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Zwischen Mur, Tiber, Rhein, Spree und Donau...

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Die Technik hat die Welt „klein“ gemacht, Lokomotive, Auto und Flugzeug haben die Entfernungen verringert, Telephon und Telegraph sozusagen aufgehoben. Eine Reise von Graz nach Budapest oder Prag, Breslau, Berlin, Heidelberg, Mailand und Rom ist heute kaum die Affäre eines Halbtags, vor einem Jahrhundert noch war sie die Angelegenheit fast eines Monats. Es spricht für die Unternehmungslust des kecken Menschengeistes, des lebhaften Künstlertemperamentes, daß beispielsweise Bildhauergesellen der Renaissance und des Barocks die Anstrengungen und Fährlichkeiten einer mehrwöchigen Wanderung seelenruhig, ja fröhlich auf sich nahmen, um einem wildfremden Meister etwas abzugucken. An Gottfried Kellers Gerechten Kammachern wird kündbar, daß es auch zuweilen darauf ankam, in der Ferne eine Wittib mit Werkstatt zu „errennen".Der Codex germanicus 3312 der Münchner Staatsbibliothek enthält den kostbaren Reisebericht des Bildhauergesellen Franz Ferdinand E r t i n g e r aus Immenstadt an der Iller in Bayern, der um 1691 über Salzburg in die Steiermark kam, um hier bei sieben Meistern, davon vier in Graz, sich in der „Khunst zu perfectionieren“. An die zwei Jahre hielt er sich im Lande auf. In dieser Zeit arbeiteten „neben seiner" nicht weniger als zehn Gesellen, die waren: „Johann Georg Beuerle von Meershaimb, ein Schwab, Johannes Sitz von Augspurg, Fride- rich Friz, ein Denemarckher, Davit Zirn von Ollmiz aus Mähren, Andre Andoni Dotenwiz von Grienberg aus Schlesien, Joharm Georg Hirz, ein Oehlsässer, Hans Jerg Bruner, ein Steirmarckher, Joseph Friderich Riesser von Solodurn aus der Schweiz, Johann Ellunzi Brandenberg, ein Schweizer von Zug, Carell Vallen- din Keller von Wien.“

E i n Steirer also nur unter neun „Ausländern". Es konnte nicht fehlen, daß F. M. Mayer, der 18 87 den steirischen Anteil dieses aufschlußreichen Künstlertagebuches in den „Beiträgen zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen' veröffentlichte (den Anteil der übrigen Bundesländer publizierte 1907 4 Wienerin E, Tietrt- Conrad), die Wahrheit fftfger Ausführungen anzweifelte. Doch zu unrecht. Sieben dieser Wanderer konnte ich auch anderweitig nach- weisen, Karl Valentin Keller beispielsweise heiratete am 23. Juli 1709 zu St. Stephan in Wien, sein Trauzeuge war Bildhauer J. A. Ig- lauer. Die Glaubwürdigkeit Ertingers ist für die Grazer Kunstgeschichte von besonderer Bedeutung: Nennt er doch auch den frühest nachgewiesenen Grazer „Dombildhauer“, den „kunst- beriemten Spindelbaur", der für die „schene Jesuiten Kirch“ lebensgroße Apostelfürsten geschnitzt hatte. Spindelbaur fungierte 1662 als Trauzeuge des Salzburgers Franz Pernegger, der 1635 einen Hochaltar für Gröbming schnitzte. Ertinger selbst meißelte in Graz acht (!) Steinstatuen für den Park des Landmarschalls, von denen eine, wenn auch nur als kopfloser Torso, erhalten blieb.

Aus Nekrologien, Urkunden, Ratsprotokollen und Kirchenrechnungen konnte ich erheben, daß bis 1540 in der Steiermark 42 Schnitzer und 72 Maler tätig waren, von 1540 bis 1820 381 Bildhauer. In den 520 Textseiten meines eben erschienenen Werkes „Steirische Bildhauer. Vom Römerstein zum Rokoko" ist ihr Leben und Werk aufgezeigt. Das authentische Zeugnis des Schwaben Ertinger beweist bereits, daß die Kunstgeschichte eines Landes keine rein lokale Angelegenheit ist, sondern sich in die der Nachbarländer und darüber hinaus verzweigt und verzahnt. Dies bestätigt denn auch der Gesamtsachverhalt.

