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Zur Operneröffnung und zum Mozart-Jahr

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Di Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper und die bevorstehenden Feiern von Mozarts 200. Geburtstag haben eine Springflut von Publikationen ausgelöst: an den Tag Gebundenes und Wertbeständiges, wissenschaftlich Fundiertes und Feuilletonistisches. Die Zahl der Bücher und Broschüren gestattet nur einige kurze Hinweise, wobei wir uns vorbehalten, auf einzelne Werke später ausführlicher zurückzukommen, so zum Beispiel auf die im Amalthea-Verlag erschienene Mozart-Biographie von Erich Schenk u. a. .

Heinrich Kralik ist der Autor des stattlichen Leinenbandes „Das Opernhaus am Ring“ (Verlag Brüder Rosenbaum, Wien, 195 Seiten, Preis 188 S), das mit sehr verschiedenwertigen Illustrationen ausgestattet ist. Neben interessanten und wertvollen älteren enthält es im zweiten Teil eine Reihe von Graphiken, die man gern entbehrte. Die Form, die der bekannte und angesehene Autor für dieses Werk wählte, ist nicht die der Chronik, sondern die der Feuilletonsuite. Da die Geschichte der Wiener Oper vor allem eine Geschichte ihrer Leiter ist, nehmen den Hauptteil des Buches biographische Charakterskizzen — vor farbigem historischen und kulturgeschichtlichen Hintergrund — ein. Herbeck, Jauner, Jahn und Richter, Mahler, Weingartner, Gregor, Krauß und Karl Böhm sind die Namen, die jeweils auch eine bestimmte Aera der Wiener Operngeschichte bezeichnen. Kraliks Darstellung geleitet den Leser gefällig über Krieg und Nachkriegszeit bis an die Schwelle des freudigen Ereignisses, der festlichen Wiedereröffnung des Hauses am Ring, und präsentiert im zweiten Teil die neun Festwochenveranstaltungen: sieben Opern, einen Ballettabend und Beethovens IX. Symphonie.

Die von der Bundestheaterverwaltung herausgegebene Festschrift (Preis 20 S) „W i e n e r Staatsoperl955“ wurde ebenfalls von Heinrich Kralik redigiert. Der in der Oesterreichischen Staatsdruckerei hergestellte Band fällt äußerlich durch zweierlei auf: durch die Eleganz der modernen graphischen Gestaltung und durch einen überreichen Anzeigenteil. Inhaltlich bietet er multa non multum, obwohl einige Beiträge von wirklichem Interesse sind, so zum Beispiel das in einem Brief niedergelegte künstlerische Testament von Richard Strauss, die sehr persönlichen Opernerinnerungen von Rudolf Kaßner oder Frank Martins Vorbericht über seine neue Oper „Der Sturm“. Frank Thieß äußert sich mit der Allüre des Fachmannes sehr apodiktisch über neue Musik und die Oper der Gegenwart (er hat das vor kurzem schon einmal getan), wobei sich herausstellt, daß er einige Dinge, über die er spricht, nicht oder doch zu wenig kennt.

„Große Oper — große Sänger“ heißt ein bei Arthur Niggli und Willy Verkauf erschienenes Buch von Kurt B 1 a u k o p f (169 Seiten, Preis 65 S), aus dem man viel Neues und Interessantes erfährt. Auch Blaukopf plaudert, und er entschuldigt sich im Vorwort wegen des impressionistischen Charakters und seiner „unsachlichen“ Urteile. Aber wie man sieht, kommt es auf diese gar nicht sosehr an, sondern auf den klugen und klaren Kopf, der sie fällt, und auf die gute Feder, die sie fixiert. Keine Operngeschichte also, die mit „schon die Griechen“ beginnt, auch keine Aesthetik der Gattung Oper; von all dem freilich das Wissenswerteste und Amüsanteste. Außerdem aber: über Konventionen und Konzessionen, über den Bayreuther Stil, den zensurierten „Rosenkavalier“, über Chor, Ballett und Regisseure, über den Applaus und wie ihn manche Komponisten mitkomponiert haben, besonders interessant und fachlich gut fundiert: aus der Hexenküche der Akustiker, im Hinblick auf das ideale Opernhaus. Den kürzeren zweiten Teil des Buches bilden 28 flottgeschriebene Porträtskizzen berühmter Sänger und Primadonnen. Für den Schallplattenfreund gibt es am Schluß ein Verzeichnis der aufgenommenen Opernwerke.

Josef Friedrich Fuchs behandelt das Thema „D i e große Oper“ als Lyriker in einer Folge von Gedichten, in freien, reimlosen Rhythmen und Miniaturszenen (Amandus-Verlag, 88 Seiten, Preis 39 S). Der Dichter läßt den Saaldiener und die Kostüm-zeichnerin, einen toten Bariton oder den Komponisten sprechen. Aber sie reden gar nicht „Poesie“ (obwohl es natürlich auch viel Poetisches in dem schmalen Band gibt), sondern sie sprechen wie lebendige Menschen, und durch ihre nüchternen Reden Wird der Leser unaufhaltsam in den Bannkreis der unvernünftigsten aller Welten gezogen, die man „große Oper“ nennt.

