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Zum Gedanken des Freilichtmuseums

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Immer wieder steht die materielle Not der geistig Schaffenden auf der Tagesordnung. Den erbittertsten Existenzkampf haben vielleicht die Bildhauer auszufechten, denen nur wenige Aufträge und dann meist nur Restaurierungen winken; . sie halten sich oft nur durch kunstgewerbliche Kleinplastiken über Wasser. Der rein zweckmäßige Ingenieurbau, der die Architektur verdrängte, baut nicht mehr plastisch, sondern mit Massen und bedarf, sollen diese Massen im freien Raum zur Wiricung gelangen, der glätten, schmucklosen Flächen. Kirche und Adel sind als Auftraggeber ausgeschieden, Staat, Gemeinden und bürgerliche Mäzene verarmt. Die geistigen Ursachen dieser Entwicklung aber möge man in dem erregenden Buch „Verlust der Mitte“ von Hans Sedlmayr nachlesen. Trotzdem können wir unsere angehenden Bildhauer mit dem Idealismus der Jugend um die fast aussichtslose Verwirklichung ihrer schöpferischen Ideen ringen sehen. E r- schreckend dagegen ist das Versiege das plastischen Gefühls selbst beim kunstinteressierte Publikum geworden. Von denkuns - erzieherischen Versuchen, dieses Gefühl wieder zu wecken, verdient die Planung von Freilichtmuseen besonders hervorgehoben zu werden. Diesen Weg beschritt die Wiener Sezession mit ihrer Gedächtnisscbau für Anton Hanak, In dieser Ausstellung ist eine Skizze von Josef Hoffmann für ein Freilichtmuseum im Prater zu sehen, bestimmt, das Lebenswerk Hanaks aufzunehmen. Aber ehe darauf näher .eingegangen werden soll„ sei zunächst der Gedanke des Freilichtmuseums entwickelt.

Das Freilichtmuseum, das naturgemäß nur für Architekturen und für witterungsbeständige Plastiken in Frage kommt, entwickelte sich aus dem Museum und in Verbindung mit dem Ausstellungsgedanken (gipfelnd in den Weltausteilungen), aber vielleicht auch im Zusammenhang mit der Erinnerung an die plastisch geschmückten Parks des 18. Jahrhunderts (Versailles). Für die Architektur muß als vorbildlich das Freilichtmuseum auf der Halbinsel Bygdöy bei Oslo genannt werden, das Bauerngehöfte zu einem riesigen Volksfcundemoseum der norwegischen Siedlungskunst, hauptsächlich des 18. und frohen 19. Jahrhunderts, zusammentrug. Freilicht- museeen für Plastiken sind in bescheidenem Umfang bereits in den Höfen und Gartenanlagen der Museumsgebäude festzustellen. Was die Vigeland-An 1 age im Frognerpark zu Oslo betrifft, die ebenfalls oft als Freilicht-, beziehungsweise Freiluftmuseum angesehen wird, so handelt es sich hier um den Versuch eines modernen Gesamtkunstwerkeis unter dem Primat der Plastik; allerdings einer Plastik, die streng tektonisch und daher auch fähig ist, die architektonische Gesamtplanung zu tragen Um die Verwirklichungseines künstlerischen Lebenswerkes, das früh zur Zyklenbildung strebte, zu sichern, hatte Gustav Vigeland (1869—1943), der in der norwegischen Plastik etwa den gleichen Rang einnimmt wie sein Zeitgenosse Edvard Munch für die Malerei dieses Landes, sein gesamtes Oeuvre der Stadt Oslo vermacht. Die Frogneranlage faßt gegen 200 Plastiken zusammen: eine Steinbrücke mit 50 Bronzefiguren und vier modern gestalteten Obelisken, eine Brunmenanlage mit einer von sechs überlebensgroßen Männern getragenen Bronzeschale, 20 Rundplastiken und 60 Reliefs in Bronze, eine Rundstiege mit 36 Granitskulpturen und als künstlerisches Zentrum einen gigantischen Monolith von 121 über- einandergetürmten toten Menschenleibern, aus einem einzigen Granitblock von 2,50 m Basisdurchmesser und fast 17 m Höhe gehauen; das wohl neben den ägyptischen Pyramiden großartigste Mahnmal des Todes. Diese gesamte Anlage weist also wahrhaft „amerikanische“ Ausmaße auf.

