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Zeitnah, aber unbekannt

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Auf dem einstigen Boden der Koml-tate Eisenstadt und ödenburg, für deren rechtmäßige Herausgäbe der letzte Babenberger, Herzog Friedrich II., dem schon der junge Grill-parzer ein Drama widmen wollte, in der Schlacht an der Leitha im Jahre 1246 gegen Bela IV. von Ungarn Herzoghut und Leben verlor, auf jenem vom Blut zahlloser Völker getränkten Boden des jüngsten Bundeslandes der kleingewordenen Republik Österreich, ist im Laufe des vergangenen Jahrzehnts dank der Initiative des Wahlösterreichers Intendant Professor Herbert Alsen und mit der Unterstützung des Bundeslandes Buigenland und des Bundesministe-riums für Unterricht so etwas wie ein österreichisches „Bayreuth“ für Franz Griüparzer auf der Burg Forchtenstein entstanden. Als Pawlatsohentheater im Burggraben, auf dem Otto Ambros vor zehn Jahren die „Ahnfrau“ inszenierte, begann es. Heute ist die unter Alsens Leitung ausgebaute Burgbühne — nach dem Zeugnis Leopold Lindt-bergs — „eine der schönsten und theatergemäßesten Anlagen unter freiem Himmel“, auf der die hervorragende Jubiläumsaufführung der großen österrdchischen Staatstragödie „Ein Bruderzwist in Habsburg“, von Leopold Lindtberg und seinen Schauspielern hervorragend dargeboten, unter nächtlichem Himmel die Zuschauer ergreift. Parallel zu den Grillparzer-Inszenen — man hat bis auf die „Sappho“, die im nächsten Jahre zu sehen sein wird, alle Grillparzer-Stücke aufgeführt — entwickelte sich eine Einrichtung, die der Zusammenarbeit von Literatur- und Theaterwissenschaft, Theaterpraxis und Kritik für das Werk Franz Grillpar-zers dienen soll: das Grillparzer-Forum, das unter der kundigen und umsichtigen Leitung von Universitätsprofessor Dr. Heinz Kindermann steht. So unglaublich es klingen mag, so galt es doch, einen für das breite Publikumsbewußtsein fast Verschollenen wieder lebendig zu machen. Es galt einen Dichter, dessen Bedeutung lange umstritten war und der uns als „zerrissene und gefährdete Existenz heute näher ist, als er es je seinen Zeitgenossen war“ (Moschner) aus der bloßen „Klassizität“ zu erlösen, für unsere Zeit neu zu entdecken und der Bühne und den Massenmedien unseres Zeitalters wiederzugewinnen.

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Soeben ist die achte Grilparzer-Tagunig auf Burg Forchtenstein, die Vertreter von elf Nationen versammelte, zu Ende gegangen. Waren die ersten drei Tagungen von 1962 bis 1965 der reinen Diskussion und Aussprache zwischen den Teilnehmern gewidmet, so traten seit 1965 neben die praktischen Theaterfragen mehr und mehr die wissenschaftlichen Referate der Grillparzer-Forscher aus aller Welt. Auch die letzte Tagung im Juni 1969 stand mehr im Zeichen der Wissenschaft als der Theaterpraxis: Die namhaften Grillpairzer-Forscher Gerhart Baumann aus Freiburg und Heinz Politzer — dessen Referat ebenso verlesen werden mußte wie das von Richard Thieber-ger aus Nizza — gehören ja schon seit Jahren zu den wissenschaftlichen Säulen des Grillparzer-Tem-pels, der da in Forchtenstein errichtet wird. Baumann sprach über das neuere Drama und entwickelte — von Grillparzer ausgehend — die äußerst fesselnde Dialektik vom Theater des Wortes und dem pantomimischen Theater des Schwedgens, das die Bühne der Gegenwart mehr und mehr beherrscht. An seinem Referat entzündete sich eine sehr lebhafte Diskussion der Theaterleute, in der bald mehr von Peter Handke, Konrad Beyer und Wolfgang Bauer die Rede war als von Grillparzer selbst. Und doch war diese Entwicklung legitim, begann doch schon im Drama Grillparzers der Ich-Verlust des modernen Menschen, von dem

