galerie der österreichischen Malerei der letzten 150 Jahre gerechtfertigt, oder der Gedanke eines National- oder Heimatmuseums nicht selbst schon museumsreif geworden ist. Die Frage wurde eigentlich nie endgültig entschieden und wird es wohl auch nie werden. Gewiß hat die österreichische Malerei des 19. Jahrhunderts nicht Weltrang; aber vielleicht ist gerade die Tatsache, daß sie ihr gemütliches und gemütvolles Leben abseits der großen Welt geführt hat und von den meisten Entwicklungen unberührt blieb, ein Grund, sie abseits von der großen Malerei desselben Jahrhunderts zu zeigen. Und welcher Platz wäre da wohl für sie geeigneter als Schloß Belvedere, das, ein Werk barocker Baukunst von Johann Lukas von Hildebrandt, ein wenig abseits des großen Verkehrs liegt und doch leicht zu erreichen ist, das aussieht, als wäre es unberührt durch die Verwüstungen der Kriege gegangen und das ein wenig aus der guten, alten Zeit herübergeleitet hat durch mehr als zwei Jahrhunderte bis in unsere hastigen Tage? Freilich sollte Wien dann auch seine reichen Bestände der modernen Galerie, die Werke von Daumier, Manet, Monet, Renoir, van Gogh, Leger und anderen umfaßt, nicht länger unter den Scheffel stellen, sondern — vielleicht im zentral gelegenen Kunsthistorischen Museum — allgemein zugänglich machen. Erst ein Vergleich beider Ausstellungen wird dem Besucher zeigen können, wo etwas in der Malerei geschehen ist, und wo die Zeit beinahe spurlos vorübergegangen ist. Erst wer die Bedeutung eines Constable und Turner, Corot und Courbet, van Gogh und Cezanne kennt, wird die österreichische Malerei richtig schätzen können; er wird sie nicht — wozu eine eigene Galerie leicht verführt — überschätzen, aber er wird in ihr eine gediegene, gepflegte Parklandschaft und damit ein Stückchen gesicherter Welt lieben lernen.

SO EMPFÄNGT UNS DAS ERSTE STOCKWERK des Belvedere mit einer liebenswürdigen untergegangenen Welt, die nicht bedroht war (o, sie war es, Umstürze, Kriege und Revolutionen hatte das Europa des vergangenen Jahrhunderts wahrlich genug, aber die Bilder wissen nichts davon, in ihnen ist alles ohne Gefahr). Zur Rechten liegen die Säle, die Waldmüller und seiner Zeit gehören. Werke von Ferdinand Georg Waldmüller (1793 bis 1865) sind in insgesamt sechs Sälen zu sehen, von denen einer beinahe ausschließlich ihm gewidmet ist. Neben seinen Bildern hängen die seiner Zeitgenossen: Friedrich von Amerling und Friedrich Gauermann, Joseph Danhauser und Moritz von Schwind (dessen Bildern, ihrer — weltvergessenen — Sonderstellung entsprechend, eine eigene Wand eingeräumt wurde). In weiteren Sälen schließen sich Bilder von Jakob Alt und Rudolf von Alt an.

