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Zeitloses Theater

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Das Mysteriumspiel ist über das rein Schauspielerische hinaus ein rein ethischer Wert, ein positiver Erziehungsfaktor, der überdies schon aus allein künstlerischen Belangen auch von jenen gerne geschaut wird, die sich ansonsten kultisdien Handlungen entziehen. Gerade in diesem Rahmen aber wandelt sich die Bühne zur Kanzel und zum Altar. Das Mysteriumspiel wird zum unschätzbar hohen erzieherischen Wert. Je trostloser in geistiger Beziehung eine Zeit aber ist — oder war —, um so höher ist der Wert des Spiels in oder nach ihr — und um so größer ist die Menge, die dem Spiele folgt. Und wenn nicht mehr geschieht, als daß der Indifferente oder vielleicht gar Gegner dieses tragenden Gedankens sich zum Nachdenken veranlaßt fühlt, so ist schon viel geschehen.

Nachhaltiger ist Wirkung und Eindruck aber dann, wenn die Vorführung solcher Mysterienspiele in einem eigenen, planmäßigen Rahmen vonstatten gehen und aus den Händen der profanen Kunst in den schützenden Schoß jener gelegt wird„ deren erzieherische Aufgabe auf eben dieser Ebene liegt: also der Kirche selbst. Beispielhaft dafür ist nachgerade die Arbeit, die auf diesem Gebiet der Grazer Dominikanerpater Professor Johannes Amandus mit seiner nach ihm benannten Gilde in der steirischen Landeshauptstadt leistete. Freilich ist die an sich hohe künstlerische Leistnng und deren Wirkung durch die gegebene örtlichkeit um ein recht wesentliches Moment erhöht: Die Krypta eines gotischen Domes — der Herz-Jesu-Kirche — ist das stabile Forum und der ausdrucksvolle Rahmen dieser wertvollen geistigen Auseinandersetzungen, die in ihrem inneren Ablauf nichts anderes sind als die heilige Messe im Gewände des täglichen Seins.

Aus der großen Anzahl der Spiele der vergangenen Spielzeit ragt besonders eines hervor, das deshalb von so hohem Werte ist, als es die erlebte Wandlung des Dichters selbst zu seinem geistigen Mittelpunkt hat: Des Franzosen Paul Louis Charles Claudels „Verkündigun g“.

Sein Werk wird verständlicher, wenn man sich — zumindest in kurzen Umrissen — mit seiner seltsamen Lebensbahn vertraut macht. Zu Villeneuve-sur-Ferc en Tardenois. in Nähe der alten Königsstadt Reims, ist er am 6. August 1868 geboren. Schon als Vierzehnjähriger trifft er in Paris mit Andre Gide und Romain Rolland zusammen. Auch er orientiert sich schließlich nach der Weltanschauung der achtziger Jahre, die sich im Naturalismus und philosophischen Mechanismus gefällt. Renans Werk „Das Leben Jesu“ veranlaßt ihn schließlich, den christlichen Glauben z* verlassen.

Doch in seinem achtzehnten Lebensjahr fällt die große Entscheidung: von Rimbaud, dem er begegnet, wird sein Denken von der Erde auf die Ubernatur gelenkt, und am Weihnachtstag des Jahres 1886 nimmt er, der Abgefallene, am Hochamt und auch an der feierlichen Vesper zu Notre Dame teil. Er tritt endgültig die Rückkehr an. Der innere Kampf wird aber noch vier volle Jahre währen. Wieder am Weihnachtstage — genau vier Jahre später — kehrt er, der Konvertite Claudel, in den Schoß seiner Kirche zurück. Aristoteles, Pasqual, Dante und Baudelaire sind von nun ab seine geistigen Führer, er findet gerade über Baudelaire zu Thomas von Aquin und den Mystikern.

Im selben Lebensjahr beginnt seine Kon-sularlaufbahn, die ihn um den ganzen Erdball führen soll. Zuletzt ist er Frankreichs Gesandter in Tokio. 1912 ist sein Werk „Verkündigung“ nach dreimaliger Umgestaltung vollendet.