heute allenthalben die Wort- und Bildikunst zeugt und jenes Zugehen auf die Phase des totalen Schweigens, die schon Hermann Broch heraufkommen sah. Die Linie, die von Grillparzers Skepsis zu Wittgenstein und Handke führt, ist nicht zu übersehen oder zu verkennen. Der Freiiburger Philosoph Universitätsprofessor Dr. Eugen Fink sprach über den „Bruderzwist im Grund der Dinge“ und Grillparzer

hätte sich sehr gewundert, daß seine rragödie des Hauses Habsburg mit Hegeischen Kategorien gedeutet wurde. Die reinen Theaterleute dürften den Ausführungen Finks recht hilflos gegenübergestanden sein. Ontologische und logische Interpretationen sind auch kaum ins Theatralische zu übersetzen! Heinz Politzers zauberhafte Studie über Grillparzers Gedicht „Cherubin“ zeigte ihn auf der Höhe seiner tiefenpsychologischen Deutungskunst. Thiebergers Referat berichtete über „Erfahrungen mit dem Bruderzwist bei französischen Studenten“. — Die Referate von Professor Dr. Alois Hofmann aus Prag („Rudolf II. im

Urteil seiner Zeitgenossen“), Doktor Leo Tönz und Dr. Franz Forster aus Wien („Grillparzers .Blanka von Kastilien' und Schillers ,Don Carlos' “ und „Grillparzers Staatslehre“) berichteten über jüngste Forschungsergebnisse zu Spezialtiiemen der Grillparzer-Forschung. Für die Theaterpraktiker war das Referat des Kasseler Generalintendanten Dr. Hermann Schaffner: „Regie und Wissenschaft — Paraphrasen über

ein natürliches Spannungsfeld“ und die Diskussion mit Professor Leopold Lindtberg über seine „Bruder-zwist“-Inszene am ertragreichsten. Das Thema „Grillparzer im Ausland“ wurde wie alljährlich in Kurzreferaten der ausländischen Teilnehmer behandelt und zeigte die Fortschritte und Rückschläge unseres Kampfes um die Weltgeltung des Dichters. Zu diesem Thema erschien auch gerade rechtzeitig das Buch des amerikanischen Grillparzer-Überset-zers Arthur Burkhard „Grillparzer im Ausland“. Der Autor wurde heuer mit dem Ehrenzeichen -der burgen-ländischen Landesregierung ausgezeichnet. Der Grillparzer-Ring,

den bisher Leopold Lindtberg, Doktor Gerhard F. Hering, Ewald Baiser, Attila Hörbiger, Herbert Alsen, Heidemarie Hatheyer, Heinz Dietrich Kenter, Stefan Hlawa erhielten, wurde in diesem Jahr vom Bundesminister für Unterricht an Universitätsprofessor Dr. Gerhart Baumann und Gustav Manker verliehen. Das Protokoll der Forchtensteiner Tagungen, redigiert von Dr. Elisabeth Schmitz-Mayr-Harting, das bisher im Bundesverlag erschien, erscheint diesmal zum erstenmal in dem Heidelberger Verlag Lothar Stiehms. Ein österreichisches Dokument hat seine österreichische Heimstatt verloren. Möge es in Heidelberg desto kräftiger wachsen und gedeihen!

Die sehr lebhaften und kritischen Diskussionen zeigten, daß das „Forum“ an einem Wendepunkt seiner Entwicklung angelangt ist. Das Überwiegen des Akademischen wird von den Praktikern als Gefahr für

das Wechselgespräch zwischen Theorie und lebendigem Theater empfunden. Daher haben Dr. Wolfgang Kraus und Dr. Elisabeth Schmitz Reformvorschläge eingebracht, die einer Aktualisierung des Themas Grillparzer in Zukunft dienen sollen. Man will in Hinkunft auch Gegenwartsdramatiker zu den Gesprächen einladen und das Werk Grillparzers noch mehr mit der Dramaturgie unserer Zeit, in die es ja umgesetzt werden soll und muß, konfrontieren. Mögen die Anregungen auf fruchtbarem Boden weiterwirken und dem Werk Franz Grillparzers sowie seiner Wirkung in aller Welt dienlich sein!