ZUR LINKEN SIND ANTON ROMAKO (1832 bis 1889), Hans Makart (1840 bis 1884) und die Landschafter Jakob Emil Schindler (1842 bis 1892) und Carl Schuch (1846 bis 1903) untergebracht. Romako füllt beinahe zwei Räume, Makart und Schuch je einen. Ueberblickt man die Entwicklung des 19. Jahrhunderts von Waldmüller bis Makart, so scheint es aufs erste, daß man sie leicht charakterisieren könne, in dem man die Tendenz der Bilder aufzeigt, in den Formaten immer größer zu werden und in der Stimmung das Beschauliche durch die repräsentative Geste zu ersetzen. Waldmüller gab sein Bestes in seinen Wienerwald- und Praterlandschajten, fein in der Pinselführung und breit durch die Farb-massen, in seinen koloristischen Interieurbildern aus dem Wiener Vormärz (deren Oberfläche heute wie je gefirnißt leuchtet und strahlt) und in seinen kostbaren kleinen Porträts, deren jedes ein Kabinettstück ist, gesegnet mit Scharm und gekennzeichnet durch Liebe zum Detail. Waldmüllers Bilder sind der Traum von einer behüteten Welt, gemalt von einem Künstler, der nicht ahnte, wie flüchtig sie sein sollte, und der deshalb keine Trauer kannte. Makart dagegen schuf, wie Burne-Jones einmal sagte, den „formgewordenen Traum von etwas, das nie war und nie sein wird“. Seine Bilder sind rauschhafte Vision, ein blendendes, glitzerndes Fest, ob sie nun der Genre-, Historien- oder Dekorationsmalerei zuzurechnen sind. Eigentlich gehören sie ja alle der Dekorationsmalerei an, denn die Erzielung hochdekorativer Effekte war sein besonderer und vielleicht einziger Ehrgeiz. Makart war kein Routinier und kein Reaktionär; er erscheint uns heute als Synkretist und Populari-sator, als Mann, der Neues und Altes, alle Stile und Genres in sich aufnehmen und verschmelzen konnte, und der sie wirksam darzubieten wußte. Ihm gelingt alles leicht, auf Anhieb, er macht sich keine Gedanken, aber alles wird ihm zur Operette und zum Walzer. Es ist verständlich, daß er die „große“ Malerei mit ihrer Ueberbetonung des gegenständlichen Inhalts, ihren stofflichen Reizen und ihren banalen Motiven liebte, die immer das Publikum für sich hatte. Während Waldmüller Malerfreunde hatte, begabt mit dem Instinkt künstlerischer Stadtkultur wie er, war Makart trotz seines Erfolges und seiner Volkstümlichkeit im Grunde ein Einzelgänger, oder richtiger ein Einzelfall; und schon deshalb erscheint unsere oben versuchte Charakterisierung der Entwicklung unzulässig; vielleicht auch sollte man lieber überhaupt von keiner Entwicklung sprechen, nicht einmal von Wandlungen.

ABER DA IST ROMAKO. Und er ist anders. Bei ihm ist etwas Neues da; der Duft, das Licht und die Leichtigkeit des Impressionismus vielleicht, ohne daß es aber schon der Impressionismus wäre; ein Wissen um die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit der Dinge vielleicht, ohne daß seine Bilder deswegen ihren statischen Charakter verlieren. Auch wenn die Wildheit eines Fischermädchens oder eine bewegte Gruppe von Menschen da ist, hat alles Ordnung und festen Platz, ja ist oft noch eingefaßt und festgehalten durch einen streng gegliederten stilisiert-vegetativen Hintergrund. Romakos Gemälde haben eine seltsame Helligkeit. Es ist immer etwas Besonderes, wie das Licht einbricht in seine Landschaft. Ja, es ist ein Einbruch: hier ist ein Tor aufgerissen worden, in die umzäunte, gesicherte Welt. Aber herein kommt zunächst nicht das Gewitter, sondern ein fernes und frühes Wetterleuchten. Und Wetterleuchten sind schön und geben allem einen raschen, vergänglichen Schmelz. Dieses Wetterleuchten erhellt eine auseinanderfallende Welt. Ein Sprung geht durch Romakos Gemälde, in denen er Alptraum und Idylle, Allegorie und Realismus, Bizarres und Tragisches noch einmal in eins, in ein Bild, zusammenfassen wollte.

EIGENARTIG UND SELTSAM ist das Erlebnis des Südens, das uns einige Bilder der Zeitgenossen Romakos geben. Da unterscheidet sich auf den ersten Blick eine Landschaft in den Alpen kaum von der Rivieraküste; vielleicht nur, daß diese mehr braune Erde und Sonne hat als jene. Doch dann verwundert uns die Synthese, die das Wissen von der Antike und die eigene romantische Grundstimmung hier gefunden haben und der Versuch, die mediterrane Welt heimzuholen in den eigenen Bereich.