„Di Geschichte einer Weltverzauberung“ heißt der Untertitel des Buches „Musik aus Wien“ von Alexander Witeschnik (Verlag Kurt Desch, München-Wien-Basel. 480 Seiten. Preis 98 S). Der Autor stellt sein Werk vor „als einen absolut ersten Versuch, das in tausend Einzelforschungen zersplitterte Ganze zusammenzufügen und vom Seelenhaften, das ist vom Landschaftlichen her, I durchbluten“. Die erste Neuauflage nach dem Kriege

wurde an dieser Stelle ausführlich besprochen. Wir merken zu der vorliegenden Ausgabe daher nur an, daß sie bis in die allerjüngste Gegenwart fortgeführt und mit einem sehr reichen Bildmaterial neu ausgestattet wurde. Kein Fachwerk, wie der Autor wiederholt betont, sondern „ein Buch für alle Leser, denen die Kunst, zumal die Tonkunst, heilige Geliebte ist“.

Soweit wir die Neuerscheinungen zum Mozart-Jahr überblicken, handelt es sich ausnahmslos um biographische Werke. Mozarts Persönlichkeit, in zahllosen Einzelheiten bekannt und erforscht, bleibt als Gesamterscheinung rätselhaft und undurchdringlich. Goethe, Schopenhauer, Wagner, Kierkegaard, Busoni, Debussy — wen hat nicht das „Mysterium Mozart“ beschäftigt? Da ist der Titel eines neuen Buches von Otto Schneider, „M o z a r t in Wirklichkeit“, ein faszinierender Blickfang — und eine große Versprechung (Verlag Paul Kalt-schmid, Wien, 400 Seiten, Preis 68 S). In dieser Kompilation von Briefstellen, Werkankündigungen, Kritiken, zeitgenössischen Zeugnissen, Familienbildern und Notenbeispielen steckt eine ungeheure Arbeit. All dies wurde, das sei anerkannt, mit Bienenfleiß zusammengetragen, aber — leider — falsch angeordnet, nämlich nicht chronologisch, also von der Geburt oder vom ersten öffentlichen Auftreten am 1. September 1761 bis zu Mozarts Tod, sondern nach den Tagen eines einzigen Kalenderjahres, so daß man also findet, was Mozart alles zum Beispiel a m 2 8. Mai machte bzw. was alles sich um ihn an diesem Datum ereignete. An der Spitze dieser Seit steht das wichtigste Datum (1787, Tod des Vaters), dann folgen der 28. Mai 1766, 1770 und 1789. Also ein Kalendarium, das sonst allerdings kaum zu etwas anderem zu gebrauchen ist. Unmöglich, darin etwas Bestimmtes zu finden. Schade, schade! Das Brauch-

barste an diesem merkwürdigen Buch ist die kurzgefaßte „Chronik“, Seite 11 bis 32.

Egon Komorzynski bezeugt im Vorwort zu seinem Mozart-Buch mit dem Untertitel „S e n d u n g und Schicksal“ (Verlag Kremayr & Scheriau, Wien, 399 Seiten, Preis 63 S), daß er sich ein Leben lang mit Mozart beschäftigt habe. Resultat ist diese gut geschriebene, an Details reiche Biographie, in der die Kapitel über die „Zauberflöte“, die Freimaurersphäre und das „Requiem“ von besonderem Gewicht sind. Die angegebene Mozart-Literatur ist lückenhaft und die fehlende Kenntnis neuester Einzelstudien mag den Verfasser da und dort zu kleinen Abweichungen und Polemiken bewogen haben. Von den zahlreichen Bildern sei ein Stich von Cassa aus dem lahre 1785 hervorgehoben, der einen Pyramidentempel darstellt, welcher als Vorlage für das Bühnenbild bei der Erstaufführung der Zauberflöte“ gedient hat.

Als Psycholog und Feuilletonist, gebildeter Literat und Europäer nähert sich Heinrich Eduard Jacob seinem neuesten Studienobjekt Mozart. Geist, Musik und Schicksal (Verlag Heinrich Scheffler, Frankfurt am Main, 460 Seiten, Preis 100.65 S). Jacob ist ein virtuoser Meister der Kunst, „mit holdem Irren hinzuschweifen“. Aber da er sein Ziel nicht aus dem Auge verliert, liest man auch jene Passagen gern, die nur indirekt und mittelbar auf Mozart Bezug haben. Intellektuell wird Mozart ein wenig zu stark belastet, es ist mehr „des Herren eigener Geist“, der zu uns spricht, und man müßte sich wochen-, ja monatelang mit dem Buch Jacobs befassen, um alle die literarischen und kulturhistorischen Apercus nachzuprüfen, mit denen es geschmückt ist.

Mit einer kleinen Schrift „Vom Mozart der Z a u b e r f 1 ö t e“, im S.-Fischer-Verlag erschienen, etwa im Umfang eines Vortragsmanuskripts (19 Seiten, Preis 39.45 S), kommt Bruno Walter dem Bedürfnis nach, sich auch einmal mit dem Wort zu dem Genius zu bekennen, dem als Musiker zu dienen er sein Leben hindurch bemüht gewesen ist. Auch ihm geht es um die Erhellung der menschlichen Person Mozarts, seiner „höheren Natur“. Diese spiegelt sich, nach Bruno Walters Meinung, ein einziges Mal und am vollkommensten in der „Zauberflöte“, in „wachsender Uebereinstimmung seines liebeerfüllten Herzens mit den freimaurerischen Lehren der Menschlichkeit und Brüderlichkeit“.

Zum Schluß noch ein schmales Bändchen, „W. A. Mozart. Briefe und Zeugnisse aus seinerZeit“, das Wilhelm I e r g e r im Alfred - Scherz - Verlag, Bern, herausgegeben hat (53 Seiten). Es enthält die wichtigsten und bekanntesten Dokumente, die in den oben besprochenen Biographien immer wieder zitiert und als Zeugnisse herangezogen wurden.

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