Der schwere seelische Kampf um das große innere Erleben — dieses faüstisdie Ringen um Gotteserkenntnis — ist die wahre, tiefinnere Wurzel seines Mysteriumspiels. Sein Weihnachtstag des Jahres 1900 ist damit gar nichts anderes als der dritte Akt seines

Da ist Peter von Ulm, der leprabehaftete Dombaumeister, der der Erlösung durdi den Geist aus tiefinnerster Überzeugung ob der Möglichkeit eines solchen Wunders harrt. In der Tat findet er in Violäne, der Braut des Jakobäus, das sich in aller Reinheit opfernde Weib. Sie ist das Gretchen — auch Kundry — denn: „Priester ist der Mann, allein dem Weib ist gewährt, sich zu opfer n.“

Sie küßt den Aussätzigen, erfüllt vom Denken ihrer Zeit, ihm damit die Heilung zu bringen. Ihre Tat erwächst ihrem unerschütterlichen Glauben und der christlich-menschlichen Pflicht, zu helfen, nicht ohne allerdings selbst wieder an ihre eigene Erlösung durch Jakobäus zu glauben.

Das Wunder vollzieht sich an Peter von Ulm: er findet Heilung, d0(h Jakobäus seinerseits verkennt und profaniert den Kuß und unterlegtdhm menschliches Begehren. So nimmt Violäne das Kreuz ewiger Verbannung auf sich und stirbt in der Einsamkeit, wie Gretchen starb. Hier wie dort Auso/uck menschlicher Christenheittragödie. Jakobäus aber findet Mara — Violänens Schwester. Sie folgt zu gerne dem inneren, ungeklärten und ihr selber nicht verständlichen Trieb mephistophelischen Denkens. Für sie ist Violänens Leid ein Fingerzeig Gottes, daß ihr Streben nach Jakobäus von oben Billigung erfahren hat. Was sie will, ist nichts als leben — nur leben, und erst viel zu späl erkennt sie ihre eigene große Geistesschuld, In diesen Wirbel von Gefühlen, Gedanker und Hoffnungen drängt sie die Mutter, die in ihrer biederen Einfachheit gar nicht mehi als nur Gattin und Mutter sein will. Sie weif zu gut, daß sie dieser gewaltigen Aufgabe Schlichterin und Prüferin zu sein, gar nichi seelisch gewachsen ist. Das ruhige, zielbestimmte Wort des Vaters von der einen Maras aufgespeicherter Wortschwall — dei nicht minder überzeugen soll — von dei anderen Seite auf sie einhämmernd, läßt si endlich resignieren. Die Resignation steigen sich zur seelischen Apathie, als auch ihi treuer Lebensgefährte sie verläßt.

Andreas Gradherz ist im Spiel die Verkörperung des bedingungslosen christlicher Gemeinscnaftsgedankens, der aus inner Rechtschaffenheit und aus einem innerer Gerechtigkeitsgefühl heraus opferbereit is' und dies freiwillig tut, wiewohl rein äußerlich nicht der geringste Anlaß hiezu besteht Aber schon das Gefühl, selbst im Wohl geordneten zu leben, wohingegen rund un ihn sich Not und Elend häufen, bewegt ihr aus freien Stücken, die Gefahren einei jerusalemitisdien Pilgerfahrt auf sich zi nehmen. Dadurch aber wird Jakobäus Hen am Hof und Erbe des Inbegriffs wohlabge wogener bürgerlidier Ordnung.

Einmal noch hört man von Peter vor Ulm und seinem erfolgreichen Weg. Seit Gehilfe spricht und erzählt von ihm unc erfüllt damit die Aufgabe, einen Lebenslau zu skizzieren, der so vollendet nur danr durch das Wort begreifbar wird, wenn Lieb zum Herrn und blinde 'Dienertreue di

Innerlichkeit lenkt. So ist der Gehilfe des Dombaumeisters kein anderer als der seinem Meister auf Treu und Glauben folgende Baccalaureus — der wahrhaftige Famulus Wagner. N

Im Schulzen von Rothenstein endlich spricht der Staat, der damals christliche Staat, der aus den sittlichen Erfahrungen der Hochblüte christlichen Denkens erwachsen sollte.

Vater Andreas Gradherz kommt wieder und begreift den Tod seiner Frau, wie endlich auch Mara ihr Leid aus ihrer eigenen Schuld heraus versteht. Im tiefsten Leid hingegen wächst Violänens Seele zu übermenschlicher, dulderhafter Größe. Das Wunder, das ihr Gott zu wirken gewährt, ist ihr hinlänglich Beweis, daß ihr Leiden und Ringen nicht sinnlos war.

So löst sich das Spiel im schimmernden Lichte der Erkenntnis.

In der Summe aller Eindrücke ist es ein Erlebnis, das in seiner Geschlossenheit nur jenem sich offenbart, der auch hieher mitbringt, was Grundvoraussetzung allen Ver-Stehens ist, die unbedingte innere Bereitschaft. •

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