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Zwei neue Wiener Museen

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Der schöne barocke Hof des Alten Wiener Rathauses in der Wipplingerstraße und einige anschließende gewölbte Räume 'nahmen ein eigenartiges Museum auf, das dieser Tage sich der Öffentlichkeit erschloß: das Wiener „Bergemuseu m“. Unter diesem Namen werden sich wenige eine konkrete Vorstellung machen. Der Eintretende ist daher um so mehr erstaunt ob der Vielheit und Schönheit der Dinge, die sich vor seinen Blicken ausbreiten. Es sind Kunstgegenstände, die aus dem Schutt der alten Wiener Häuser nach den Kampfhandlungen in mühevoller Kleinarbeit „geborgen“ wurden. Von fachkundiger Hand sind die oft weit zerstreuten Teile dieser Kunstwerke gesammelt und wieder zusammengefügt worden. Da sind Stücke, die nur mehr einzelne ärmliche Fragmente darstellen, aber auch viele andere, die bereits wieder zusammengesetzt und gereinigt sind, Skulpturen, alte Bilder, funkelnde kristallene Luster, vergoldete Appliquen und Supraporten, prächtige schmiedeeiserne Gitter, gotische Glasfenster, alte bemalte Schützenscheiben wertvolle Manuskripte, alte Waffen und Geräte, Friese. Bauplastiken aus der Empire- und Biedermeierzeit von alten Wiener Häusern, Modelle von bedruckten Stoffmustern und vieles andere.

Der Zweck dieser außergewöhnlichen Sammlung ist ein dreifacher: zunächst die Schaustellung so viel alten Kulturgutes, das einst in Palästen und alten Bürgerhäusern der Öffentlichkeit verborgen war, ferner die Auffindung des rechtmäßigen Eigentümers — wie viele werden erfreut und dankbar sein, die schon verloren geglaubten Dinge in diesem Museum wiederzufinden! — vor allem aber ein propagandistischer:

Es ist ein stummer Aufruf an die Wiener Bevölkerung, tatkräftig mitzuwirken an der Bergung so vieler Schätze von unermeßlichem kulturellem und materiellem Wert, die jetzt noch in den großen Schuttmassen, die überall die Straßen und Häuserzeilen Wiens bedecken, verborgen schlummern.

Ein Aufruf, der Vernichtung nicht lethargisch zuzusehen, sondern zu retten, was noch zu retten ist!

Was bisher geschah, ist das Verdienst der „Bergeaktion“, die von der Magistratsabteilung 7 ins Leben gerufen wurde, ein Rettungskorps von Freiwilligen, die seit den ersten großen Fliegerangriffen bis heute uneigennützig mithelfen, Wiener Kulturgut aus der Zerstörung zu retten.

Diese Arbeit begann bereits im Dezember 1944 und umfaßt gegenwärtig 20 bis 25 Arbeitsgruppen in der Stärke von 3 bis 15 Mann. Sie besitzt auch „Alarmgruppen“, die, wie die Feuerwehr, mit Wagen und oft improvisierten und einfachen Hilfsmitteln auf Anruf ausrücken, wenn irgendwo in der Stadt, anläßlich der Aufräumungsarbeiten, wertvolle Gegenstände im Bauschutt sichtbar werden. Einzelnen dieser Gruppen ist es gelungen, Gegenstände von einmaligem Wert aus den Trümmern zu ziehen, zuweilen waren es nur Bruchstücke, die fachgemäß wieder zusammengesetzt wurden, oft auch wenig beschädigte Kunstwerke, zum Beispiel ein Stück aus einem gotischen Glasfenster aus der Stephanskirche, venezianische Appliquen aus dem Castiglioni-Palais, barocke Figuren aus der Salvatorkapelle, Reliefs von

der alten „Bärenmühle“, die Bekrönung der Dreifaltigkeitssäule vom Schwendermarkt, barocke Schnitz- und Metallarbeiten aus dem Hofmobiliendcpot, der Entwurf Tilg-ners zum Wiener Goethedenkmal, zahlreiche Partituren und Regiebücher, die aus den Trümmern der Staatsoper geborgen wurden; es befinden sich interesante Stücke darunter, wie die Originalpartitur der „Dickköpfe“ op. 17, von Dvorak, ein Regiebuch zu Verdis „Othello“ mit der polizeilichen Aufführungsgenehmigung vom Jahre 1893. Geborgen wurde auch eine große Anzahl von Waffen aus dem berühmten Fundus der Oper.

Es ist eine solche Fülle von Material, daß die vorhandenen Räume nicht ausreichen; es soll daher auch eine wechselnde Schau veranstaltet werden. Die Verluste, die Wien erlitten hat, sind groß und sdimerzlich, aber mehr als man hoffen konnte,

wird dem Verderben entrissen und beim Neuaufbau der Stadt in alter Herrlichkeit wieder erstehen.

* * *

Mit den Vorarbeiten zur Gründung eines „M useums österreichischer Kultur“ ist Univ.-Prof. Dr. August L o e h r vom Unterrichtsministerium beauftragt. Es soll kein „Museum“ im landläufigen Sinne werden, sondern ein S a m m-lungsinstitut als Stätte geistiger Arbeit. Es ist beabsichtigt, zunächst die geographischen, etnographischen und historischen Grundlagen nachzuweisen, die für Österreich typischen Einzelgebiete der materiellen und geistigen Kultur zu erläutern und das mit andern in Vergleich zu stellen, indem für Studienzwecke praktische Aufschlüsse und Darbietungen zu erreichen sind, die naturgemäß in den allgemeinen Sammlungen nicht immer gegeben werden können. So wurde bisher noch nie der Versuch unternommen, das große Gebiet der Wirtschaftsgeschichte in einer musealen Überschau auszuwerten. Es gibt zwar eine glänzende Folge von Sammlungen über Malerei und Plastik in Wien, aber es gibt keine zusammenhängende Sammlung etwa der Architektur und des Städtebaues, die dem Studium der soziologischen und architektonischen Struktur des Städtewesens und seiner baulichen Entwicklung dienlidi wäre. Die zahllosen, interessanten Modelle bedeutender Wiener Bauten und Stadterweiterungen liegen bis jetzt in irgendeiner Rumpelkammer, wertvolles Studienmaterial, das häufig dem Verkommen anheimgegeben ist. Hieher würden auch die Schaustellungen zur Entwicklung des Geld- und Papierwesens, der Münzkunst, der Post- und Stempelmarke gehören. Ein solches Museum könnte zu einem Forum österreichischer Kultur werden, das die vielen Einzelsammlungen aufnehmen könnte, die bisher noch nicht zusammengefaßt werden konnten.

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