Von den vier „Malern" der Gotik, denen ich — vergleiche die „Furche" vom 2. Juni 1956 — im Lande faksimiliert Schnitzwerke in der Steiermark nachwies, stammte einer aus Mondsee und einer aus Friesach. Die frühesten, durch eine leicht enträtselbare „Vexier “inschrift signierten Flügelaltäre des Landes, einst in St. Zäzilia, jetzt in St. Georgen ob Murau stehend, erweisen sich als Arbeiten des Salzburger Malers Johannes Minner vom Jahre 1440 (1442?). Maler Erhard von Augsburg malte, laut Chronik, von 1518 bis 1523 mindestens fünf Altäre für die Stiftskirche von Neuberg. An Hand von Nicolo Rasmos „Mittelalterliche Kunst Südtirols“ (Bozen 1949), erweisen sich ebensoviel gotische Altäre im Kunstbereich des einstigen Chorherrenstiftes Seckau direkt oder indirekt als Arbeiten von Südtiroler Künstlern.

Noch auffälliger und augenscheinlicher werden die Beziehungen der steirischen Bildhauerkunst zu auswärtigen Ländern und Reichen in den Jahrzehnten der Renaissance und des Barocks. Von den 381 Bildhauern stammten nicht weniger als 130 aus anderen Ländern oder sie traten durch Heirat oder Arbeit mit dem Steirerland in Beziehung. Zuerst vorwiegend aus Italien, insgesamt 21. Sie waren zumeist Bauplastiker. Der künstlerisch bedeutendste Mann war Sebastian C a r 1 o n e aus Oberitalien. Seine Hand verschönte nachweisbar die Burgkapellen von Graz und Judenburg sowie das Mausoleum des Erzherzogs Carl II. in Seckau. Dort arbeiteten vor ihm die Italiener Alexander de Verda und sein Vetter Marco Andrea, mit Carlone 1600 am Hochaltar Hans Spazio (Spatz), Santin Solari und die beiden Battista Carolan (Carlen). Im Mausoleum Ferdinand II. werkte 1616 am Grabmal seiner ersten Gemahlin Maria Anna Giovan Maria Vasallo, wahrscheinlich aus Riva. Gekommen war er aber — aus Rom. Das wissen wir aus den Gerichtsakten von Aussee. Dort hatte ihn am 24, August die Ortspolizei angehalten, „eingezogen und bespracht“, weil der Mann „verdächtiger weis“ eine fünfspännige Büchse mit Zündstrick trug. Er wies aber einen Waffenpaß vor, ausgestellt in Rom! In Graz hatte er fünf Monate gearbeitet, nun zog er mit seinem Söhnchen Antoni weiter nach Salzburg.

Anno 1617 traf — auf dem Umweg über Bruck bei Lienz und Millstatt — eine Elfenbeinschnitzerei im heutigen Dome ein, die nach Eberhard Coudenhove-Erthals Dissertation höchstwahrscheinlich von Andrea Mantegna in Mantua stammt. Sie findet sich auf dem ersten Stirnfelde der vielgenannten Reliquienschreine, ursprünglich Brauttruhen der Prinzessin Paola Gonzaga, und stellt beinahe wörtlich nach Francesco Petrarcas Schilderung den Triumph ‘ des Amor dar. Die fünf weiteren Szenen sind sichtlich von Gesellenhänden gearbeitet. Mit Antonio Z o i a aus Venedig signiert ist der Grabstein des Abtes Planck von Neuberg um 1590, als Schöpfer der eindrucksvollen Steinplastiken Mars und Bellona am Portal des Zeughauses ist 1644 nach dem Buchstaben der Rechnung Giovan M a m o 1 o (Mar- moro, fdärbl) bezeugt, Angelo de Putti aus Padua schuf 1715 die Immakulata der Frauensäule von Neumarkt. Von den großartigen Grabwächtern des Mausoleums von Ehrenhausen konnte ich nur den Vornamen Andre des Bildhauers eruieren. Den Figurenschmuck des grandiosen Domhochaltars schuf 1730 bis 1733 der Marburger J. J. Schoy, sein Lehrmeister war ein Leibnitzer. Die sechs unteren Statuen kamen aber aus Venedig. Gemeißelt hat sie, laut Stilvergleich, Francesco Robba; archivalisch käme auch Johann M a r c h i o r i (Marchioni?) aus Venedig in Betracht, der ausgerechnet am 7. November 1732 das Grazer Bürgerrecht erlangte. Der Tabernakel, den die Venezianer Suldon und Formenti mit 20 Figuren schmückten, ist leider nicht mehr vorhanden.

