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Zwischen Barock und Rokoko

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In der Geschichte der plastischen Kunst in der Steiermark nimmt das Werk Josef Thaddäus S t a m m e 1 s eine merkwürdige Zwischenstellung ein: es fällt zeitlich fast zur Gänze in das Rokoko, doch steht der Künstler, bis auf wenige Zugeständnisse, mit beiden Füßen im Barock. Begründet er-cheint dies zum Teil im Wesen seiner Persönlichkeit, zum Teil in der Herkunft und Entwicklung seiner Kunst und nicht zuletzt in der Atmosphäre, in der er sich bewegte und aus der heraus sein Werk wuchs. Stammet ergeht es ähnlich wie Bernini. Zu Lebzeiten berühmt und gefeiert, selbst die Admonter Sterbematrik verzeichnet ihn noch als „famosus statuarius“, sinkt sein Stern nach dem Tode, sein Name wird kaum mehr beachtet oder geachtet. Etwa 120 Jahre nach Stammeis Tode beginnt man wieder respektvoll von seinen Werken zu spredien, sein Name wird wieder in Ehren i;enannt (Kraus, Wiediner, Schneerich, Grauß und andere). 1912 macht der hochverdiente Stammel-Forscher Prof. Anton Mayer durdi sein, freilich sd^on etwas überholtes Tafelwerk: „Die Werke des Plastikers Josef Th. Stammel“ (Verlag Anton Schroll & Co., Wien), den Meister der weiteren Kunstforsdiung bekannt.

Um 1700 dürfte Stammel, wie man annimmt, in St. Martin bei Graz geboren worden sein. Sein erster namhafter Lehrer war Meister S c h o y in Graz. Dann wird der junge, fähige Mann vom Admonter Abt Anton II. aufgespürt und in seine Obhut und seine Dienste genommen. Prof. Mayer weist nach, daß der Abt dem strebsamen Künstler eine Studienreise nach dem Süden und nach Rom ermöglichte. Dort scheint der seit wenigen Jahrzehnten verstorbene Bernini auf Stammel besonderen Eindruck gemacht- zu haben. Nach der Rückkehr aus Italien bis zu seinem Tode 1765, also fast 40 Jahre, schafft Stammel ohne Unterbrechung und unermüdtidi für das Stift Admont.

Prof. Mayers chronologischer Aufzählung der ersten Stammel-Arbeiten will man vom Stilistischen her nidit unbedingt Folge leisten. Neben einigen ganz frühen kleineren Plastiken, die das ausgezeidinete Können des Meisters schon beweisen, bewundern wir die virtuosen Reliefs der Rosenkranzgeheimnisse für den Frauenaltar der Admonter Stiftskirche. 1734 werden die beiden in Stein gearbeiteten Gartengruppen Sankt Benedikt und St. Blasius aufgestellt. Sie sind insofern von Bedeutung, weil sie einerseits in ihrem betonten Pathos und der duralen Formgebung deutlich, genug nach dem Süden (Bernini) weisen, andererseits aber, weil in die klassische Atmosphäre, die sie ausstrahlen, vernehmlich die volkstümliche Note hineinspielt, zwei wesentlidie Momente im Schaffen Stammeis. Leider wurden gerade diese Steingruppen in den vergangenen Jahren in empörender Weise verstümmelt. 1736 gibt Abt Anton bei Stammel einen neuen Gnadenaltar für die Wallfahrtskirche am Frauenberg bei Admont in Auftrag. Da aber die Wallfahrer durdi den großen, prunkvollen Hochaltar vom Gnadenaltar, der in einer Seitenkapclle stand, vielfadi abgelenkt wurden, hat man 21 Jahre nach Stammeis Tod, 1786, das gotische Gnadenbild mit ,den Stammeischen Figuren und Engeln auf den Hochaltar transferiert. Das Signum des Altars um die ehrwürdige Gnadenmadonna bilden die zahlreichen jubelnden und jauchzenden, schwebenden und schwingenden Engelchen. In Frauenberg begegnen Stammel die beiden überlebensgroßen Figuren St. Barbara und St. Katharina. Neuere Forsdiung versucht dipse eigenartigen Werke dem bedeutenden, aber manieristischen Meister Zürn dem Jüngeren zuzuschreiben. Wie dem auch sei, sie werden in ihrer anatomisch und stilistisch exaltierten Art der Wiedergabe auf Stammel wohl einen eigentümlichen Eindruck gemacht haben und vielleicht kam ihm dort die abgeklärte Konzeption zu seiper hl. Agatha, die er später auf den Altar in Winklern stellte und die Grauß zu den schönsten Frauenfiguren des Landes zählt.

1738 bis 1740 schafft unser Meister den Altar für die Schloßkapelle von St. Martin bei Graz. Welch seltsame Intuition springt ihn an. Wollte er ausgeredinet für das Sddoßkirchlein, in dessen Nähe er das Licht der Welt erblickt hat, das Absonderliche vollführen und ein Altarwerk mit d 'ei lebensgroßen Pferdekörpern zur Schau stellen? Welch ein künstlerisches Wagnis — und dann, welch eine künstlerische Leistung! In der Mitte, am Altar selbst, St. Martinus; hoch zu Roß teilt er eben mit dem am Boden hingestreckten siechen Bettler den Mantel. Links und rechts auf Großkonsolen schmettert ein himmlischer Blitz Saulus und sein Roß zu Boden und heilt der heilige Eligius einem Pferde das abgetrennte Bein an. Die Martinusgruppe Stammeis gemahnt an die berühmte Martinsgruppe Raphael Donners, die er für den Hochaltar des Preßburger Domes fertigte. Sie ist kontrapostisch gefaßt, dramatisch geballt, in klassisdier Linie gehalten.