Es darf nicht verschwiegen werden, daß unsere Bildhauer nicht weniger eindrucksvolle plastische Gesamtkunstwerke planten, es sei nur auf Hanaks Monument der Musik und auf Karl Stemolakis Entwurf eines Arbeiterdenkmals hingewiesen, aber sie hatten nicht das Glück, ihre Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Gründe dafür auseinanderzusetzen, würde über den Rahmen dieser Zeilen hinausführen. Aber auch ein plastisches Freilichtmuseum in den Ausmaßen der Vigeland-Anlage käme, schon wegen der zu großen Kosten, für Österreich nicht in Frage. Josef Hoffmanns Planung eines Hanak- Museums dagegen hält sich in so weisen Grenzen, daß es wohl die Beachtung der zuständigen Stellen verdiente. Das Volk, das erholungsuchend in den Prater strömt, würde, angelockt durch eine bescheidene Architektur (und hoffentlich durch Sperren und Eintrittsgeld nicht abgeschreckt!), gewissermaßen unbeabsichtigt mit den plastischen Gestaltungen eines unserer bedeutendsten modernen Bildhauer vertraut werden. Wer erinnert sich nicht gern des Plastikgartens der Modernen Galerie im Unteren Belvedere? Die weite Fläche des Praters bietet nicht nur die beste Gelegenheit für ein plastisches Freilichtmuseum, das einem einzigen Künstler gewidmet ist, sondern auch für eine Plastikanlage im Rahmen des so lange geplanten und nur langsam der Verwirklichung entgegenreifenden Österreichischen Museums. Dieses Plastikmuseum wäre ungleich billiger und daher auch früher in die Tat umzusetzen als ein mit Klimaanlage versehenes Museumsgebäude. Solllte es nicht schon aus diesen Gründen und um für jenes zu werben, auch früher in Angriff genommen werden?

Da das Volk längst nicht mehr zur Kunst finden will, hat man bereits praktisch damit begonnen, die Kunst dem Volk entgegenzubringen. Und dies kann nur auf den Straßen und Plätzen oder in den Gartenanlagen unserer Städte von Erfolg begleitet sein. Dort aber erwarten den Passanten keine Plastiken, die als Kunstwerke sein Glück und sein Leid ansprechen, sondern höchstens historische Monumente von Menschen, deren Name ihm in vielen Fällen nichts besagt. Wien ist so reich an Grünanlagen, daß es nicht schwer fallen dürfte, die plastische Kunst in alle Bezirke zu tragen; man denke nur etwa an die unaugenützten Möglichkeiten des Türkenschanzparkes. Dabei gilt es nicht nur, an unsere lebenden Bildhauer neue Aufträge zu vergeben, sondern überhaupt einmal die bereits vorhandenen Kunstwerke, die in den Depots unserer Museen aus Platzmangel zu ersticken drohen, ins Freie zu stellen. Denn wem Kunst das ist, was sie sein soll: ein lebensnotwendiges Brot für die Seele und den Geist, das erhabenste Bildungsmittel für den Charakter unserer heranwachsenden Jugend, dem werden die von ringenden Künstlern geschaffenen Menschendarstellungen der Plastik lebendige Organismen sein, die der Luft und des Lichtes und nicht zuletzt des Publikums bedürfen, um lebendig unter uns zu wohnen. Vielleicht gewänne dann das Publikum wieder sein plastisches Gefühl zurück und fände nicht nur zu sensationellen Sportveranstaltungen und ins Kino, sondern auch wieder ins Museum, wo seiner noch so viele ungehobene Schätze warten. Die Veranstalter unserer Kunstausstellungen aber mögen, dem Beispiel der Sezession folgend, die Plastiken, die vielleicht reiner als die Malerei die Würde des Menschen in dieser würdelosen Zeit bewahrte, nicht in dunkle Winkel zusammendrängen, denn sie gehören hinaus ins Freie, wo sie atmen und gedeihen können. Alle diese Bemühungen zusammen aber sollen endlich wieder unseren zeitgenössischen Bildhauern jene Voraussetzungen schaffen, die sie zur Entwicklung und Erprobung ihrer künstlerischen Kräfte, ja letzten Endes zu ihrer materiellen Existenz benötigen.

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