ankündigten, veröffentlichte er seine Broschüre: „Das österreichische Problem — vom ethischen und staatspädagogischen Standpunkt“. Darin schreibt er: „Der österreichische Staat ist der Boden, auf dem zwei Probleme in vorbildlicher Weise gelöst werden können: größte Sicherung der nationalen Selbständigkeiten und zugleich Übung in nationaler Entselfostung, zielbewußte Einordnung der Nationalitäten in ein höheres organisches Prinzip.“

Im Jahre 1917 schien es für kurze Zeit, als gewänne die Friedenspartei in Österreich die Oberhand, und Kaiser Karl trug sich mit dem Gedanken eines Sonderfriedens. Foerster, inzwischen Ordinarius für Pädagogik in München, kam ein zweites Mal nach Wien, um an der Seite Lammaschs an den vorbereitenden Gesprächen teilzunehmen. Auch diesem Unternehmen blieb der Erfolg versagt. Im Gegenteil: Foerster wurde in München des Verrats an der deutschen Nation bezichtigt und schweren Anfeindungen ausgesetzt.

Drei Gefahren sah Foerster Im Deutschland der zwanziger Jahre heraufziehen: den Nationalismus, den revanchistischen Militarismus und den revolutionären Sozialismus. Gegen diese Gefahren vor allem richtete er seinen Kampf in Wort und Schrift. Freilich sah er das drohende Unheil allzufrüh, als daß ihm damals jemand geglaubt hätte.. Auch Leute wie Gustav Stresemann, die sein Urteil geschätzt hatten, wandten sich von ihm ab. Schon nach Rathenaus Ermordung hatte Foerster Deutschland verlassen müssen. Damit begann für den damals Vier-undfünfzigjährigen ein Herumirren in der Welt. Vorerst ging er in die Schweiz, später nach Paris. Als er sich, von Hitler-Deutschland geächtet, auf der Flucht vor den deutschen Truppen abermals an die Schweiz um Hilfe wandte, wurde ihm die Einreise verwehrt. Im letzten Augenblick glückte durch Portugals Staatschef Salazar seine Rettung. Von Lissabon aus reiste Foerster über Südamerika in die USA, die ihm Asyl, nicht aber eine Heimat gewähren konnten. Erst spät gelang es seinen Freunden, ihn nach Europa zurückzuholen. Die letzten Lebensjahre verbrachte Foerster in Zürich, wo er am 10. Jähner 1966 starb.

Drei Bereichen hat Foerster vornehmlich seine Arbeit gewidmet, der Ethik, der Politik und der Sozialpädagogik. Schon in England hatte er einen wesentlichen Gedanken seines gesamten Werkes gefaßt: Partnerschaft, Toleranz, Demokratie können nur dann die Grundlage des modernen Lebens bilden, wenn sie als Haltung in jedem einzelnen Menschen lebendig werden. Zu ihrer Begründung suchte er nach dem Fluchtpunkt einer unveränderlichen Wahrheit, von der aus alle Äußerungen menschlichen Lebens ihren Sinn erhalten. Immer mehr nähert er sich dabei der katholischen Kirche, ohne aber den Beitritt zu vollziehen. Dennoch steht hinter allen Werken seiner Reifejahre die gläubige Anerkennung der christlichen Offenbarung.

Foerster war einer der ersten, die auf die Gefahren des modernen Industriezeitalters hinwiesen. Geschäftigkeit und Betriebsamkeit nehmen den Menschen so in Besitz, daß er nicht mehr die Muße findet, sein Leben zu bedenken und damit die Freiheit seiner Gestaltung zu gewinnen. Der Mensch gerät in Gefahr, sich von einem materialistischen Begriff des Fortschritts in eine Bahn zwingen zu lassen, ohne daß er deren Sinn und Ziel anzugeben vermöchte. Zwar wird es noch einige Zeit dauern, bis wir eine kritische Gesamtausgabe seines Werkes erwarten dürfen. Doch auch die reiche, bereits vorliegende Auswahl bietet Gelegenheit, sich mit den Gedanken eines Mannes auseinanderzusetzen, der sich in Wort und Tat das Andenken eines aufrechten Menschen verdient hat.

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