Mit besonderer Vorliebe schnitzte Stammel Krippen. Stammel-Krippen sind berühmt. Er sdiuf solche in Reliefs und solche in Voll- und Freifiguren. Kallwang und Admont besitzen Krippen letzterer Art, Kallwang eine kleinere, frühere (am 1740), Admont eine große. Die Annahme, daß die Kallwanger Krippe das Modell der Admonter Krippe ist, hält der neueren Forsdiung nicht stand. Die Kallwanger Krippe ist in den Hauptfiguren bewegter, agiler, fast möchte man sagen lauter. Sie stammt sozusagen vom jüngeren Stammel. Die Admonter Krippe (zirka 1755 vollendet) ist ruhiger, inniger, künstlerisch abgeklärter, sie ist in der Konzeption bedeutender.

Aus 1755 wären auch zwei kleinere Reliefs, die büßende Magdalena und der reuige Petrus, zu erwähnen. Zwei der ausdruckvollsten Arbeiten Stammeis, in denen, eine Seltenheit bei Stammel-Werken, Anklänge an das Rokoko zu spüren sind. 1755 erging an Stammel audi der Auftrag, für den einzigartigen Bücherraum des Stiftes Admont den plastischen Sdimyck zu stellen. Unverzagt geht der Meister ans Werk und vollendet es in fünf Jahren. Typisch für den Künstler: Gerade in den Mittelraum, in dem sich der ganze feine, noble Prunk konzentriert, stellt er an die schimmernden Marmorsäulen vier große Schaustücke: Tod, Gericht, Himmel,- Hölle. Wieviel Leben versteht er den an sidi abstrakten Begriffen einzuhauchen, voran der „Hölle“! Der Verdammte reitet in wilder Verzweiflung auf dem Teufel geradewegs der ewigen Verdammnis entgegen. Aber der Gesichtsausdruck des Verzweifelten, der laute Schrei aus dem weitgeöffneten Mund, in dem die Zunge -sichtbar wird, wo hat man Ähnliches sdion einmal erlebt? Im Pariser Louvre steht man erschauernd vor dem Medusenhaupt des großen ungezügelten Kraftgenius Puget. Doch ist das Haupt des Verdammten bei Stammel künstlerischer durchgearbeitet. Audi Puget hat an Berninis Werken in Rom gelernt. Bernini hat einmal eine verdammte Seele plastisdi dargestellt mit weitgeöffnetem schreiendem Mund und sichtbarer Zunge. Die Klassizisten haben ihm das, wie so vieles andere, arg verübelt. Der Weg von Stammeis Verdammten bis zu seiner Armenseelengruppe in Kallwang ist nicht allzuweit. Man beachte die großartige Ausdrucksnuancierung, die namenlose Verzweiflung des Verdammten und das wohl leidgepeinigte, aber doch hoffnungsvolle Antlitz der sich aus den Flammen lösenden armen Seele. Von dem in ruhiger Monumentalität wirkenden Arbeiten Stammeis übtr den Bibliotheksgalerien seien außer den beiden Riesenreliefs „Das Salomonsurteil“ und „Jesus lehn im Tempel“ nur noch „Johannes der Evangelist“ erwähnt. Die jugendlich kräftige Gestalt taucht, in den Wolken mehr schwebend als ruhend, leicht geneigten Hauptes den dürstenden Blick in überirdische Sphären. Die Rechte hält den Kiel bereit, die Linke langt nach dem Adler, der, mit geöffnetem^ Schnabel den Blicken des Pat-mossehers folgend, eben die Flügel breitet; ein prächtiges Barockwerk.

Von Stammeis Werk ist vieles bei dem Großbrand, der 100 Jahre nach seinem Tode, 1865, Ort und Stift Admont verheerend heimsuchte, zum Opfer gefallen. Prof. Mayer meldet, daß der Brand auch das vorzüglidiste und umfangreichste Stam-mel-Werk, das sogenannte „Universum“ (4 Meter hoch), das anscheinend für das Rondeau der Bibliothek bestimmt war, vernichtete. Aber auch das erhaltene Werk Stammeis gibt Anlaß genug zu verläßlicher Würdigung. Stammel zeigt überall Eigenart, bisweilen künstlerische Sorglosigkeit, doch verliert er sich nie ins Gesuchte. Es weht bei ihm bis in 'die letzten Werke hinein barocker Wind, ja es fährt mitunter ziemlich hörbares Rauschen bis in die Gewandzipfel, aber es kommt nie zu unnatürlichem Knattern und Peitschen. Vor Manierismus und Unnatürlichem bewahrte Stammel ein gesunder Realismus und eine große Vorliebe zur Natur. Mitunter meint man aus seinen Werken heraus deutlich Berninis Stimme zu hören, wie er seinen Schülern gerne zurief: „Vergesset mir nicht, immer wieder die Natur zu studieren.“ Stammeis Schaffen zeigt Fortschritt und Entwicklung. Was uns zum Beispiel in seinen Gartengruppen St. Blasius und St. Benedikt noch Verheißung war, war in den Schöpfungen der Bibliothek Erfüllung. Georg Lill schreibt: „In Donner vereinigen sich beste Seiten des österreichertums, speziell Wiener Prägung.“ Bei Stammel weht ein etwas kräftigerer Höhenwind, wir merken eine handfestere Note. Er ist ebenso Österreicher, aber mehr alpenländischer Prägung. 1937 sollte auf der Pariser Weltausstellung ein möglichst .vollständiges Bild österreichischer Kultur gegeben werden. Hier durften Stammeis Großplastiken „Das Gericht“ und „Die Hölle“ aus der Stiftsbibliothek von Admont nicht fehlen — keine geringe Ehre für Meister Stammel und den Hort seines Schaffens, das Stift Admont.

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