An der Grenze zum Glück

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Hans-Christian Schmids "Lichter" gibt Einblick in menschliche Schicksale im Kampf um ein besseres Leben.

Im Dunkeln, realitätsnah im Dogma-Stil gefilmt, beginnt der Episodenfilm "Lichter" von Hans-Christian Schmid. Am Ende aller Kräfte tappt eine Gruppe ukrainischer Flüchtlinge durchs Unterholz. "Beim ersten Haus links erwartet man euch," sagt der Schlepper und verschwindet. Das teuer bezahlte Traumziel Berlin entpuppt sich als blanker Betrug, man ist in Slubice, einem polnischen Grenzkaff an der Oder. An dieser Stelle scheiden sich die Geister zwischen Ost und West, verlieren oder gewinnen, Slubice oder Frankfurt. Geblendet vom scheinbar greifbar nahen "Glück" auf der anderen Seite des Flusses, liefern sich Menschen auf Gedeih und Verderb aus.

Kolja (Ivan Shvedoff) wird aufgegriffen, Dolmetscherin Sonja (Maria Simon) hilft beim Verhör, kann ihn aber nicht retten. Die harte deutsche Abschiebepolitik macht ihr zu schaffen, Erfahrung und Intuition sagen ihr, dass Kolja wieder in Slubice ist. Sie will ihn über die Grenze schmuggeln. Freund Christoph (Janek Rieke) hält nichts davon, kommt aber mit. Er findet Kolja, speist ihn mit Geld ab, belügt Sonja. Sein Spiel fliegt auf, Kolja liegt im Kofferraum. Als Sonja ihn im Westen aussteigen lässt, ist Christophs Profi-Kameraausrüstung weg.

Alle Episoden und Handlungsstränge sind, von großartigen Darstellern verkörpert, desillusionierend genau und differenziert nachgezeichnet. Die Protagonisten, deren Wege sich hier kreuzen, erleben Abhängigkeit, Gewalt und ein zunehmend in die Brüche gehendes Vertrauen. Wo Schmuggel und Kleinkriminalität blühen, Profiteure des Ost-West-Gefälles dubiose Geschäfte machen, geraten Beziehungen ins Wanken. Zwei Tage beobachtet "Lichter" den existentiellen Überlebenskampf an der Grenze, entwirft ein komplexes Panorama an Lebenswirklichkeiten, leuchtet die Grauzonen diverser Milieus aus. Wo Sicherheit zur Illusion wird, ist Liebe ein rares Gut, "Lichter" Hoffnungsschimmer ohne Glücksgarantie.

Simone (Claudia Geisler) arbeitet in Frankfurt/Oder im Matratzen-Discount vom Konkursunternehmer Ingo (Devid Striesow), einem Gestrandeten des Westens, zu kaputt, um ihre Sympathie wahrzunehmen. Milenas (Aleksandra Justa) letzter Lohn ist eine Matratze. Darum kann sie Tochter Marysia das Traumkleid zur Erstkommunion nicht kaufen. Ihr Mann, der ausgebrannte Taxler Antoni (Zbigniew Zamachowski), will Dimitri (Sergej Frolov), Anna (Anna Janovskaja) und ihr Baby sicher über die Oder bringen, um das Kleid bezahlen zu können. Er scheitert. Dass Marysia am Ende des Films selig wie eine Prinzessin ins Licht ihrer Kerze blickt, ist nicht sein Verdienst.

LICHTER

Deutschland 2002. Regie: Hans-Christian Schmid. Mit: Ivan Shedoff, Sergej Frolov, Anna Janovskaja, Sebastian Urzendowsky, Alice Dwyer, Martin Kiefer.Verleih: Polyfilm. 105 Min.

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