Love - © Foto: Kinostar

Anblick des leeren Totenbettes

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Stirbt jemand, den wir lieben, grübeln wir über Ziel und Zweck unseres Daseins. Lohnt es sich überhaupt weiterzuleben? Schaffe ich es allein? Und woraus kann ich zukünftig mein Glück beziehen? In Russell Harbaughs Debütfilm „Love After Love“ stellt sich niemand derartige existenzielle Fragen – sie drängen sich indes dem Zuschauer förmlich auf. College-Professor Glenn verschwindet nach seinem Tod spurlos aus den Gesprächen seiner Angehörigen. Sie nehmen sich keine Zeit zum Atemholen, der Alltag läuft weiter und sie müssen ihn bewältigen. Vor kurzer Zeit saß Glenn noch gutgelaunt am Kopfende ihrer Festtafel, rezitierte aus einem Gedichtband, das warme Herbstlicht umfing sie. Seine heisere Stimme ließ mitnichten das Allerschlimmste befürchten. Doch quasi über Nacht verwandelte sich der geistreiche Mann in einen Greis, der mit zweckmäßigen Handgriffen gepflegt werden musste, was zugleich verlegenes Unbehagen auslöste. Nach kurzer Zeit verstarb er – und ließ seine Frau Suzanne sowie zwei erwachsene Söhne zurück.

Wie unterschiedlich eine Familie trauert, wo sie jeweils Trost finden kann, das beobachtet Harbaughs Independent-Kleinod scharf. Suzanne, von Beruf ebenfalls Professorin, will nicht allein bleiben. Die immer noch attraktive Frau (beeindruckend: Andie MacDowell) sucht nach einem neuen Lebensgefährten und findet ihn in Michael. Sohn Nicholas betrügt seine Partnerin Rebecca mit der jüngeren Emilie, einer Studentin seines Vaters. Sein Bruder Chris ertränkt seinen Schmerz in Alkohol und sorgt damit für peinliche Situationen. All das verdichtet „Love After Love“ in kurzen, sprechenden Szenen. Der Film schönt nicht: Schnell ist die Trauer verblasst. Er zeigt, welch scheußliche und rücksichtslose Züge die Verarbeitung eines Todes annehmen kann. Beispielsweise wenn der erwachsene Sohn Nicholas nach dem Verlust seines Vaters in kindischer Naivität erwartet, dass er tun und lassen kann, was er will, ansonsten alles so bleiben soll, wie es war.

Der Zuschauer verfolgt das Geschehen bestürzt. Ihn befällt die große Traurigkeit, welche die Protagonisten nie zulassen. Dabei katapultiert ihn der Film mitten in die Szenen hinein, die Montage verfährt abrupt, assoziativ, nimmt große Auslassungen in Kauf. Das ist zuweilen anstrengend, gar verwirrend. Aber dieses formale Mittel macht auch nachdenklich und hält den Zuschauer am Ball, vermittelt ihm anschaulich, wie die Protagonisten die Welt erkennen. Er kann nachempfinden, wie zusammenhanglos sich ihnen das Leben mitteilt, wie wenig sie in einer Situation wissen, nur bruchstückhaft wahrnehmen, Sinn überhaupt fraglich wird. Als wäre der Film aus der Erinnerung heraus entstanden: Nie setzt sich ein ganzheitliches Bild des Verstorbenen zusammen. Kurze, affektiv aufgeladene Momente blitzen auf. Den Anblick des leeren Totenbettes vergisst man nicht so schnell. Doch der Film fordert zur Gelassenheit auf, das Lebenskarussell dreht sich unendlich weiter.

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