DAS ZWEITE STOCKWERK gehört der Kunst des 20. Jahrhunderts; was uns in dem vergangenen Jahrhundert nicht gelang, Anschluß zu finden an die große Welt der Malerei, hier scheint es gelungen zu sein; Klimt, Schiele, Kolig, Thöny von den Toten und vielleicht Kokoschka, Kubin, Boeckl und der Bildhauer Wotruba von den Lebenden haben einen wesentlichen Beitrag zur Kunst der Gegenwart geliefert und ihr Gesicht mitbestimmt. In die Galerie des 20. Jahrhunderts tritt man durch ein kleines Vorzimmer, in dem neben anderen die Werke zweier heute an der Akademie der Bildenden Künste in Wien wirkenden Professoren gezeigt werden: von Albert Paris Gütersloh (geb. 18 87) und Josef Dobrowsky (geb. 1889). Insbesondere Gütersloh nimmt durch seine farblich unendlich detaillierten Bilder, die einen Gegenstand sezieren können, ohne seine Oberfläche zu verlassen und ver-zaubert-erstarrte Wirklichkeit bieten, einen eigenen Platz in der österreichischen Malerei ein. Ein eigener Saal gehört Gustav Klimt (1862 bis 1918), dem bedeutendsten österreichischen Maler der Jahrhundertwende. In seinen Werken ist der Himmel heruntergekommen und überall im Bild, in der Baumkrone ebenso wie in der Blumenwiese, ja er, der alles aus neuer Perspektive sah und sie aufhob, hat vielleicht kein Bild gemalt, in dem nicht auch Himmel wäre. Manches von ihm erscheint Uns heute nur Dekoration oder Jugendstil; aber vieles bleibt. Seine Sinn für das Dekorative, seine Liebe zu den Farben Grün und Gold und seine zunächst zeichnerische Begabung, der das Malerische erst nachfolgt, bestimmen die Konturen seines Werkes und beeinflussen seine Schüler: Egon Schiele (1890 bis 1918), dem nur ein Jahrzehnt an Arbeit gegönnt war, und Oskar Kokoschka (geb. 1886), der heute von allen hier gezeigten Künstlern die größte Weltgeltung besitzt. Schiele war, wie alle Frühvollendeten, wach und sensibel. Die Gesichter, die er malte und zeichnete, sind aufgestört und erschrocken; viel ist über sie hinweggegangen. Aengstlich pressen sich seine Gestalten aneinander; das ist ihre Art von Liebe. Die Fassaden sind brüchig geworden; Dunkles droht; die Fensterwand eines Miethauses kann nicht länger verbergen, was sich zusammenballt und aufzubrechen droht wie eine Eiterbeule. Kokoschka ist dann einen Schritt weitergegangen; er hat die Oberfläche aufgerissen und Inneres — oft noch warm vom Herzblut — nach außen gekehrt. Er hat in der moralischen Landschaft des Gesichts den „mit dem Geigerzähler meßbaren Seelenzerfall“ sichtbar gemacht. Er ist ein letzter barocker Maler, der Konflikte noch in der Form von Handlung darstellen kann; und er ist neben Max Beckmann einer der großen kämpferischen Maler unseres Jahrhunderts. Von Kokoschka hängen nur sechs Bilder (darunter das „Stilleben mit Hammel“) in der Galerie; insbesondere Wilhelm Thöny, der nur mit zwei Werken (die aber beide die vollendete schwebende Leichtigkeit seiner späten Jahre haben), und Werner Berg, der nur mit einem Bildnis der Dichterin Christine Lavant vertreten ist, scheinen vernachlässigt.

DIE NÄCHSTEN SÄLE sind Anton Kolig (1886 bis 1950), dessen Schwager und Freund Franz Wiegele (1887 bis 1944) und Anton Faistauer (1887 bis 1930) gewidmet. Kolig, vielleicht der plastischste Maler unseres Jahrhunderts, hat auf dem Gebiet des jugendlichen männlichen Aktes das geleistet, was Kokoschka für das Porträt getan hat; seine menschlichen Körper sind von einem physischen Dasein besessen, das ihnen eine Vitalität gibt, die sie dauern lassen wird. — Der letzte Saal gehört Herbert Boeckl (geb. 1894). Boeckl hat mehrere Metamorphosen durchgemacht; seine letzte wird bestimmt durch die nach einer Spanienreise entstandenen Seckauer Fresken. Er ist eine sinnenhafte, vulkanische Natur; man darf gespannt sein, was noch alles aus ihm hervorbrechen wird.

AUFFÄLLIG, MIT DREI GROSSEN WANDBILDERN, ist der klobige Albin Egger-Lienz (1868 bis 1926) vertreten; indes Rudolf Wacker (1893 bis 1939) mit seinen schön stilisierten „Zwei Köpfen“ und Maximilian Oppenheimer das Schicksal Thönys und Bergs teilen und ein wenig übergangen erscheinen. Man hätte dafür bei der Neuhängung noch radikaler vorgehen sollen und eine Reihe von Namen, die auch jetzt noch ungebührlichen Platz beanspruchen, streichen sollen.

HOFRAT UNIV.-PROF. DR. GARZAROLLI-THURNLACKH ist der Oesterreichischen Galerie ein treuer Walter und Mehrer; sie ist bei ihm in guten Händen. Seine These, daß die österreichische Malerei des letzten Jahrhunderts gesondert ausgestellt werden müsse, da sie sonst zu sehr im Schatten der großen Franzosen stehe, hat viel für sich. Der Direktor des Zürcher Kunsthauses trägt sich mit dem Gedanken, nach dem Wiener Beispiel in Zürich vielleicht eine ähnliche Galerie für die Schweiz zu verwirklichen.

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