Ungleich mehr Bildhauer wanderten aber aus dem Reiche, zumal aus Bayern, zu. Sie stammten u. a. aus Augsburg, Berchtesgaden, Berlin, Breslau, Buchheim, Eichstätt, Eschenlohe, Heidelberg, Holstein, Kempten, Konstanz, Minich- stöckheim, Pirna, Regensburg, Stuttgart, Tegernsee, Ueberlingen, Ulm, Wiesensteig, Würzburg. Für die steirische Kunstgeschichte am bedeutsamsten: Sebastian E r 1 a c h e r, Lehrmeister Johann Baptist Fischers, um 1632, aus Tegernsee, und Hans Jörg S t a m m e 1, Vater des Joseph Thaddäus, um 1687 aus Eschenlohe nach Graz zugereist. Durch eigene Arbeit, nach eigener Aussage in allen Grazer Gotteshäusern „mit Altären“ befaßt. Hans Ludwig Ackermann aus Heidelberg, ab 1612 in Judenburg, ab 1615 in Graz tätig — als Bahnbrecher des Frühbarocks.

Wie sehr selbst die Werkstätten der „Provinz“ von „Zugereisten“ künstlerisch befruchtet und bestritten wurden: In Gnas saß ein Prager, in St. Ruprecht ein Breslauer! Noch verblüffender die Herkunft der Leibnitzer Bildhauerprinzipale: Fünf Inhaber kennen wir: Ab 1650 Wilhelm Störer aus Konstanz, ab 1697 Johann Baptist Stütz aus Augsburg, ab 1737 Abraham Schakar aus Berlin, 1749 bis 1775 Caspar Pucheim aus „Ungarn von Offen“, also Budapest. Dort war schon sein Vater Augustin Bildhauer.

Formal und personell enge war naturgemäß die Beziehung der steirischen Plastik zu den benachbarten Bundesländern. Kärnten arbeitete gelegentlich für St. Lambrecht oder Murau, Salzburg für Admont und das Ennstal, Niederösterreich, zumal Wiener Neustadt, für Neuberg und Vorau. Andreas S c h e 11 a u f schuf für Vorau und Pinggau, den Hochaltar der Stadtpfarrkirche von Friedberg 1765 sqin Sohn Johann Ferdinand, das bisher einzige bekannte Werk seiner Hand.

Themagemäß endlich nach Wien. Hier ist erstmals eine hochinteressante Querverbindung Wien-Graz-Wien aufzuzeigen, die vielleicht schicksalhaft ward für den berühmtesten Grazer Künstler, Johann Bernhard Fischer von Erlach. Sein Vater, Bildhauer Johann Baptist, baute 1660 eine Ehrensäule für den zur Erbhuldigung in Graz einziehenden Kaiser Leopold I. Im Verein mit fünf Meistern von auswärts, fünf Gesellen und fünf „Jungen" der eigenen Werkstatt. Die Gesellen waren Aegyd Meixner, später ih Leoben, Andreas Marx, weiterhin in Graz, Wolf Weißenkirchner aus Salzburg und Johann Fruewirth, zweifellos Johann Frühwirt, der 1640 in Wien geboren, 1666 in Wien heiratete, 1667 einen Hochaltar für die Deutschordenskirche stellte, 1669 in der Hofburg arbeitete, 1671 einen Altar für die Hofburgkapelle bestritt, 1679 die erste Pestsäule am Graben aufstellte. Der Kaiser hatte persönlich dazu den ersten Spatenstich getan. Früh wirt war also Hofbildhauer, besaß „das Ohr des Kaisers“. Als er unter Fischer in Graz an der Triumphpforte arbeitete, war Johann Bernhard ein Knirps von vier Jahren und, da selbst die Mutter als Geselle mitwerkte, munter unter den Männern. Als er 12 oder 14 Jahre war, hat der Vater ihn sicher zum einflußreichsten seiner einstigen Gesellen in die Lehre gegeben. Das war um 1670 Hofbildhauer Frühwirt, der ihn vielleicht schon damals der Gunst des Kaisers empfahl. So ihn dann an „Cavagliere Bemini“ weiterrekommandieren konnte. Einen Vierzehnjährigen oder gar Achtjährigen (Brief Michaels II. Graf Althann aus Frain) wird der päpstliche Baumeister und Hofbildhauer denn doch nicht aus Graz in die Lehre genommen haben. Jedenfalls ist es mehr als ein Zufall, daß Ehrensäulen in der Karriere Frühwirts wie Johann Baptists und Johann Bernhard Fischers eine bedeutsame Rolle spielten.

