Zufällig ein Meister?

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Große Daniel Spoerri-Werkschau im Kunsthaus Wien: Objektbilder zum Innehalten.

Wie ein Nomade zieht Daniel Spoerri durch die Welt und hinterlässt dort und da seine Objektbilder wie urtümliche Stelen, die Grenzen markieren, heilige Bezirke anzeigen oder bloß zum Innehalten auf den alltäglichen Trampelpfaden anregen. Einerseits sind simple Objekte magisch aufgeladen und wirken wie in entfernte Sphären entrückt, andererseits wird die Vortäuschung von Großartigkeit und Überzeitlichkeit, wie dies die klassische Malerei auszeichnet, wieder in die Schmuddeligkeit eines Pariser Flohmarktes, auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Das Nomadentum begann für Spoerri im Alter von zwölf Jahren. In Galati in Rumänien am 27. März 1930 als Daniel Isaak Feinstein geboren, rettete auch die Konversion des Vaters und dessen Missionsarbeit für die Norwegische Mission für Israel, eine evangelisch-lutheranische Gemeinschaft, nicht vor der Verfolgung durch die Nazis. Die Mutter flüchtete mit den sechs Kindern in ihre Schweizer Heimat, fortan lebten sie unter ihrem Mädchennamen Spoerri weiter. Diese Urerfahrung des Zwölfjährigen hielt an, ständig ist er zwischen den großen Städten und Refugien am Lande unterwegs, zieht sich monatelang auf eine griechische Insel zurück, um sich hinterher umso tatkräftiger im urbanen Kunstbetrieb bemerkbar zu machen. Er beginnt seine Karriere als Solotänzer am Berner Stadttheater, wendet sich der Literatur zu und gibt eine der konkreten Poesie gewidmete Zeitschrift heraus, um schließlich bei der bildenden Kunst zu landen.

Ent-Täuschungsbilder

Er überträgt nun seine Arbeit als Tänzer und Regisseur und wird ab 1960 zu jemandem, der "Objekte in Szene setzt", wie er es ausdrückt. In Weiterführung der Vorarbeiten von Marcel Duchamp, den amerikanischen Pop-Artisten und in Kooperation mit den Unterzeichnern des "nouveau réalisme" rund um Pierre Restany entstehen seine ersten "Fallenbilder". Spoerri, der als Meister der Kochkunst auftritt, lädt sich Gäste zum Essen ein. Die Relikte dieses happening-ähnlichen Geschehens werden von Spoerri sorgsamst dokumentiert, indem alle Reste der Zusammenkunft auf der Tischplatte in genau der vorgefundenen Position fixiert werden - vom Teller über den Zigarettenstummel bis zum Brotkrümel. Spoerri schreibt dazu: "Das Fallenbild als Ausschnitt, als ausgestellter, hochgehobener, um 90 Grad gedrehter Ausschnitt einer fixierten, für immer festgehaltenen Bewegung, auf einem Territorium und sei es auch nur ein Quadratmeter und nur ein Minitheaterstück, dessen Handlung Frühstück oder Abendessen heißt, war mein Beitrag zum Nouveau Réalisme' vor nunmehr über dreißig Jahren. Der Zuschauer und Mitspieler dieses ständig wiederholten Überlebensstücks bist du und ich. Wir alle sitzen am selben Tisch." Diese Fallenbilder der "eat-art" sind jener Teil im breiten Oeuvre von Spoerri, der am meisten zu seiner Bekanntheit beigetragen hat.

Daneben lässt Spoerri aus verschiedenen vorgefundenen Abbildungen, die dreidimensionale Gebilde als trompe-l'oeils zweidimensional täuschend ähnlich zeigen, Objekte wieder in den Raum herauswachsen. Im Sinne eines neu gefundenen Realismus nennt er dies "Détrompe-l'oeils", Ent-Täuschungsbilder. In der Serie mit dem Titel "Morduntersuchungen" nimmt er sich kriminalistisches Anschauungsmaterial aus einem amerikanischen Handbuch für Polizisten vor. "Durch die dramatisch-schockierenden Situationen, die dargestellt werden, wird praktisch jeder Gegenstand, der mit dem Abgebildeten in Beziehung gebracht wird, zum Corpus delicti. Damit erscheint ein banaler Gegenstand hochbrisant und gefährlich", erklärt Spoerri. Im "Anatomischen Kabinett" verwendet Spoerri anatomische Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert als Grundlage für seine Objektbilder. Auf diesen Zeichnungen montierte Spoerri allerlei zumeist bedrohlich Gegenstände. Aus der ganzen Serie sticht "Le garage de l'écorché" besonders hervor, aus der Querschnittszeichnung eines menschlichen Kopfes und Oberkörpers ragen Schrauben mit daran angesetzten Schraubenschlüsseln hervor, simplifizierende Bilder des Menschen als Maschine werden bildnerisch ad absurdum geführt.

In eine ähnliche Kerbe schlagen die Arbeiten aus dem "Karneval der Tiere", bei dem Spoerri auf Zeichnungen des Hofmalers Ludwigs XIV., Charles Le Brun, zurückgreift, der in einer umfangreichen Serie menschliche Abbildungen mit solchen von Tieren verglichen hat. Spoerri reiht sich damit in die weiterführende Linie dieser (piktografischen) Untersuchungen ein, die über Johann Caspar Lavater und Charles Darwin läuft. Seine räumlichen Ergänzungen durch tierische Nippgegenstände konterkarieren dabei die Reduzierung auf das "Tier in uns", wenn er entweder tatsächlich gezähmt-liebliche Tiere zeigt oder unseren mehr oder minder grausamen Umgang mit Tieren, der diese ausschließlich zu Nutz-Tieren degradiert.

Täuschungskunst

Seit Mitte der neunziger Jahre erfüllt sich Spoerri in Seggiano den Traum eines eigenen Skulpturengartens, aus dem die Gruppe "Mir raucht der Kopf" zu sehen ist. Dort herrscht nun wieder die gute alte Bronzeskulptur vor, im Hin und Her zwischen Täuschung und Ent-Täuschung ist Spoerri wieder bei der Täuschungskunst angelangt. So findet sich in Seggiano auch die "Chambre No 13", jenes Hotelzimmer, in dem Spoerri von Herbst 1959 bis 1965 die entscheidenden Schritte seiner bildkünstlerischen Existenz unternommen hat, als Bronzeabguss. Die Haltbarkeit der "natürlichen" Objekte scheint nicht mehr auszureichen, das Lebensalter verlangt nach Dauer, nach Ewigkeit - und sei es nur in der Täuschung aus Bronze.

Meister des Zufalls

Spoerri überzeugt mit seinen Werken aus jeder Schaffensperiode. Nur eines glaubt man ihm nicht, dass hier der Zufall regiert. Allenthalben trifft man auf die Meisterschaft eines hochtrainierten Vielarbeiters. Spoerri ist beileibe nicht zufällig ein Meister. Wenn schon dieses verfängliche Wort zufällig in die Überschrift rutschen muss, dann gilt genau das Gegenteil: Spoerri ist ein überzeugender Meister des Zufalls.

Daniel Spoerri

Der Zufall als Meister

Kunsthaus Wien, Weißgerberstrasse 13

Bis 1. Juni, tägl. 10.00-19.00 Uhr

www.kunsthauswien.at

Daniel Spoerri. Werke 1960-2001 Hg. von Thomas Levy, Bielefeld 2001

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