Mittlerweile bereits Wiener geworden, stellte Letzterer bekanntlich Hochaltarentwürfe für das Grazer Mausoleum, die Gnadenkirchen Mariazell und Straßengel, wie hier hinzugesetzt werden darf, versprach er 1687, für die neue Ser- vitenkirche Frohnleiten „auf die negste Wochen vnfelbar“ einen Fassadenriß zu schicken. Vor dem 26. Mai — das wäre somit das früheste beglaubigte Wiener Lebenszeichen des „Kayss. Ingenieur“. Leider ist der Plan verschollen, die Fassade 1765 einem Großbrande zum Opfer gefallen. Noch aber prangt am Mariazeller Gnadenaltar der wundervolle Silbertabernakel, für den Josef E m a n u e 1 Fischer von Erlach 1727 den Entwurf lieferte, schwingt sich majestätisch die Orgelempore, deren bewegten Figurenschmuck 1740 Johann Wagner aus Wien beistellte.

Der „kaiserliche Architekt“ Matthias Staindl (Steinl) stellte vor 1700 den Hochaltaraufriß der Stiftskirche in Vorau, seine lebensvollen Hauptstatuen der „kunstreiche Wiener Künstler“ Franz Caspar, geboren in Würzburg. Am 3. Juli 1703 ward im Stephansdome kopuliert Bildhauer Johann Michel Leger, geboren um 1684 in Horn, als Johann Michael L ö g e r, ist er bald darauf der Stammvater der kopfreichsten Bildhauersippe des Landes, wohnend im „Glashaus“ des Stiftes Neuberg: Mindestens drei Söhne und zwei Enkel folgten ihm im Berufe, sein Aeltester, Joseph, heiratete 1730 nach Wien zurück, der Jüngste, Peter, diente in Leoben und machte sich in Kindberg selbständig, Sohn Valentin und Enkel Sebastian werkten weiterhin in Neuberg, des letzteren Bruder, Johann Georg, starb 1792 als Bildhauer in Knittelfeld. Am 2. Juni 1732 ehelichte der Bildhauer Johann Schrey aus Grafendorf zu St. Stephan in Wien, das Beistandsamt versah Hofbildhauer Johann Theobald Trebesky.

Aus Wien kam einer der fruchtbarsten steirischen Plastiker, Philip Jakob Straub, mit drei Bildhauerbrüdern, gebürtig zu Wiesensteig in Württemberg. Er heiratete in Graz 173 3 die Witwe J. J. Schoys, „verschrieben und de meliöri anrecomandirt" hatte ihn ihr Prinz Eugens Hofbildhauer J. Chr. Mader; in Wien war Straub bereits Mitglied der Akademie. Der allerwendigste und werkreichste Grazer Bildhauer, Veit K ö n i g e r, aus Tirol stammend, hatte sich an ihr als Eleve 1754 das Privileg, einen Degen tragen zu dürfen, aber auch einen vollen Sieg im Wettbewerb, geholt, 1774 meißelte er für Schloß Schönbrunn die Statuen Paris, Aeskulap, Mars und Minerva. 1792 gewann an der Wiener Akademie eine „Goldene" Bildhauer A. Nowatin aus Graz, einen ersten Preis Bildhauer S. Irrwoch aus Murau.

J. G. Leitner, Sohn des Grazer Bildhauers J. M. Leitner, hatte ihr schon 1757 mit Erfolg als Probestück das Bleirelief eines Herrenleichnams vorgelegt, „ein hervorragendes Stück in der Richtung G. R. Donners“, das jetzt im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin liegt. Der Grazer Dom birgt, wie Garzarolli-Thurnlack schon 1928 feststellte, ein eigenhändiges Werk Donners: Das kleine und doch imposante Grabmal des Grafen Johann -Caspar Cobenzl, Ritter des Goldenen Vließes, unter drei Kaisern Landeshauptmann von Görz, gestorben am 29. April 1742. Der Bleiguß des lebensvollen Porträts ist signiert: G. R. Donner — F(ecit) 1741. Wie, unabhängig von mir, auch Landesarchivar Dr. Reiner Puschnig erkundet hatte, besitzt die Steiermark auch ein bedeutenderes, weil größeres Werk Balthasar Ferdinand Molis, 1751 bis 1757 Rektor der Akademie der bildenden Künste in Wien, Schöpfer des prachtvollen Doppelsarkophags Maria Theresias und Franz I. und anderer Grabmäler in der weltbekannten Kapuzinergruft: Er ward, laut Pfarr- chronik, 1760 von der Kaiserin „als expresser Bildhauer“ abgesandt, um für die Pfarrkirche Dobi bei Graz „a la romana“ einen Hochaltar, zumal seine beherrschenden Apostelfürsten, zu schnitzen. Das seelenvolle Haupt Petrus’ wie die in aparter Wendung profilierte Gestalt Paulus’ macht dem Meister alle Ehre, ebenso der Volkskaiserin ihre Munifizenz, die für die „großen Spesen“ aufkam.

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